Von Alexej Danckwardt
Kreativ bei der Finanzierung ihrer Parteiarbeit sind sie alle: ob in Deutschland oder Frankreich, ob “Mitte”, “links” oder “rechts”. In Deutschland haben sich beispielsweise die Grünen mit einem fetten Polster an Umfeldvereinen umgeben, die bei Wahlen nicht erfolgreichen Parteifreunden immer Unterschlupf und Einkommen garantieren. Dank staatlicher Fördermittel, für deren unverminderten Fluss die Gewählten aller Parteien sorgen. Die deutsche Politik war schon immer ein großer Selbstbedienungsladen, in Frankreich wird es nicht anders sein.
Sicher machen sie dann auch was für den Vereinszweck (den grünen “Projektleiter” des aus staatlichen Fonds finanzierten Nachhilfeunterrichts für Aussiedlerkinder habe ich in fast zwei Jahren meiner Arbeit für einen bekannten grünen Umfeldverein immerhin ein Mal – nur ein Mal – in der betreuten Schule gesehen), aber eben auch weiter Parteiarbeit. Ganz “in ihrer Freizeit” und “ehrenamtlich”. Natürlich.
Es ist kein großes Geheimnis, dass die Assistentenstellen, die gewählte Abgeordnete aus Mitteln des jeweiligen Parlaments besetzen dürfen, in erster Linie der Versorgung von Parteifreunden dienen. Das gilt für jede Partei, Ausnahmen unbekannt. Parteilose Experten und Fachkräfte kommen da eher selten zum Zuge, politische Gegner mit Sicherheit gar nicht. Letzteres wäre ja auch – ganz ohne Ironie und Sarkasmus gesprochen – verrückt.
Abgeordnete sind aus guten Gründen weitgehend frei von staatlichen Vorgaben in der Auswahl ihrer Mitarbeiter. Parteifreunde sind schon wegen inhaltlicher Nähe und größerer Loyalität am besten geeignet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gut dotierte Stellen eben auch Entlohnung für engagierte Parteiarbeit in der Vergangenheit und existenzielle Absicherung des künftigen Einsatzes bei Wahlkämpfen und innerparteilichen Intrigen sind.
Was die Angestellten von Abgeordneten dann für das vom jeweiligen Parlament gezahlte Gehalt tun, ist schwer überprüfbar. Wie lässt sich das Parteileben vom Abgeordnetenleben überhaupt trennen? Treffen mit Parteifreunden sind immer auch Treffen mit Wählern, innerparteiliche Debatten immer auch Arbeit an künftigen Gesetzen und Vorleistung für parlamentarische Debatten. Selbst das Plakatkleben für die Partei ist immer auch Öffentlichkeitsarbeit für die parlamentarische Arbeit ihrer Fraktion. Gestört hat sich an der gängigen Praxis ausnahmslos aller Parteien noch nie jemand.
Was soll nun im Fall von Le Pen und der anderen Abgeordneten des Rassemblement National (RN) anders sein? Offiziellen Verlautbarungen der französischen Justiz zufolge waren Le Pen und 24 weitere Personen – Parteifunktionäre des RN, Angestellte, ehemalige Abgeordnete und parlamentarische Assistenten – angeklagt, Gelder des Europäischen Parlaments verwendet zu haben, um Mitarbeiter in Frankreich zu bezahlen, die für ihre Partei, die damals noch Front National hieß, tätig waren. Das angebliche System der “Scheinbeschäftigung” umfasse Verträge für parlamentarische Assistenten zwischen 2004 und 2016.
Die Staatsanwälte behaupten, die Assistenten hätten ausschließlich für die Partei außerhalb des Parlaments gearbeitet. Als Beispiele wurden in der Presse ein Leibwächter, eine Sekretärin, der Stabschef von Le Pen und ein Grafikdesigner genannt. Viele waren nicht in der Lage, ihren Arbeitsalltag zu beschreiben, und einige haben ihren Chef nie getroffen oder auch nur einen Fuß in das Parlamentsgebäude gesetzt, heißt es.
Selbst wenn: Was heißt das schon? Im Parlamentsgebäude braucht ein Abgeordneter keinen Leibwächter, außerhalb schon. Und er hört eben nicht auf, Abgeordneter zu sein, wenn er das Parlamentsgebäude verlässt. Wie schon erwähnt, ist jeder Abgeordnete einer Partei zugleich Parteipolitiker, er wechselt den Parlamentshut nicht gegen den Parteihut und umgekehrt, während er von einer Veranstaltung zur anderen kutschiert wird. Der Stabschef macht eben des Abgeordneten politische Arbeit, auch wenn er nie in Brüssel oder Straßburg war. Und warum müssen eine Sekretärin und ein Grafikdesigner ihre Chefs in Zeiten von Online-Workflow und Homeoffice sehen? 99 Prozent der Angestellten von Twitter/X kennen Elon Musk auch nur aus dem Fernsehen.
Jedes dieser Argumente ist wackelig. Genauso wie die Anklage und nun auch das Urteil wackelig sind. Wir bewegen uns in einem Graubereich, in dem sich auf völlig natürliche Weise Parteileben und Parlamentsleben überschneiden. Das eröffnet Möglichkeiten zum Missbrauch, die Überlagerung entzieht sich aber aus in einer Demokratie unabdingbaren Gründen (außer in glasklaren Extremfällen: Gärtner oder Küchenhilfe für das Privathaus) der Überprüfung. Ein nicht justiziabler Bereich, in den die französische Justiz da vorgestoßen ist.
Die Grünen, Linken, Liberalen und Systemkonservativen können aber aufatmen: An Marine Le Pen wird kein Exempel statuiert. An die “kreativen” Beschäftigungsmodelle systemkonformer Parteien wird sich auch künftig kein Staatsanwalt und kein Gericht herantrauen. Das Urteil gegen Le Pen und ihre Mitstreiter ist – das muss auch ein ideologischer Gegner mit einem Restanstand und einem Tropfen Redlichkeit einräumen können – ein durch und durch politisches. Genauer gesagt: ein machttaktisches.
Es geht ausschließlich darum, einen Wahlsieg von Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren zu verhindern und den Aufstieg des RN zu bremsen. Die Justiz hat sich da – aus welchen Gründen auch immer – zum Erfüllungsgehilfen von Emmanuel Macron, von dessen Politclique und dessen Hintermännern gemacht. Der Fall reiht sich damit in gesamteuropäische Tendenzen ein: das Absetzen der Wahlen und das Kandidaturverbot für den rumänischen Beinahe-Wahlsieger Călin Georgescu durch rumänische Gerichte; die demokratisch und verfassungsrechtlich mehr als fragwürdigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland; die weit vorangeschrittenen Debatten um ein Verbot der AfD ebenda.
Und es wird so weiter gehen: Die in Europa im Hintergrund die Strippen ziehenden und auch die sich im Rampenlicht sonnenden Eliten wollen ihre Macht vor dem von ihnen fest geplanten Krieg konsolidieren und jeden Dissens (vom Widerstand ganz zu schweigen) zerquetschen. Die Welt wird noch viele Gelegenheiten haben, sich über die “europäische Demokratie” und die sonstigen “europäischen Werte” verwundert die Augen zu reiben.
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