
Von Dagmar Henn
Diese Mischung aus Rachefeldzug und Eroberungsversuch, die US-Präsident Donald Trump gerade vor der Küste Venezuelas inszeniert, wird immer wilder. Inzwischen ist die aufgefahrene US-Marine samt Flugzeugträgergruppe dazu übergegangen, Tanker zu kapern; am liebsten solche, die Öl zwischen Venezuela und Kuba transportieren, weil man damit die Kubaner auch noch leiden lassen kann – auch wenn gerade dieses Öl eher nicht zur Finanzierung der venezolanischen Regierung beiträgt.
Dabei ist sein Ansinnen, bei der Gelegenheit auch noch angeblichen “US-Besitz” in Venezuela wieder zu beanspruchen, kein Beitrag dazu, sich in Lateinamerika beliebt zu machen. Es mag ja eine Reihe von Präsidenten geben, die ihn toll finden. Aber in den Armeen der jeweiligen Länder könnte das ganz anders aussehen. Die empfinden dieses US-Gehabe vermutlich als unmittelbare Bedrohung.
Irgendwie überschlägt sich das gerade. Schweden hat gerade erst ein russisches Frachtschiff durchsucht, das vor der schwedischen Küste einen Maschinenschaden erlitten hatte, sozusagen die schwedische Variante des Tankers Eventin, der seit bald einem Jahr vor Rügen liegt, weil sich der deutsche Zoll einbildet, ihn beschlagnahmen und verwerten zu können (und damit vorerst eine gerichtliche Niederlage erlitten hat). Die USA haben unter Einsatz ihrer nautischen Macht bisher drei Tanker gekapert und in US-freundliches Gebiet entführt, um dann auch noch das Öl zu klauen. Mit derselben, sturzdämlichen Begründung, mit der auch die EU-Länder samt den Briten ihren maritimen Terror in der Ostsee rechtfertigen: “Schattenflotte”.
Wobei egal ist, wie oft in den westlichen Medien die Zeilen mit diesem Propagandabegriff dekoriert werden, an der Rechtslage ändert das nichts – dieses ganze Spiel ist illegal. Was mit der Extraterritorialität von Schiffen, selbst wenn sie im Hafen liegen, anfängt, und mit der Komplexität des Seehandels endet, bei dem ein in Land A gebautes Schiff unter der Flagge von Land B fährt, in Land C gemanagt wird, von einer Mannschaft aus Land D und E bedient wird, Fracht aus Land F geladen hat, um sie in Land G abzuliefern (wobei die Eigentumsverhältnisse dieser Fracht während des Transports auch noch verschiedene Gestalten annehmen können, obwohl ein Eigentumsübergang beim Ablegen unter Nutzung von Wechseln die häufigste Version sein dürfte), während das Ergebnis dieses ganzen Aufwands letzten Endes beim Besitzer dieses Schiffes landet, der dann in Land H sitzt.
Daher stellt es eine eigenartige Mischung aus Idiotie und Komik dar, wenn die ganze Zeit beispielsweise von einer “russischen Schattenflotte” die Rede ist. Oder eben von einer venezolanischen. Die ist genauso venezolanisch wie die russische russisch.
Allerdings – wenn man die Schiffe betrachtet, die in der Ostsee bisher zum Gegenstand irgendwelcher Maßnahmen wurden, könnte man fast glauben, dass es wirklich russische Tanker gar nicht gibt. Russisch in dem Sinne, dass sie unter russischer Flagge fahren, und beispielsweise Sowkomflot gehören, also auch im russischen Eigentum sind. Die gibt es aber; sie sind auch ziemlich rege unterwegs, vor allem nach Indien und China. Der Grund, warum man an ihnen seine Piratenkunststücke weniger gern übt, ist simpel: Ein Angriff auf ein russisch beflaggtes Schiff ist ein Angriff auf russisches Gebiet, also eine Kriegshandlung gegen einen Gegner, der durchaus zu reagieren vermag.
Was bei Panama oder Benin oder auch den Jungferninseln ganz anders aussieht, die ihre Staatskasse mit den Einnahmen aus dem Register etwas auspolstern, aber sich keinesfalls mit einem größeren Gegner anlegen wollen.
Die Spielchen der USA waren schon allein deshalb interessant, weil der Eigentümer eines der gekaperten Schiffe in Hongkong sitzt, also in China. Ob das Absicht war, oder mangelnde Recherche, weil man der Marine keine Vollversion eines Schifftrackers gegönnt hat, in der auch der Eigner problemlos nachzuschlagen ist – wer weiß. Auf jeden Fall kann man jetzt abwarten, was sich China Hübsches einfallen lässt. Wenn man sich an die Nummer mit den seltenen Erden erinnert – da wird etwas kommen. Und es wird überraschend sein, und wehtun.
Lindsey Graham, einer der berüchtigsten Kriegstreiber im US-Senat, hat gerade wieder getönt, die USA sollten auch Tanker mit russischem Öl kapern. Die Sekundärsanktionen gegen Länder, die russisches Öl kaufen, die er schon länger fordert, sind ihm nicht mehr genug. “Kassiert Schiffe, die sanktioniertes russisches Öl fahren, wie ihr das in Venezuela macht.”
Ja, selbst Graham sagt die entscheidende Hälfte des Satzes nicht, denn auch er dürfte damit vor allem Schiffe meinen, die nicht unter russischer oder chinesischer Flagge fahren. Aber die zunehmende Neigung zu illegalen Eingriffen in die internationale Schifffahrt wird sich, über kurz oder lang, auf die eine oder andere Weise bemerkbar machen, und keine davon wird dem Westen gefallen.
Die erste Variante gab es schon ansatzweise in der Ostsee: Die Tanker, egal unter welcher Flagge, werden von einem russischen Kriegsschiff begleitet. Militärischer Schutz für einen Konvoi, das gab es historisch schon öfter, in der Extremversion ausgerechnet durch die US-Marine bei der Blockade Englands im Zweiten Weltkrieg durch die deutschen U-Boote. Nichts Neues, aber es erhöht das Risiko eines Übergriffs beträchtlich.
Die zweite Variante wäre ebenfalls denkbar: China und Russland machen ein Angebot, umzuflaggen, also Tanker und andere Schiffe dort zu registrieren, was die Schiffe dann zu ihrem Staatsgebiet und damit einen Übergriff auf dieses Schiff ebenfalls zu einem Angriff gegen das Flaggenland macht, nur dass in diesem Fall das Flaggenland viele eigene Schiffe hat. Böse Schiffe mit bösen Raketen.
Es gibt noch eine dritte denkbare Version, die jedoch auf rechtliche Hindernisse stößt. Schließlich wenden sich Russland und China regelmäßig gegen einseitig verhängte Sanktionen, die völkerrechtlich nicht gedeckt sind: Rechtmäßig darf einzig der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängen. Alles, was die USA und die EU an Sanktionen aufgetürmt haben, gilt rechtlich nur auf deren eigenem Staatsgebiet und keinen Zentimeter darüber hinaus, schon gar nicht auf den Weltmeeren.
Also werden weder China noch Russland Sanktionen gegen die USA verhängen, obwohl nach deren eigenem Maßstab sowohl die Unterstützung des israelischen Genozids als auch dieser Blockadeversuch gegen Venezuela als Rechtfertigung dienen könnten.
Aber das heißt nicht, dass ihnen nicht doch noch etwas einfällt. Keine Sanktion. Aber irgendein kleiner Verstoß gegen irgendwas, wegen dem man dann einige Waren zurückhalten kann, so wie mit den seltenen Erden, oder Schiffe zu Inspektionen aufhalten oder solche Dinge. Peking ist da ziemlich kreativ.
Ja, und leider gibt es auch die ganz böse Version, sowohl vor Venezuela als auch in der Ostsee. Wenn all diese Maßnahmen nichts fruchten und die Angriffe auf den Seehandel fortgesetzt werden, wird letzten Endes die Blockade die klare Reaktion erzwingen, die eine Kriegshandlung als Kriegshandlung erwidert.
Und jetzt? Das russische Außenministerium schreibt von einem Telefonat zwischen Sergei Lawrow und dem venezolanischen Außenminister Yván Gil. Sie hätten, so die Erklärung zu diesem Gespräch auf Mid.ru, “ihre tiefe Besorgnis angesichts der Eskalation der Handlungen Washingtons in der Karibik” zum Ausdruck gebracht, die “schwerwiegende Folgen für die Region haben und den internationalen Schiffsverkehr gefährden könnten”. Es ist der letzte Satz, der warnen sollte. Auch wenn im Weiteren vor allem von diplomatischen Bemühungen die Rede ist – Lawrow weiß, dass die Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Dienstag, in der die US-Piraterie Thema sein wird, dank des US-Vetos keine wirkliche Rüge erteilen wird.
Die Hoffnung der EU bei ihren Manövern ist, sich vor den eigenen Bürgern aufblasen zu können und sie mit der “russischen Gefahr” in Schach zu halten. Die Hoffnung der USA bei ihrer Blockade Venezuelas ist, dass sie auf diese Weise die venezolanische Ökonomie und dann die venezolanische Regierung abstürzen lassen können. Aber die Rechnung beider geht nur dann auf, wenn die großen Spieler, Russland und vor allem China, diese Zerstörung des Völkerrechts nicht beantworten. Aber darauf sollte man keine Wetten abschließen.
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