
Von Sergei Sawtschuk
Dank des energischen Einsatzes des US-Diplomatenkorps hat sich der Fokus der Aufmerksamkeit und die anhaltende Spannung ins Herz der Europäischen Union verlagert: Während aus dem Raum der Koalition der Wunscherfüllten und Bedürftigen gedämpfte Klagen über Geldmangel für die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine zu hören waren, zog sich die Schlinge um den immer magerer werdenden Hals Europas unaufhaltsam zu. Branchenkreise berichten, dass der EU ein vollständiger Stopp der Flüssigerdgaslieferungen droht. Und man mag es kaum glauben, aber schuld daran sind … nein, dieses Mal nicht die Russen.
Vertreter beider Seiten, also sowohl europäische als auch US-amerikanische Beamte, berichten, dass Europas LNG-Versorgung aus Übersee mit jeder Lieferung immer näher an den Punkt gelangt, an dem sie mit den geltenden EU-Vorschriften zu Methanemissionen kollidiert. Zugegeben, die Formulierung ist auf den ersten Blick vage, doch Dan Byers, Vizepräsident des Global Energy Institute der US-Handelskammer, beeilte sich, Klarheit zu schaffen: US-amerikanische private Händler sind sehr unzufrieden mit den aktuellen und insbesondere den neuen Treibhausgasemissionsbeschränkungen. Methan ist hier zweitrangig; alles hängt von den Strafen ab, die Europa im Rahmen einer Reihe von Umweltinitiativen gegen Brennstofflieferanten verhängen will.
Byers, ein typischer Vertreter der neuen US-Regierung, redet Klartext. Die Europäische Union müsse gesetzlich garantieren, dass US-amerikanische Flüssigerdgaslieferungen nicht mit Ökosteuern belegt werden, andernfalls würden alle laufenden Verhandlungen über neue Verträge scheitern. Kurzum: Die US-Händler werden sich dann einseitig zurückziehen und die Europäische Union in finanziellen Schwierigkeiten, mit niedrigen Gasreserven und in einem Winter mit momentan zumindest widersprüchlichen Temperaturprognosen zurücklassen – bis sie dann hoffentlich durchmariniert und als Verhandlungspartner nicht mehr so zäh und unbekömmlich ist.
Die Europäische Union, die aufgrund des westlichen Stellvertreterkriegs gegen Russland ohnehin schon mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, ist sehr besorgt – und das zu Recht –, denn Katar, der drittgrößte LNG-Lieferant, unterstützt plötzlich diese harte Forderung der USA, die einer eklatanten Erpressung gleichkommt. Man sollte sich an die Ereignisse vom Juli dieses Jahres erinnern, als Katar, vertreten durch Energieminister Saad al-Kaabi, einen Brief an die Europäische Kommission schickte und ein einheitliches Rechtsregime für alle Handelspartner forderte.
In dem unaufhörlichen Strom der Ereignisse mögen die Details seitdem in Vergessenheit geraten sein, daher hier eine kurze Zusammenfassung zum Auffrischen.
Im Sommer 2024 verabschiedete die Europäische Kommission im Rausch ihrer neumodischen Agenda der nachhaltigen POC(particular organic carbon)-transqueerfeministischen Klimagerechtigkeit die Richtlinie 2024/1760 mit dem schwer auszusprechenden Titel “Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsprüfung” (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD). Sie besagt, dass ausländische Partner, die die EU weiterhin mit Waren, darunter Energie und eben Energieträgern, beliefern wollen, für ethnische und geschlechtliche Vielfalt in ihren Betrieben sorgen sowie den Schutz der lokalen Umwelt umfassend fördern müssen. Dies bedeutet in dem uns interessierenden Fall höhere Steuern wegen Methanaustritten, die sowohl bei der Lieferung als auch bei der Regasifizierung stattfinden. Dass in dieser Handelsbeziehung für die Europäer weitaus wichtiger ist, bei den Katarern einzukaufen, als für die Katarer, an die Europäer zu verkaufen, juckte die Beamten in Brüssel nicht die Bohne – und genau diese logische Diskrepanz hatte Doha im Sommer angeprangert.
Nun haben wir den kühlen Dezember – und Katar ist entschlossen, seine Forderungen durchzusetzen, da die USA hierfür in jeder Hinsicht den Boden in Europa vorbereitet haben.
Der erste Torpedo, der den Panzergürtel der europäischen Gesetzgebung durchbrach, war das von Donald Trump und Ursula von der Leyen unterzeichnete Handelsabkommen. Mit diesem Abkommen gewährte Europa den USA faktisch ein Monopol auf Energielieferungen und beraubte damit gleichzeitig seine eigenen Produkte der Wettbewerbsfähigkeit, da US-amerikanische Waren von einer stillschweigenden teilweisen Steuerbefreiung profitierten.
Katar hielt eine sechs Monate lange dramatische Pause – und nahm dann einen Platz in Washingtons Handelsschiffskonvoi ein: direkt im Kielwasser des US-amerikanischen Handelsabkommens mit der EU. Europa hat in diesem Fall kaum eine Wahl – wenn überhaupt. Die offizielle Website der Europäischen Kommission stellt in ihrer Übersicht zur Struktur der Energieträgerimporte klar, dass Norwegen zwar der größte Erdgaslieferant der Eurozone ist (mit einer Gesamtmenge von 91 Milliarden Kubikmetern und 33 Prozent der Importe) – dabei jedoch der Anteil und damit die Bedeutung der Importe aus den USA exponentiell wächst. Noch im vergangenen Jahr gingen 45 Milliarden Kubikmeter LNG von privaten Unternehmen aus den USA an Europäer – mehr als eine Verdopplung des Volumens seit dem Jahr 2021. Bis zum ersten Halbjahr 2025 erreichten die gesamten LNG-Importe jedoch einen Rekordwert von 75 Milliarden Kubikmetern, was einem Nettoanstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Infolge dieser Expansion stieg der Anteil des von US-Unternehmen gelieferten Flüssigerdgases auf 55 Prozent mit 41 Milliarden Kubikmetern nach Regasifikation, was 12 Prozent des Verbrauchs aller EU-Länder entspricht.
Kein Wunder also, dass die EU-Spitze verärgert die Stirn runzelt, aber den jüngsten dringenden Forderungen aus Washington aufmerksam zuhört, so demütigend und ruinös diese auch für den EU-Haushalt sein mögen.
Berücksichtigt man bei der Statistik nun zusätzlich die Lieferungen aus Katar, wird die gewichtige Abhängigkeit noch deutlicher – und Brüssel hat praktisch keine Möglichkeit, auf dieses Erdgas zu verzichten: Nach der Beendigung der Verträge mit dem russischen Erdgasriesen Gazprom entstanden statt vermeintlich nur eines Monopolisten auf dem europäischen Markt in Wirklichkeit gleich drei. Die Rede ist von Norwegen, den USA und Katar.
Vorgreifen sollten wir an dieser Stelle nicht allzu weit, doch die internen Juristen der Europäischen Kommission könnten bald Überstunden schieben müssen. Um den größten Energieversorger zufriedenzustellen, müssen nicht nur Änderungen an der bereits erwähnten CSDDD-Richtlinie vorgenommen werden. Darüber hinaus hat die europäische Bürokratie bereits eine Reihe damit verbundener Normativakten erlassen, die nach der Idee ihrer Verfasser gleich eine Vielzahl drakonischer Strafen für bestimmte “Vergehen” vorsehen. Ein Beispiel dafür ist das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS), das noch im Jahr 2005 eingeführt wurde. Gemäß seiner Bestimmungen, denen auch Norwegen, Liechtenstein und Island im Jahr 2020 unterstellt wurden, werden zusätzliche Steuern auf LNG-Transporte auf dem Seeweg, die Wärme- und Stromerzeugung sowie den Schwermaschinenbau und die zivile Luftfahrt erhoben.
Darüber hinaus gilt für alle importierten Waren der Mechanismus zur Anpassung der CO₂-Grenzkosten (CBAM). Die EU-Richtlinie bewertet alle nach Europa importierten Waren anhand der Menge an Treibhausgasen, die bei ihrer Herstellung in die Atmosphäre gelangen, und sieht entsprechende Strafabgaben für die Lieferanten vor. Dies betrifft vor allem Importe von Zement, Stahl- und Walzerzeugnissen, Aluminium, Düngemitteln und Strom.
Insbesondere aber wurden im Jahr 2024 die sogenannten Methanregeln bzw. die EU-Richtlinie 2024/1787 für Energie- und Energieträgerimporte eingeführt. Sie sieht strenge Kontrollen potenzieller Methanlecks vor. Methan ist das wirksamste Treibhausgas – im Vergleich zu anderen Gasen bis zu 50 Mal wirksamer. Die Lieferanten garantieren gemäß der Regelung die Sicherheit der Transportinfrastruktur und sind im Falle eines Unfalls verpflichtet, alle Schäden schnellstmöglich auf eigene Kosten zu beheben und zusätzlich hohe Strafen an den EU-Haushalt zu zahlen.
Die US-Regierung, die ihre Brennstoff- und Energiebranche aus lauter zärtlichster Behutsamkeit geradezu mit Samthandschuhen anfasst, ist mit solch strengen Vorschriften alles andere als zufrieden.
Und nun als tonnenschwere Cocktailkirsche auf der Erdgastorte – eine Erinnerung: All diese Vorschriften wurden bekanntlich mit dem Ziel erlassen, die Lieferungen aus Russland zu begrenzen und die Abhängigkeit von Kohlenwasserstoffen aus dem Osten zu minimieren. Und Europa hat es ja tatsächlich auch geschafft (wieder einmal, möchte man fast sagen) – aber das macht es ihm jetzt auch nicht leichter.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 17. Dezember 2025 auf “ria.ru” erschienen.
Sergei Sawtschuk ist Kolumnist bei mehreren russischen Tageszeitungen mit Energiewirtschaft als einem Schwerpunkt.
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