Eine Analyse in zwei Teilen
Von Elem Chintsky
Mindestens seit dem “11. September 2001” mit der Zerstörung der drei WTC-Gebäude in New York, den darauffolgenden, völkerrechts- und verfassungswidrigen US-Kriegen in Afghanistan oder Irak, dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien sowie auch der sogenannten “Revolution der Würde” in Kiew seit Ende 2013, wurde der Begriff des “Informationskrieges” ratenweise etabliert und immer mehr zu einem Wort des allgemeinen Sprachgebrauchs. Mindestens seit Gustav Le Bons “Psychologie der Massen”, der Arbeit Walter Lippmanns und Edward Bernays’ “Propaganda” sind die Grundprinzipien für die freie Gestaltung und Lenkung der Wahrnehmung enormer Volksgruppen durch eine äußerst ressourcenreiche Minderheit – mittels Ton, Bild und Schrift – beschrieben und systematisiert worden. Die Wirklichkeit dessen, was auf der Erde geschieht, wird durch Sprache artikuliert und erfasst – man findet kaum einen Akademiker, der dem widersprechen wird. Wenn also “Deepfakes” die Welt der Sprache betreten, heißt es, hellhörig zu werden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Geburt der klassischen, repräsentativen Demokratie-Ordnung in Europa, die mit dem Ende des Ersten Weltkrieges eingeleitet wurde, parallel mit der Popularisierung des Konzepts der auszuschlachtenden “Massenpsychologie” einherging. So wird der demokratische Prozess an sich massenpsychologisch geleitet und gespeist. Für die radikalen Individualisten unter uns ist das wohl die nur schwer zu schluckende Pille, weshalb man sich oft auf eine “Unwissenschaftlichkeit” dieser angeblich verschwörungstheoretischen These der “systemischen Kontrolle von oben” berufen möchte.
Stattdessen vertritt mancher den naiven Glauben, dass man “per Zufall” und aufgrund “wissenschaftlicher Gründlichkeit” mit der absoluten Mehrheit der Gesellschaft immer die “richtige Meinung” teilt. Dass auch noch jemand aus niederen Beweggründen etwas – wie etwa vorsätzlich eine Brutkastenlüge – in den Umlauf der Massenmedien bringen würde, ist für solche aufgeklärten Faktenkenner vollkommen ausgeschlossen, und zwar besonders im Westen.
Aber es bleibt eine Tatsache, dass über akribisch konzipierte und auf die Massen zugeschnittene Werbekampagnen und Narrative gezielt ganze Wirtschaftszweige monetarisiert wurden und werden, was sonst unmöglich wäre. So geschieht es auch in der Politik und der ihr weitestgehend zuarbeitenden “vierten Gewalt”. Auch der “gute Ruf” einer Idee oder deren Verfechter – einer öffentlichen Person, einer politischen Partei, einer Universität oder eines Amtes – wurden und werden weiterhin über die Medien moduliert, ähnlich einem Töpfer mit seinem formbaren, rotierenden Tonklumpen. Heute ist permanente “Öffentlichkeitsarbeit” im gesellschaftlichen Diskurs so unabdingbar wie das Benzin an der Tankstelle, fließendes Wasser, der Geruch von frisch gebackenem Brot sowie das Brot selbst. Dieser kommerzielle Aspekt der Wahrnehmungskontrolle, Bedürfnisstimulation und Werte-Suggestion ist nicht nur auf lineares Konsumverhalten anzuwenden, sondern auch auf langfristig angesetztes, ideologisches Verhalten.
Nimmt man indessen die Schablone des US-Psychologen Abraham Maslow – seine Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse – wird die seit hundert Jahren dauernd weiter militarisierte Massenpsychologie konzentriert auf der Trieb- und Überlebensebene, der untersten Stufe von Maslows Pyramide. Indem man nämlich de facto die hedonistischen Thesen erst von Wilhelm Reich, dann Herbert Marcuse den Massen als falsche Spitze der Pyramide unterschiebt. Marcuses Prognosen in den 1950er Jahren (“Eros und Zivilisation”, 1955), dass die bald kommenden Pandemien an narzisstischen Persönlichkeitsstörungen eine “potenziell emanzipatorische Kraft” inne hätten und man sich die Möglichkeiten des Narzissmus zivilisatorisch zu eigen machen müsse, wird zwar heute ungern zugegeben, jedoch von den neuen Medien als gegeben propagiert. Des Weiteren ist anhand des gegenwärtigen Diskurses klar erkennbar, dass es auch nicht gerade grobkörnige Kritik hagelt seitens der öffentlichen und staatlich attestierten Intellektuellen. Unterschwellig wird das Vermächtnis von Marcuse und seiner geistigen Jünger in alle Venen des heutigen Gesellschaftskörpers gepumpt.
Diese listige Zusatzlast nimmt das Individuum meist unterbewusst mit auf den Weg beim Versuch, Maslows Pyramide aufrichtig zu erklimmen – wie ein postmoderner Sisyphos. Die meisten brechen aber nicht einmal auf, resignieren in der Lethargie und dem materialistischen Determinismus oder akzeptieren die unterste Schicht von Maslows Pyramide bereits als die zu erreichende Bergspitze innerhalb von Platons Höhle voller sexualisierter Schatten.
Über eine Flut an eben sexualisiertem, gewalttätigem, furchteinflößendem, Existenzängste oder Empörung erzeugendem Informationsfluss werden ideologische Muster mitgesendet, platziert und implantiert. Die zeitgleich laufende, oberflächliche Vergöttlichung des Ichs in den sozialen Medien – das narzisstische “Selfie”-Phänomen der Selbstbefriedigung – hat psychologisch kaum mehr etwas mit den zwei obersten Schichten von Maslows Pyramide der menschlichen Bedürfnisse gemein: Liebe und Nähe geben und empfangen sowie die persönliche und für die eigenen Nächsten vorteilhafte Selbstverwirklichung.
Anfälliger menschlicher Geist – aufdringliches Bewegbild
Genauso wenig sollte die Geburt des Mediums Film außer Acht gelassen werden – ironischerweise bezeichnet dies ebenfalls das Veröffentlichungsjahr von Le Bons obigen Werk: nämlich 1895. Auch die bewegte Bildsprache – wie vorher die statische – ist eine vom Menschen geschaffene Sprache, die seine Wirklichkeit bestimmt und auch die Art und Weise, sie wahrzunehmen und von anderen wahrnehmen zu lassen.
All der bisher genannte theoretische Unterbau ist dem erstgenannten Begriff des “Informationskrieges” beizulegen. Alle Informationen, die uns sensorisch erreichen, prägen das Weltbild von jedem einzelnen als Empfänger. Es stellt sich indessen heraus, dass dies ein entscheidendes – aber nicht das einzige – Attribut der sogenannten “Kriegführung der 5. Generation” ist. Konkreter – der Deepfake kündigt sich bereits als eines der wichtigsten Vehikel für diese Art Kriegführung an. Eine mit vielen Schichten geschaffene, digitale Wirklichkeitskonstruktion, die eine faktische Begebenheit mimt und als vermeintlich stattgefundene Wahrheit postuliert. Das klingt zwar sehr kompliziert, aber die Fallbeispiele sind so anschaulich, dass sofort klar wird, was gemeint ist und was für ein wuchtiges Missbrauchspotenzial sich dahinter verbirgt. Freilich, nicht erst heute würde uns die von den Brüdern Lumière mit Licht projizierte Ankunft einer Dampflokomotive in La Ciotat (1895–1896) in Schwarzweiß nicht mehr in die Angst versetzen, unmittelbar von dem Zug überrollt zu werden – so abgeklärt und routiniert waren schon unsere Großeltern in ihrer Medienkritik. Das ist aber noch kein Grund, sich heute auf seinen kognitiven Lorbeeren auszuruhen. Immerhin reichten archaische und längst als Lügen beurkundete Deepfakes – wie der Tonkin-Zwischenfall oder die “Existenz” von Massenvernichtungswaffen im Irak – den USA aus, um ihnen jeweils den Eintritt in den Vietnamkrieg (1965) und den Beginn des Irakkrieges (2003) zu rechtfertigen.
Heute sind Deepfakes noch weit avancierter und sollten, statt anfangs lediglich behauptet, von Null auf konstruiert werden. So ist zumindest für die Zocker unter uns die Softwarearchitektur des Videospiel-Entwicklers “Epic Games” ein Begriff: die sogenannte Unreal Engine der 5. Generation. Diese digitale 3D-Umgebung ist mittlerweile so hochentwickelt, dass die visuellen Ergebnisse der jüngsten 18 Monate in ihrer Wirklichkeitsnähe bahnbrechend sind.
Ein flüchtiges Beispiel zeigt eine Augmentation aus einem real gefilmten Hintergrund und einem digital konstruierten, brennenden Fahrzeug, das realistisch anmutend qualmt. Es ist hier noch an der feinen Grenze des willentlichen Aussetzens der eigenen Ungläubigkeit. Würde uns aber dies in der abendlichen Nachrichtensendung übermorgen in einer raschen Montage präsentiert werden, wäre es von uns emotional akzeptiert. Da wir aber über den Deepfake vorgewarnt wurden, können wir sogar noch Verbesserungsvorschläge machen: Der Rauch verschwindet bislang etwas zu schnell, verfliegt eher noch wie Wasserdampf. Der Fotorealismus wurde hier noch ein wenig zu gierig erzwungen – oder zu eilig eingereicht. Aber alle wichtigen Grundbausteine für eine “Parallel-Realität” – erdichtet aus einem Mosaik der Deepfakes – sind bereits vorhanden. Die zu betätigenden Regler für eine Feinabstimmung existieren bereits und müssen lediglich etwas nachjustiert werden. Wie auch immer man es aber dreht: die nahe Zukunft birgt eine tiefe Krise der Wahrnehmung. Was wird man imstande sein zu glauben? Wie gedenken die Systemmedien, ihre Klientel über diese neue Ära der sensorischen Ungewissheit hinwegzutrösten?
Jedenfalls waren die größten künstlerisch-ästhetischen Herausforderungen in der 3D-Videospielbranche seit Beginn der 2000er Jahre die realistische Darstellung von Feuer, Rauch, Wasser und naturgetreuer menschlicher Mimik und Gestik. Die Unreal Engine 5 wird aber nicht nur für Videospiele genutzt. Auch Kino und Fernsehen sowie US-Behörden sind schon seit Jahren auf die Nutzung der Unreal Engine-Technologie angewiesen. Womit wir bereits bei den Plänen des US-Staates (und aller zur Nachahmung verleiteten anderen Staaten) wären.
Deepfakes zur Rettung der Pax Americana?
Im Februar 2023 wurde ein Papier des United States Special Operations Command (USSOCOM) veröffentlicht. Auf Seite 16 (Abschnitt 4.3.1.4) wird der Einsatz von Deepfakes als legitimes Mittel für sogenannte “Military Information Support Operations” (MISO) beworben. MISO ist deren aktuellste “Neusprech”-Variante für “psychologische Operationen” (PsyOps) und bezeichnet somit auch weiterhin einen Krieg um die Wahrnehmung und traumatisch gelenkte Perzeption der in “Demokratie” lebenden Massen mit audiovisuellen Mitteln, wodurch künstlich, also virtuell herbeigeführte Zustände von – auch kollektiv verspürter – Angst, Furcht, Ungewissheit und Dringlichkeit suggeriert bis forciert werden.
Bisher kannte man Deepfakes eher aus den sozialen Medien im Kontext der Unterhaltung oder Satire. Zum Beispiel Gesichter von Prominenten, die auf herkömmliche Menschen “gelegt” werden und die Illusion einer naturalistisch aufgenommenen Abbildung der Berühmtheit darstellen. Das menschliche Auge – besonders das eines in den neuen Medien versierten Menschen – kommt gerade noch hinterher, um den Schein zu durchschauen. Im Abschnitt 4.1.1.2 des USSOCOM-Dokuments – dessen operative Gültigkeit und Relevanz mindestens bis Dezember 2025 terminiert ist – heißt es ferner, dass Sensoren- und Lesefähigkeiten für staatliche Einsatzgruppen verfügbar gemacht werden sollen:
“Die Softwareanwendungen sollten auf Smartphones funktionieren können. Andere Optionen für die Stand-off-Biometrie umfassen eine Entfernung von bis zu 8 Fuß [2,43 Meter] mit der Fähigkeit, schnell physische, verhaltensbezogene, physiologische und/oder elektromagnetische Signaturen zu erfassen, die der Betreiber verwenden kann, um die Antwortraten zu messen, einen Vertrauensfaktor zu liefern und bei der Bestimmung der Gesamteffektivität der Kampagne zu helfen.”
Mit einfachen Worten: man will unter der Regie von militarisierten Staatsakteuren – weitestgehend digital und das “Internet der Dinge” um uns herum nutzend – aus nächster Nähe fähig sein, neben der Verbreitung auch noch alle “Propaganda-Effekte” einer psychologischen Operation beim Empfänger als ein Subjekt (hier: ein aufgeklärter Bürger) in Echtzeit zu messen, zu quantifizieren und bei Bedarf anzupassen.
Unter 4.2.2.4 fabulieren die Kollegen des United States Special Operations Command über “das Senden und Empfangen von Nachrichten” im ländlichen oder urbanen Gebiet dank sogenannten “UAS payloads” (zu Deutsch: “von Flugdrohnen transportierte Nutzlasten”). In der langen Liste dieser Anwendungskategorie nennen sie sogar eine “holographic projection capability” (zu Deutsch: “die Fähigkeit zur holografischen Projektion”), welche an die normativ-offizielle “Verschwörungstheorie” namens Project Blue Beam erinnert. Hier schließt sich der Kreis mit dem am Anfang ausgeführten Aspekt der Wirkung und affektiven Durchschlagskraft bewegter Bilder und ihrer weiteren Verfeinerung, die derzeit über die Videospiel- und Kinoindustrie vollzogen wird.
Wer dieser ganzen These skeptisch gegenübersteht oder sich gar immun fühlt gegen jegliche in der Zukunft an ihn gerichtete audiovisuelle Täuschungsmanöver und Propaganda-Kampagnen, sei an den Hollywood-Film “Wag the Dog” (1997) erinnert. Die Szene mit der noch jungen Kirsten Dunst, die vor einem Bluescreen auf einem Filmset schauspielert, und den Fernsehleuten, die mit einer Technologie hantieren, die erst heute zur Verfügung steht, lässt in Anbetracht des zuvor hier Ausgeführten staunen und Bange haben.
Insgesamt beschreibt die Handlung zwei ergiebige, einflussreiche Multimedia-Redakteure (Robert de Niro und Dustin Hoffman), die einen vollkommen erfundenen Krieg in Albanien inszenieren und über das US-Fernsehen als angeblich legitimierte Berichterstattung senden. Sie tun es wie klassische Magier, die von etwas ganz anderem abzulenken gedenken. Wer soll abgelenkt werden? Die wahlberechtigten, demokratischen, aufgeklärten Bürger. Wovon soll abgelenkt werden? Im Film ging es um einen Sex-Skandal des fiktiven US-Präsidenten. Der Film über “einen großen Deepfake” kam in die Kinos einen Monat bevor in “unserer Realität” die Affäre zwischen Monica Lewinsky und US-Präsident Bill Clinton erstmals bekannt wurde (Mitte Januar 1998). Und im Frühling 1999 begann mit dem US-Eintritt in den Kosovokrieg ein völkerrechtswidriges NATO-Bombardement – ein Krieg, in dem sogar Albanien gar keine unerhebliche Rolle spielte. Zufälle gibts, die gibts gar nicht!
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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