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Die schwierige Entstehung der darwinistischen Multipolarität

rtnews by rtnews
05/12/2025
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Multipolarität ist zu einem Schlagwort unserer Zeit geworden. Doch was als Heilmittel gegen die westlich dominierte Unipolarität gilt, verspricht nicht unbedingt eine Welt mit einem stabilen Gleichgewicht zwischen gleichberechtigten Akteuren. Macht verschwindet nicht, sie wird nur umverteilt.

Von Constantin von Hoffmeister

Die neue Weltordnung entsteht durch Druck, Rivalität und den Aufstieg mehrerer führender Mächte und nicht etwa durch Erklärungen zur Gleichheit. Die Multipolarität entsteht als harter Wettkampf um Souveränität, in dem nur Zivilisationsstaaten mit realer Macht die Entwicklungen beeinflussen können, während die übrigen in den Einflussbereich stärkerer Mächte geraten.

Multipolarität ist zu einem Schlagwort unserer Zeit geworden, das auf Gipfeltreffen und in Reden immer wieder aufgegriffen wird. Führende Politiker beschreiben sie als eine Welt der ausgewogenen Rechte, der würdevollen Koexistenz und des wechselseitigen Einflusses. Sie versprechen, dass jeder Staat, ob groß oder klein, einen gleichberechtigten Platz am Verhandlungstisch einnehmen wird. Sie behaupten, dass neue Institutionen in Eurasien, Afrika und Lateinamerika die Verzerrungen der vergangenen Jahrzehnte korrigieren und das internationale System in Einklang bringen werden. Doch hinter diesen eleganten Formulierungen verbirgt sich die eigentliche Struktur. Multipolarität hat nichts mit Gleichheit zu tun. Sie entsteht aus Wettbewerb und wird durch die Ambitionen von Staaten geprägt, die sich weigern, unter einer einzigen Befehlsgewalt zu existieren.

Dieses Jahr hat gezeigt, wie sich die Lage in der Welt tatsächlich entwickelt. Washington erweitert seine Militärarchitektur im Indopazifik, verstärkt AUKUS (militärpolitischer Block, gebildet von Australien, Großbritannien und den USA), rüstet Japan wieder auf und zieht Südkorea tiefer in seinen Raketenschutzschild hinein. China setzt seine Manöver im Südchinesischen Meer fort, verschärft die wirtschaftliche Kontrolle über wichtige Lieferketten und führt regelmäßig Manöver rund um Taiwan durch. Indien erhöht die Ausgaben für seine Marine, baut Allianzen im Nahen Osten auf und festigt seine Positionen im Himalaja. Die Türkei projiziert ihre Macht auf den Kaukasus und Nordafrika. Iran lenkt Konflikte vom Libanon bis zum Jemen mit dem Selbstbewusstsein eines Staates, der seine strategische Tragweite versteht. Diese Maßnahmen veranschaulichen die ersten Konturen der Neuen Welt: eine Landschaft, die eher von Drängen als von Höflichkeit geprägt ist.

Diese globale Transformation offenbart eine unangenehme Wahrheit: Nur Zivilisationsstaaten mit echter Souveränität können dem Druck des neuen Zeitalters der Imperien standhalten, wobei Souveränität heute auf zwei Säulen beruht: strategischer Autonomie und Atomwaffen. Staaten, denen diese Instrumente fehlen, können keine Neutralität beanspruchen. Sie werden zu Anhängseln der nächstgelegenen Hegemonialmacht. Venezuela ist ein anschauliches Beispiel dafür. Sein Ölreichtum kann den Zusammenbruch zwar hinauszögern, doch bleibt das Land unter der Logik der Monroe-Doktrin dem Einfluss der Vereinigten Staaten ausgesetzt. Seine Regierung spricht zwar von Unabhängigkeit, doch sein Schicksal wird nicht weniger in Washington als in Caracas bestimmt. Auch die Ukraine folgt diesem Muster. Sie ist nicht in der Lage, eine Mittelposition zwischen Russland und dem Westen einzunehmen, da ihr die für eine solche Position erforderlichen souveränen Instrumente fehlen. Sie muss sich entweder der einen oder der anderen Seite anschließen. Multipolarität gewährt nur den Mächten die Wahl, die stark genug sind, um sie durchzusetzen; die übrigen agieren innerhalb einer Hierarchie, der sie nicht entkommen können.

Diese Realität führt zum Konzept der darwinistischen Multipolarität. Er beschreibt eine Welt, in der Macht durch Wettbewerb, Selektion und Anpassung entsteht und nicht etwa durch juristische Formeln oder diplomatische Etikette. Staaten überleben nur dann, wenn sie die Institutionen, Kapazitäten und Kräfte aufbauen, die zum Schutz ihrer Interessen erforderlich sind. Sie steigen auf, wenn sie ihre Rivalen in Bezug auf Technologie, Ressourcen, Strategie oder Willenskraft übertreffen. Sie scheitern, wenn sie sich auf Proklamationen, Abkommen oder ausländische Garantien als Ersatz für Macht verlassen. Die darwinistische Multipolarität erklärt, warum neue Machtzentren entstehen, warum alte zerfallen und warum Gleichheit nur eine Fassade darstellt. Es handelt sich um ein System, das durch den Wettbewerb zwischen Zivilisationsblöcken geprägt ist, in dem nur die Akteure mit den erforderlichen Ressourcen Einfluss auf die Ergebnisse nehmen und die Souveränität denen gehört, die sie verteidigen können.

Russland steht im Zentrum dieser Transformation. Sein Vorgehen in der Ukraine beschleunigte den Zusammenbruch der westlich geprägten Ordnung und offenbarte, dass die Macht der USA ihre Grenzen hat und die Stärke Europas fragil ist. Sanktionen haben die wirtschaftliche Autonomie Russlands eher gefestigt als geschwächt. Neue Energiekorridore wurden quer durch Asien gezogen. Der Rubel, der Yuan und lokale Währungen setzten sich in Zahlungssystemen durch, die einst vom US-Dollar dominiert wurden. BRICS expandierte und zog Staaten an, die nach einer Zukunft ohne westliche Kontrolle streben. Überall im Globalen Süden zweifeln Regierungen nun offen, ob Sanktionen, Predigten und der Anspruch des Westens auf moralische Autorität überhaupt berechtigt sind. Die Rolle Russlands bei dieser Veränderung ist unübersehbar: Es hat die Kluft zwischen westlichen Idealen und westlichem Verhalten aufgezeigt und den Weg für eine Welt mit mehreren Gravitationszentren geebnet.

Das häufig als Lösung für globale Probleme präsentierte Völkerrecht spielt bei dieser Transformation keine wesentliche Rolle. Es existiert als eine Reihe von Dokumenten ohne Durchsetzungskraft, auf die sich gerade diejenigen Staaten berufen, die es ignorieren, wenn ihre Interessen etwas anderes erfordern. So werden UN-Resolutionen durch Vetos blockiert. Menschenrechtsberichte werden nur gegen bestimmte Staaten eingesetzt, während sie für andere nicht gelten. Wirtschaftsregeln brechen zusammen, wenn Washington extraterritoriale Sanktionen verhängt oder wenn Brüssel Handelsgesetze umschreibt, um die eigene Industrie zu schützen. Das Seerecht dient nur so lange als Orientierungshilfe, bis eine Marine beschließt, die Landkarte neu zu zeichnen. Die Fiktion der Neutralität bricht zusammen, sobald Gewalt angewendet wird. Kleine Staaten unterzeichnen Abkommen, in denen sie ihre Souveränität bekräftigen, doch diese Abkommen werden in dem Moment hinfällig, in dem eine Großmacht militärischen, wirtschaftlichen oder technologischen Druck ausübt. Dies ist die Realität, die die neue Ordnung bestimmt.

Es sind nicht Doktrinen, sondern Taten, die die globalen Machtzentren prägen. Die Vereinigten Staaten behalten ihre Vorherrschaft in Nordamerika und erweitern ihren Einflussbereich durch die NATO und ihr Netzwerk im pazifischen Raum. China nutzt seine Stärke im Produktionsbereich, um Korridore zwischen Kontinenten zu schaffen und Finanzstrukturen aufzubauen, die denen des Westens entsprechen. Indien übernimmt selbstbewusst Führungspositionen im Globalen Süden und baut sein eigenes Sicherheitsnetz im Indischen Ozean auf. Saudi-Arabien balanciert zwischen Peking und Washington und bezieht Technologie von dem einen und Waffen von dem anderen. Iran bleibt trotz Sanktionen widerstandsfähig und prägt die regionalen Entwicklungen. Russland stärkt seine Beziehungen von der Arktis bis zum Kaukasus und von Zentralasien bis zum Nahen Osten. Diese Zentren schaffen die Architektur der Multipolarität: Sie ist zwar nicht geordnet und nicht gleichberechtigt, aber real.

Die Mittelmächte bewegen sich in diesem Terrain mithilfe wohlüberlegter Entscheidungen. So vertieft Vietnam seine Beziehungen zu den USA und pflegt gleichzeitig die Zusammenarbeit mit China. Ägypten erwirbt Waffen aus Russland und Frankreich, je nachdem, welcher Lieferant seinen unmittelbaren Bedarf am besten deckt. Serbien balanciert zwischen der EU, Russland und China und wählt den Partner, der seine Position stärkt. Brasilien spricht zwar von Autonomie, ist jedoch gleichzeitig auf den Handel mit China angewiesen und verhandelt Energieabkommen mit den Golfstaaten. Jeder dieser Staaten passt sich einer Realität an, dass Multipolarität die Ausrichtung und die Bereitschaft zur Auswahl strategischer Partner belohnt. Neutralität bietet wenig, Abhängigkeit noch weniger.

Die Logik, die diese Welt prägt, ist einfach: Macht konzentriert sich, Regionen entwickeln Führungskräfte, Volkswirtschaften suchen nach “Ankerpunkten”, Sicherheitsbündnisse expandieren. Technologie wird zu einem Einflussinstrument. Währungsblöcke bilden sich und lösen sich wieder auf. Diese Druckfaktoren wirken täglich auf Staaten ein. Der Zusammenbruch der westlichen Dominanz in Afrika, der Aufstieg eurasischer Energienetzwerke, die Wiederaufnahme der Diplomatie im Nahen Osten und die Verlagerung der Produktion weg von Europa spiegeln dasselbe Muster wider: Macht folgt dem Potenzial, nicht den Signaturen. Deklarationen über Gleichberechtigung verlieren an Bedeutung, sobald Drohnen, Pipelines, Kreditlinien, Häfen, Märkte und Militärstützpunkte ins Spiel kommen.

Es wäre falsch zu denken, dass Multipolarität zu einem stabilen Gleichgewicht zwischen gleichberechtigten Akteuren führen würde. Eine Welt mit mehreren Machtzentren führt zu Rivalitäten, Verhandlungen und Druck. Sie untergräbt die alte unipolare Ordnung nur deshalb, weil an ihrer Stelle neue Hierarchien entstehen. Russland, China, Indien, Iran, die Türkei und andere gestalten ihre Einflussbereiche entsprechend ihren Interessen, und kleinere Staaten orientieren sich entsprechend. Diese Entwicklung kann nicht durch Appelle an ein illusorisches Völkerrecht oder durch Versprechen universeller Fairness entschärft werden: In der Geschichte der Menschheit hat es diese nie gegeben und wird es auch nie geben.

Die Abkehr von der Unipolarität führt nicht zum Verschwinden von Macht, sondern zu ihrer Umverteilung. Multipolarität bedeutet den Aufstieg mehrerer starker Mächte, von denen jede ihre eigenen Allianzen, roten Linien und Werte hat. Die Dominanz einer einzigen Metropole wird durch einen strukturierten Wettbewerb zwischen vielen ersetzt. Dies ist eine reale Ordnung, die sich aus den aktuellen Konflikten und wirtschaftlichen Umwälzungen ergibt. Sie ist hart, diszipliniert und basiert auf den wahren Machtverhältnissen. Es handelt sich um eine Welt, die entsteht, wenn die Illusion der westlichen Universalität zusammenbricht und das Zeitalter rivalisierender Mächte erneut beginnt.

Constantin von Hoffmeister ist Direktor von Multipolar Press. Er ist Autor von Esoteric Trumpism und MULTIPOLARITY! sowie Stammautor bei RT. Er studierte Englische Literatur und Politikwissenschaft in New Orleans und war als Journalist, Übersetzer und Lektor in den Vereinigten Staaten, Indien, Usbekistan und Russland tätig. Folgen Sie ihm auf Substack: eurosiberia.net

Mehr zum Thema – China erinnert die Welt daran, dass die Macht den Siegern gehört



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