
Von Pjotr Akopow
Dick Cheney wurde zu Lebzeiten als der einflussreichste Vizepräsident in der US-Geschichte bezeichnet. Er starb am 4. November. In Russland wird an diesem Tag der Tag der Einheit des Volkes gefeiert, und in New York wurde der Bürgermeister gewählt: Dieses Amt wird aller Wahrscheinlichkeit nach von dem “Kommunisten und Antisemiten” – dem Muslim Zohran Mamdani – übernommen werden. Diese beiden Ereignisse an diesem Tag sind zwar nur ein Zufall; doch im Falle von Richard Bruce Cheney, der im Alter von 84 Jahren verstorben ist, sind sie mehr als symbolisch.
Dick Cheney war es, der den Krieg in den Nahen Osten brachte: Zwei Invasionen im Irak liegen auf seinem Gewissen. Die Militäroperation “Desert Storm” fand im Jahr 1991 statt, als er US-Verteidigungsminister war, und der Angriff im Jahr 2003 erfolgte während seiner Vizepräsidentschaft und auf seine Initiative hin. Cheney gehörte nicht nur wie 90 Prozent des US-Establishments zu den proisraelischen Politikern, sondern war auch ein aktiver Interventionist und Befürworter direkter militärischer Interventionen der USA weltweit. Aber was hat er damit erreicht?
Im “zerrütteten” Nahen Osten sind die US-Amerikaner verhasst, und in der größten Stadt der USA wird ein Muslim zum Bürgermeister gewählt, der den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie die US-Unterstützung für den israelischen Völkermord an den Palästinensern in Gaza verurteilt. Zohran Mamdani ist natürlich kein Antisemit und kein Kommunist – er ist ein Linksozialist, der die überhebliche Elite attackiert. Zu dieser gehörte auch Dick Cheney – nicht etwa, weil er ein “weißer angelsächsischer Konservativer” war, sondern weil er nicht die nationalen Interessen der USA in den Vordergrund stellte, sondern die globalen Ambitionen des aktuellen US-Establishments, das in vielerlei Hinsicht bereits supranational geprägt ist.
Aber war Dick Cheney wirklich ein Republikaner? Formal gesehen ja, aber bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen unterstützte er die Kandidatur der US-Demokratin Kamala Harris: aus Hass auf den derzeitigen US-Präsidenten Donald Trump und weil seine Tochter Liz den Kampf um die US-Republikanische Partei gegen die Trumpisten verloren hatte. Cheneys Tochter ist nicht nur eine offene Lesbe, sondern auch eine der Anführerinnen des Anti-Trump-Widerstands in den Reihen der US-Republikaner. Im Kampf gegen Donald Trump verlor sie auch ihren Sitz im US-Repräsentantenhaus, sodass die politische Dynastie der Cheneys nicht nur aus biologischen Gründen nicht fortgesetzt werden wird.
Dick Cheney selbst hatte jedoch eine sehr erfolgreiche Karriere: Nach seinem Studienabschluss in Yale absolvierte er ein Praktikum im US-Kongress. Dort wurde er von Donald Rumsfeld, einem jungen Kongressabgeordneten aus Illinois, entdeckt. Als Richard Nixon zum US-Präsidenten gewählt wurde, trat Donald Rumsfeld in die US-Regierung ein und nahm Dick Cheney mit. Von da an verlief Cheneys Karriere parallel zu der von Donald Rumsfeld: Im Jahr 1975, bereits unter US-Präsident Gerald Ford, löste Dick Cheney Donald Rumsfeld als Leiter der Präsidialverwaltung ab. Ein enormer Karriereaufstieg für einen 34-jährigen Beamten! Doch bald darauf verlor Gerald Ford die Präsidentschaftswahlen: Rumsfeld und Cheney mussten sich einen neuen Arbeitsplatz suchen.
Fast die gesamten 1980er-Jahre verbrachte Dick Cheney im US-Repräsentantenhaus, wo er zu einer der Schlüsselpositionen aufstieg – dem “whip”, also dem Koordinator aller republikanischen Abgeordneten. Als George Bush senior den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan in diesem Amt ablöste, wurde Dick Cheney US-Verteidigungsminister – und es begann die Zeit seiner Kriege. Während die Operation zur Festnahme des panamaischen Staatschefs Manuel Noriega (Militärinvasion in Panama) ein “leichter Spaziergang” war, wurde der Krieg gegen den Irak zur größten amerikanischen Operation seit dem Vietnamkrieg. Diese Operation wurde damals nicht zu Ende geführt, das heißt, sie endete nicht mit dem Sturz des irakischen Staatschefs Saddam Hussein – aber das war nur ein vorläufiges Ergebnis.
Nach der Präsidentschaft von Bill Clinton konnten die US-Republikaner das Weiße Haus zurückgewinnen, und Dick Cheney sowie Donald Rumsfeld wurden zu den eigentlichen Entscheidungsträgern. Der unerfahrene ehemalige US-Präsident George W. Bush “erbte” sie von seinem Vater: Dick wurde Vizepräsident, und Donald kehrte ins Pentagon zurück (er war bereits unter US-Präsident Gerald Ford Minister gewesen). Cheney wurde tatsächlich zum einflussreichsten Vizepräsidenten in der US-Geschichte. Er war in der Tat der Schattenherrscher Amerikas. Nach den “9/11”-Anschlägen erhielt er die Chance, sich auch auf der Weltbühne voll zu entfalten. Die Invasion in Afghanistan und der Angriff auf den Irak waren ihr gemeinsames Projekt mit Donald Rumsfeld. Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell (der bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats ein Reagenzglas präsentierte) und US-Präsident George W. Bush waren in diesem Fall lediglich Mitläufer, die die Folgen nicht begreifen konnten. Aber waren diese Folgen für Dick und Donald erkennbar? Das spielt nun keine Rolle mehr: Indem sie den Nahen Osten “aufgewühlt” haben, haben sie sowohl in dessen als auch in der Weltgeschichte eine äußerst finstere Rolle gespielt.
Während der zweiten Amtszeit von Bush junior schwächte sich der Einfluss von Dick Cheney ab, und die USA selbst sahen sich mit den unvorhersehbaren Folgen ihrer direkten Intervention in zwei muslimischen Ländern konfrontiert. Wenn Cheney und Rumsfeld damit die Position der USA in der Welt stärken wollten, haben sie ihr Ziel verfehlt: Durch diese Interventionen (zusammen mit der Finanzkrise im Jahr 2008) wurden die Einflussnahme des Projekts der globalen US-Dominanz und das Vertrauen in dieses Projekt infrage gestellt. Dick und Donald stürzten die USA in eine schwerwiegende Krise, welche neben dem Rückgang des weltweiten Einflusses auch einen drastischen Vertrauensverlust der US-Bürger gegenüber ihrer eigenen Führungsklasse mit sich brachte. Nach dem Versuch, die Realität während der Amtszeit des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zu beschönigen, erreichte die Krise mit dem Amtsantritt von Donald Trump ihren Höhepunkt – und gewinnt bis heute an Fahrt.
Dick Cheney, der seine Karriere während des Kalten Krieges begann, war nicht nur ein Gegner Russlands, sondern strebte dessen vollständige Auflösung an. Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten George Bush senior, der selbst im Juli 1991 Skepsis hinsichtlich des Nutzens für die USA durch den Austritt der Ukraine aus der UdSSR äußerte, war Cheney ein engagierter Befürworter ihrer “Unabhängigkeit”. Laut Robert Gates (der 1991 im Weißen Haus tätig war und 2006 Donald Rumsfeld im Pentagon ablöste) wollte Dick Cheney “nicht nur den Zerfall der Sowjetunion und des Russischen Reiches, sondern auch Russlands selbst, damit es nie wieder eine Bedrohung für den Rest der Welt darstellen könnte”.
Dass die Münchner Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin gerade während der Vizepräsidentschaft von Dick Cheney gehalten wurde, ist kein Zufall: Unser Präsident reagierte damals nicht nur auf US-Vormachtansprüche, sondern auch auf die konkreten Ansichten dieses “mächtigen Mannes” aus Washington. Denn Dick war nicht nur von der Einzigartigkeit und Allmacht der USA überzeugt, sondern auch von ihrem Recht, “die Völker zu hüten”, darunter auch das russische. Russland müsse zerstört oder in eine dem Westen untergeordnete Position gebracht werden – Dick Cheney konnte sich nichts anderes vorstellen. Aber die Welt, in der dies zumindest theoretisch möglich wäre, gehört längst der Vergangenheit an – ebenso wie Dick Cheney selbst.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 4. November 2025 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.
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