Von Dagmar Henn
Man fragt sich angesichts des Verhaltens der politischen Eliten Europas, ob sie eigentlich irgendetwas davon verstanden haben, wie die Welt funktioniert. Jedes Mal, wenn sie irgendetwas tun, ist das Ergebnis etwas völlig anderes, als erzielt werden sollte. Die jüngste Idee von Ursula von der Leyen, mit der sie sich schon seit Mai trägt, die sie nun aber tatsächlich umsetzen will, ist ein weiterer Schritt der ökonomischen Selbstzerstörung.
Wie sie es gesagt hat, klingt es geradezu harmlos. “Freeze and seize”, einfrieren und einziehen, das reimt sich sogar, und jetzt hat sie eine Task Force (Einsatzgruppe) beauftragt, die “eingefrorenen” Vermögenswerte zusammenzustellen und eine “rechtliche Grundlage” zu schaffen, damit sie eingezogen werden können.
Zum Glück besitze ich keine Vermögenswerte; also muss ich mich jetzt nicht mit dem Problem befassen, wie ich diese aus der EU herausschaffen kann. Es dürfte aber viele Menschen geben, die im Moment genau daran arbeiten, spätestens seit dieser großspurigen Ankündigung der europäischen Korruptionskönigin.
Im Juni hieß es, in den westlichen Ländern seien insgesamt Vermögenswerte in Höhe von 330 Milliarden US-Dollar “eingefroren” worden; davon entfielen fast 300 Milliarden auf Guthaben der russischen Zentralbank. Von der Leyen hat sich nicht dazu geäußert, ob sie auch auf diese Zentralbankgelder scharf ist; befürchten muss man das bei ihr allerdings. Sie könnte damit ja dann eine neue Ladung Impfstoffe bei ihrem Göttergatten erwerben, der rein zufällig bei Pfizer arbeitet…
Wie auch immer, von der Leyen handelt nicht das erste Mal, als hätten solche Handlungen keine Konsequenzen. So, wie man Sanktionen auf Erdgas verhängte und sich dann wunderte, dass es Probleme bei der Produktion von Kunstdünger (und noch vielen anderen Dingen) gab. Oder ganz verblüfft tat, dass der Transport von russischem Öl nicht mehr versicherbar war, nachdem man alle möglichen anderen russischen Waren sanktioniert hatte.
Man kann es wissen, und sie müssen es auch in Brüssel wissen, dass solche Maßnahmen immer weit größere und auch womöglich ganz andere Wirkungen haben, als explizit erklärt wird. Die Vorstellung, eingefrorene Vermögen zu enteignen, ist ganz besonders heikel. Weil sie tatsächlich eine massive Fluchtbewegung auslösen wird. Warum beispielsweise sollte Saudi-Arabien noch Anteile an westeuropäischen Firmen halten, wenn zum einen deren Zukunftsaussichten durch die Sanktionspolitik ruiniert wurden, und zum anderen inzwischen in den USA schon gemurmelt wird, auch Saudi-Arabien sanktionieren zu wollen, weil es zuletzt nicht willfährig war? Ein solches Vorgehen bedeutet für viele Länder, dass sowohl Privatvermögen als auch Devisen der Staatsbanken außerhalb des Zugriffs des Westens besser, weil sicherer, untergebracht sind.
Hat Ursula von der Leyen einmal durchgerechnet, welche Folgen das hätte? Oder glaubt sie immer noch, jeder beliebige andere ließe sich von ihrer Aussage beruhigen, man werde für die Enteignung eine Rechtsgrundlage schaffen?
Das beruhigt mitnichten. Denn wie will sie, sofern es ihr gelingt, eine solche “Rechtsgrundlage” zu schaffen, irgendjemanden glauben machen, dass es nicht auch ihm so ergehen könnte? Es mag ja für die Presse nett sein, von “russischen Oligarchen” zu reden und von “amerikanischen Philanthropen”, aber letztlich geht es in beiden Fällen um Menschen mit unverschämt viel Geld, dessen Aufhäufung immer unter Einsatz durchaus zweifelhafter Mittel geschah. Man denke nur an die Mama von Bill Gates, die dafür sorgte, dass das Betriebssystem, das ihr Sprössling erworben hatte, auf allen IBM-PCs zum Einsatz kam…
Interessant an dieser Lage ist auch, dass die ganzen rechtlichen Schwierigkeiten unter anderem darauf beruhen, dass die EU einen Krieg führt, den sie nicht Krieg nennen will. Weil sie natürlich weiß, dass sie in dem Fall zur Gänze ein legitimes Ziel für russische Raketen wäre (und da reichen konventionelle), und sich deshalb ökonomisch heranrobben will, ohne diese Schwelle zu überschreiten. In erklärten Kriegen geht das nämlich, Eigentum des Kriegsgegners zu konfiszieren; das wurde während beider Weltkriege auch munter getan (und diverse von der Wehrmacht ausgeräumte Goldschätze wurden nie zurückerstattet). Von der Leyen sucht nach einem Schlupfloch, um diesen Nicht-aber-doch-Krieg noch etwas auszuweiten.
Das ist genau das Problem. So, wie diese ganze Sanktionspolitik tatsächlich zwar momentan nützlich scheint, aber letztlich die Verlässlichkeit des gesamten Westens als Handelspartner zerstört.
Die Liste der Maßnahmen, die dauerhaften Schaden anrichten, ist mittlerweile ziemlich lang und umfasst die Zerstörung diplomatischer Beziehungen ebenso wie die vollständige Übernahme diverser internationaler Organisationen, die zwar taktische Vorteile bringt, strategisch aber eigentlich ein gewaltiger Fehler ist. Die ganze westliche Politik seit 2014 ist eine Einbahnstraße in die Sackgasse; jede Möglichkeit zur Umkehr wird systematisch verbaut, und eine Lösung, die beispielsweise auf einem geordneten Rückzug der westlichen Macht beruhen könnte, mit allen Mitteln verhindert. Auch von der Leyens Beschlagnahmungspläne fallen unter das Motto “Sieg oder Untergang”, unter dem dieses Verhalten zu stehen scheint. Selbst wenn man ökonomisch erklären kann, warum das so ist, kann man es politisch wie psychologisch nur mit einem Wort kennzeichnen: verrückt.
Es handelte sich bereits beim Einfrieren um ein Vorgehen, dem kein Urteil zugrunde liegt, eine völkerrechtswidrige Strafmaßnahme, die einzig durch die Tatsache, dass nur der Besitz, aber nicht das Eigentum berührt war, noch einen Hauch von Legalität bewahrte. Eine Beschlagnahme des Staatsvermögens könnte durchaus begründet als eine Kriegshandlung gesehen werden; hält die EU sich nur an Privatvermögen, um dieses Problem zu umschiffen, ist nicht nur die Beute gering, es ist auch die Frage, wie ein solches Vorgehen ohne jede Möglichkeit der Verteidigung als “rechtlich” etikettiert werden kann.
Natürlich wird von der Leyen versuchen, auf irgendeine Art zu signalisieren, dass damit nur die Russen gemeint sind und niemand sonst. Sie wird es aber nur auf eine Weise tun können – indem sie die Maßnahme ethnifiziert. Sprich, die gesetzliche Formulierung muss sich explizit auf russisches Eigentum beziehen, als Eigentum von Russen, denen danach jedes Eigentum genommen werden kann, sei es staatlich oder privat. Dabei ist dann auch interessant, wie der Unterschied zwischen “guten” und “bösen” Oligarchen gezogen werden soll… mit “Erkenntnissen befreundeter Dienste”? Durch Aufgabe der russischen Staatsbürgerschaft mit öffentlichem Abschwören? Da man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass die Sanktionslisten ständig erweitert werden sollen, bleibt eigentlich nur, die Staatsangehörigkeit selbst bereits im Grunde zum Vergehen zu erklären…
Für eine ethnifizierte Enteignung in Friedenszeiten gibt es nur ein historisches Vorbild, auf das auf die eine oder andere Art und Weise zurückgegriffen werden muss. An dem hatten sogar Mitglieder der Partei, der Ursula von der Leyen angehört, mitgearbeitet, wenn auch in einer früheren Phase ihrer Karriere. Insbesondere ein gewisser Hans Globke. Wir reden von den Arisierungsgesetzen der Nazis.
Die EU-Kommission und ihre Einsatzgruppe haben also genau zwei Möglichkeiten. Entweder, sie bewegen sich ins Kriegsrecht, was die “Nebenwirkung” verringern würde, weil die anderen möglichen Betroffenen zumindest davon ausgehen könnten, dass sie nicht mit gemeint sind, solange sie sich mit den Staaten des Westens nicht im Krieg befinden. Oder sie greift auf ein Muster zurück, mit dem sie sich in eine eindeutige Tradition begibt.
Nachdem von der Leyen bereits im Mai davon gesprochen hatte, sich die eingefrorenen Vermögenswerte aneignen zu wollen, und seitdem nichts weiter geschah, war fast zu hoffen, sie habe diese Idee aufgegeben. Dass sie sie jetzt wieder hervorgekramt hat und mit Eifer verfolgt, könnte mit der Tatsache zu tun haben, dass insbesondere die 300 Milliarden russischen Staatvermögens für die Eurokraten immer verlockender glänzen (wieviel auch immer davon in der EU lag), vor dem Hintergrund einer abstürzenden Wirtschaft und zunehmend scheiternder Versteigerungen von Staatsanleihen. Irgendwoher muss das Geld kommen, mit dem man das ukrainische Militär am Laufen halten will. Warten wir ab, ob sie den Rückgriff auf Globke wagt.
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