Die Entscheidung der Bundesregierung, nach dem Fall Kabuls ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan auszufliegen, hat den Steuerzahler nicht nur viel Geld gekostet, sondern sorgte auch für Ärger mit den Fluggesellschaften. Dies geht auf einem Bericht der Welt unter Berufung auf interne Dokumente hervor.
Der Grund: Die Afghanen, die von der Bundesregierung ausgeflogen wurden, verwüsteten und beschädigten Flugzeuge oder missachteten Anweisungen. Laut Dokumenten aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beklagten sich die Flugdienstleister wiederholt bei der für die Evakuierung verantwortlichen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Im Sommer 2002 erreichten die Beschwerden ihren Höhepunkt. Eine mit den Charterflügen betraute Person hielt damals fest: “Probleme mit Passagieren gab es auf allen der letzten sechs Flüge. … Es ist natürlich immer nur eine Minderheit, aber trotzdem ist die Quote viel zu hoch.” Die Häufung an Schadensmeldungen sei “absolut auffällig und muss durchbrochen werden”. Auf dem Höhepunkt der Entwicklungen drohten die Fluggesellschaften auch damit, keine Afghanen mehr zu transportieren.
In einem Dokument warnte ein Verantwortlicher, in den vergangenen Wochen hätten sich mehrfach Airlines beschwert, “dass unsere Schutzbefohlenen die Maschinen mit viel Müll hinterlassen”. Weisungen der Crew würden zudem missachtet, “Rauchen an Bord u.ä.”, notierte er. Eine der Fluggesellschaften habe daher verlangt, dass ein “Verantwortlicher von uns an Bord ist”. Der Verantwortliche kommentierte: “Ich denke, wir müssen den Ton jetzt anziehen.”
Die Versuche, das Problem zu lösen, führten jedoch offenbar nicht zum Erfolg: So schlugen beispielsweise Mitarbeiter des GIZ vor, ein Flugblatt zu erstellen, das an die Passagiere verteilt wird. Auf diesem heißt es: “Dieses Flugzeug wird unmittelbar nach dem Evakuierungsflug noch für Flüge zu anderen Zielen genutzt. Wir bitten Sie freundlich, es in einem Zustand zu lassen, der eine weitere Benutzung ohne eine intensive Reinigung und Wartung der Kabine erlaubt. … Vielen Dank!”
Der Vorschlag, “Respektspersonen” für Flüge zu engagieren, wurde mangels passender Mitarbeiter nicht weiter verfolgt. Eine Sprecherin der GIZ teilte auf Anfrage der Welt am Sonntag mit, man habe “umgehend auf die Vorfälle reagiert”. Die Passagiere seien am Flughafen auf die Verhaltensregeln hingewiesen worden. Später habe es angeblich keine weiteren Beschwerden gegeben.
Durch die Charterflüge hatte die Bundesregierung Kosten in Millionenhöhe verursacht: Nach Informationen des Spiegels hat die Lufthansa rund fünf Millionen Euro für 17 Reisen über Taschkent erhalten. Insgesamt habe die Evakuierung im August 2021 fast 20 Millionen Euro gekostet – als Folge der mangelhaften Vorbereitungen auf den Fall Kabuls, den die Bundesregierung nicht vorhergesehen hatte.
Im weiteren Verlauf bekamen bis heute mehr als 48.000 Afghanen eine Aufnahmezusage aus Deutschland, darunter mindestens 25.000 ehemalige Ortskräfte und deren Angehörige. Anders als häufig dargestellt erfolgte die Ausreise nicht, weil eine konkrete Bedrohung der Ortskräfte nachgewiesen werden konnte. So schrieb der Militärische Abschirmdienst (MAD) im April 2021, zu diesem Zeitpunkt würden bereits zwei Drittel der Bundeswehr-Ortskräfte in von den Taliban kontrollierten Gebieten leben. “Eine gezielte Selektierung, Entführung oder Tötung. … konnte bisher nicht festgestellt werden.” Die Mehrzahl derer, die in der Vergangenheit eine Ausreise beantragt hätten, wollten Afghanistan verlassen, “um bessere Lebensumstände zu erreichen”.
Nach der Machtübernahme riefen die Taliban zudem eine Generalamnestie für Ortskräfte aus. Im Untersuchungsausschuss erklärte ein GIZ-Mitarbeiter zudem auf Nachfrage eines Grünen-Abgeordneten: “Weil – das ist jetzt wahrscheinlich hart für einige zu akzeptieren – die Taliban sich an das, was sie sagen, halten.” In den vergangenen zwei Jahren “haben sie keinen von uns verfolgt.”
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