Von Timofei Bordatschow
Unter den Mitteln, über die der Westen in der heutigen internationalen Politik verfügt, nimmt die Strategie “Teile und Herrsche” traditionell einen wichtigen Platz ein. Vor allem, weil sie die Grundlage der Innenpolitik in den europäischen Staaten und den Vereinigten Staaten als deren kulturelles Erbe ist. Die Maximierung des Streits zwischen den Bürgern im Rahmen der westlichen Theorie rechtfertigt die Existenz des Staates selbst und der herrschenden Eliten – andernfalls werden sie überflüssig.
Das ständige Bestreben, andere Länder der Welt gegeneinander auszuspielen, bildet seit jeher die Grundlage der europäischen und US-amerikanischen Politik gegenüber der Welt. Und es ist kein Zufall, dass als eine der wichtigsten Errungenschaften der US-amerikanischen Diplomatie im 20. Jahrhundert die Schaffung eines Grabens zwischen den beiden Großmächten der sozialistischen Welt – der Sowjetunion und China – in den frühen 1970er-Jahren gilt.
Es gibt Gründe zu der Annahme, dass die Vereinigten Staaten versuchen werden, diese Erfahrung unter neuen Bedingungen zu wiederholen. Die Chancen, dass es zu einer solchen Spaltung zwischen den mächtigsten Gegnern des Westens kommt, sind allerdings gering bis gleich null.
Das wahrscheinliche Ende der akuten Phase der militärischen und politischen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen wird nicht zu einer Verschlechterung unserer Beziehungen zum befreundeten China führen. Allerdings führen die scheinbar lang erwarteten Veränderungen im Verhältnis zwischen Moskau und Washington unweigerlich zu einer gewissen Beunruhigung bei den Chinesen und zu dem Wunsch, ihre künftige Position darin zu verstehen.
In den letzten drei Jahren hat sich China, wie alle Länder der Weltmehrheit, mit der Position eines Beobachters der Konfrontation zwischen Russland und dem kollektiven Westen arrangiert. Die Zusammenarbeit mit China ist in diesen Jahren zu einem der wichtigsten Faktoren für die Stabilität Russlands geworden, auch wenn sie für uns nicht absolut entscheidend war. Keiner der externen Partner, auch nicht die freundlichsten Länder, kann eine solche Bedeutung haben, da Russland ein reiches und im Großen und Ganzen selbstversorgendes Land ist. Das Wachstum des bilateralen Handels und der Zusammenarbeit in anderen Bereichen hat jedoch trotz der bekannten Unebenheiten wesentlich dazu beigetragen, dass die Strategie der USA und Europas, “Russland zu isolieren”, gescheitert ist.
Gleichzeitig hat China konsequent als Friedensstifter agiert, indem es eine Gruppe von “Friedensfreunden” zusammenbrachte und den Westen daran hinderte, die Situation diplomatisch zu blockieren. Dadurch konnte China, ebenso wie Indien, seinen Einfluss auf der internationalen Bühne erheblich steigern.
Und zwar so ernsthaft, dass die Konfrontation Russlands mit dem Westen in der Ukraine laut hochtrabender Einschätzungen für die chinesische Außenpolitik eher günstig war. Unsere Gegner in den Vereinigten Staaten und Europa warfen sogar aktiv die Idee in die Diskussion ein, dass Moskau angeblich chinesischen Interessen “dient”. Das war natürlich völlig unzutreffend: Eine scharfe Konfrontation in Europa war ein Schlag für die Weltwirtschaft, von der China nun am meisten profitiert, und die Möglichkeit einer nuklearen Eskalation des Konflikts bedrohte das Überleben des Reichs der Mitte wie auch der meisten anderen Länder.
Wie dem auch sei, China konnte in den letzten Jahren nicht nur die Beziehungen zu Russland stärken, sondern auch die Situation nutzen, als die Hauptstreitkräfte der USA auf dem europäischen Schauplatz abgelenkt waren. Nun denkt Peking ernsthaft darüber nach, wie es das, was es geschaffen hat, bewahren und seine Politik an die Veränderungen in den Beziehungen zwischen Moskau und Washington anpassen kann.
Das ist nicht so einfach. Die meisten Beobachter neigen zu der Annahme, dass die Strategie der neuen US-Regierung auf eine Aussöhnung mit Russland abzielt: wenn nicht langfristig, so doch taktisch. Für China wecken solche Absichten den Verdacht, dass es sich nun als Hauptziel des US-Drucks wiederfinden wird.
Außerdem schreien die US-Amerikaner selbst an allen Ecken und Enden, dass sie es sind, die all ihre Kräfte bündeln müssen, um China zu kontern. Dies ist teilweise gerechtfertigt. Es ist kein Zufall, dass es in der Regierung von Donald Trump keinen einzigen Befürworter einer Stärkung der Beziehungen zu Peking gibt.
Die ernsthafteste Bedrohung für die Vereinigten Staaten ist China, nicht Russland. Es ist die Größe seiner Bevölkerung und damit sein Verbrauch: Wenn der Verbrauch der chinesischen Bevölkerung auch nur annähernd dem der Vereinigten Staaten nahekommt, werden die Ressourcen für beide nicht mehr ausreichen. Daher ist es für die USA seit vielen Jahren wichtig, Chinas Entwicklung zu bremsen und zu dessen wirtschaftlichen Problemen beizutragen.
Gleichzeitig erklären die US-Amerikaner sogar auf offizieller Ebene, dass sie die chinesisch-russische Partnerschaft untergraben wollen. Solche Äußerungen haben wir kürzlich von US-Außenminister Marco Rubio gehört. Bislang sieht es so aus, als wolle man wiederholen, was vor 50 Jahren geschah, aber umgekehrt: Russland Vorteile versprechen, die die Vorteile einer Partnerschaft mit seinem Nachbarn übersteigen.
Unsere US-amerikanischen Partner könnten auch mit originelleren Ideen aufwarten. Zum Beispiel zu versuchen, China von Russland loszureißen und ihm zu versichern, dass es in der Lage sei, die wichtigsten Fragen der menschlichen Entwicklung gemeinsam mit den Vereinigten Staaten zu lösen. Beide Optionen erscheinen jedoch gleichermaßen abenteuerlich und unrealistisch.
Die “Spaltung” zwischen der Sowjetunion und China, wie wir sie aus der Geschichte kennen, entstand lange bevor die US-amerikanische Diplomatie daraus Kapital schlagen konnte. Die beiden mächtigsten kommunistischen Parteien der Welt wetteiferten um den Einfluss auf den Teil der Welt, der sich in den frühen 1960er-Jahren von der kolonialen Tyrannei Europas befreit hatte. China strebte unter Mao Zedong mit Nachdruck nach globaler Bedeutung – und geriet damit in Konflikt mit der Sowjetunion, deren Führung Peking als “kleinen Bruder” betrachtete. Dieser Ansatz war für China ein Ärgernis.
Keiner dieser Faktoren ist in den Beziehungen zwischen Russland und China gegenwärtig gegeben. Darüber hinaus teilen die Parteien im Rahmen der BRICS uneingeschränkt die Vision, dass die neue Weltordnung auf Demokratie und Gerechtigkeit auch gegenüber kleinen Ländern beruhen sollte. Russland und China stellen sich “Rücken an Rücken” gegen die Versuche des Westens, seine Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, betrachten sich aber keineswegs als jeweilige Juniorpartner. Wer dies behauptet, vertritt direkt oder indirekt US-amerikanische Ideen.
Schließlich gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die friedlichen Absichten der USA längerfristig Bestand haben werden. Bislang sind die Vereinigten Staaten nicht einmal theoretisch bereit, ihren globalen Einfluss mit irgendjemandem zu teilen – weder mit Russland noch mit China, Indien oder Europa. Obwohl Letzteres zunehmend aus der Hauptumlaufbahn der Weltpolitik herausfällt.
Höchstwahrscheinlich brauchen die US-Amerikaner einfach eine Pause – die Ressourcen der USA sind durch den langen Kampf um die globale Vorherrschaft erschöpft, riesige Summen wurden, wie wir jetzt mit Sicherheit wissen, verschwendet, und die innenpolitische Lage ist ziemlich schwierig. Um diese Atempause zu bekommen, werden die US-Amerikaner die Versöhnung mit Russland suchen und dafür sogar die Ambitionen ihrer europäischen Satelliten mit ihren Phobien opfern.
Gleichzeitig werden die USA versuchen, in der Konfrontation mit China eine Art Pause einzulegen – sie haben auch nicht genügend Ressourcen für einen ernsthaften Kampf mit China. Daher gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass der lang erwartete dauerhafte Frieden in Osteuropa sofort zu einer US-Offensive gegen China führen wird. Und auch Peking könnte dies sehr wohl erkennen.
Wie können Russland und China gemeinsam auf die Veränderungen in der US-amerikanischen Politik reagieren? Es scheint, dass dies nur durch eine Zusammenarbeit in Groß-Eurasien möglich ist, die einen Raum schafft, der frei von externer Manipulation und Zwietracht ist. Die Bewegung in diese Richtung ist bereits von den Staatschefs beider Länder skizziert worden und wird auch von der Mehrheit der mittleren und kleinen Staaten unterstützt.
Die einzige Möglichkeit, der unveränderten “Teile und Herrsche”-Strategie der USA und Europas entgegenzuwirken, besteht darin, gemeinsam an der Lösung der internen Entwicklungsprobleme Eurasiens zu arbeiten: Sicherheit, internationaler Handel und Verkehrsanbindung. Es gibt Grund zu der Annahme, dass die gemeinsamen Projekte Chinas und Russlands in den kommenden Jahren genau darauf abzielen werden.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. März 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Timofei Bordatschow ist Programmdirektor des Waldai-Clubs.
Mehr zum Thema – Trotz aller Euphorie: Die Rückkehr westlicher Konzerne ist für Russland nicht ungefährlich