Von Wladislaw Sankin
Brigadegeneral Dr. Christian Freuding ist der für die Ukraine zuständige deutsche Militär. Er leitet den Sonderstab Ukraine im Verteidigungsministerium und tritt regelmäßig im Fernsehen mit seiner Einschätzungen der Frontlage auf. Am Wochenende reiste er mit einer deutschen Delegation in die Ukraine, wo er an der zweitägigen Konferenz Yalta European Strategie teilnahm. Das Forum wird seit mehreren Jahren von der Stiftung des ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk organisiert und ist hochkarätig besetzt. Von US-Seite schalteten sich beispielsweise Ex-Präsident George W. Bush und Staatssekretärin im US-Außenministerium Viktoria Nuland zu.
Eines der Panel war den aktuellen Entwicklungen auf dem Schlachtfeld im Ukraine-Krieg gewidmet. Bei der dazugehörigen Podiumsdiskussion saß General Freuding zusammen mit seinem ukrainischen Kollegen und “Freund”, wie er später sagte, dem ukrainischen General Wadim Skibizki. Die Delegation mit vier weiteren hochrangigen Vertretern der Deutschen Bundeswehr nahm ihre Plätze in der ersten Reihe ein.
Damit wurde signalisiert, dass Deutschland zumindest in Europa der wichtigste militärische Unterstützer der Ukraine ist. Nur die USA leisten mehr. Das General sicherte der Moderatorin Anne Applebaum zu:
“Unsere Hilfe ist unerschütterlich, und wir werden sie so lange leisten, wie die Ukraine sie braucht.”
Die zeitliche Dimension des “so lange” hat er in seinen weiteren Ausführungen erläutert. So wies er stolz darauf hin, dass der Deutsche Bundestag die finanzielle Unterstützung der “ukrainischen Freunde” bis zum Jahr 2032 zugesichert hat. Die Hilfen mit einem Gesamtetat von 9,6 Milliarden Euro waren noch im März beschlossen worden. Aufgrund der hohen materiellen Verluste der ukrainischen Streitkräfte seien neue Materiallieferungen erforderlich, hieß es in der Begründung.
Damit machte der General klar, dass Deutschland sich auf einen langjährigen Konflikt eingestellt hat – ungeachtet menschlicher Verluste auf beiden Seiten. Er betonte, dass nicht nur westliche Regierungen in den Prozess involviert seien, sondern auch Rüstungsunternehmen.
Während der Diskussion kamen von verschiedenen Teilnehmern auch wenig ermunternde Einschätzungen zur Lage der ukrainischen Armee an der Front und den Perspektiven eines ukrainischen Sieges zur Sprache. Die stellvertretende Verteidigungsministerin Ganna Maljar hat in einer Online-Schaltung mehrfach wiederholt, dass der Gegner über mehr Waffen verfügt. Außerdem behauptete sie, dass die Ukraine mit Russland seit 400 Jahren im Krieg sei.
Der britische Abgeordnete von der Konservativen Partei Bob Seely sagte nach einem Besuch der frontnahen Stadt Kramatorsk, dass der Preis an ukrainischen Soldatenleben sehr hoch sei. Er erklärte, dass die Russen nun modernen Drohnen-Krieg gut beherrschen. Insbesondere die Kamikaze-Drohnen Lancet seien sehr effektiv. “Alle 75 Meter stirbt ein ukrainischer Soldat”, beklagte er. Militärstrategisch müsste man sich auf eine “kontinuierliche Schlacht” einstellen.
Ähnliche Sorgen äußerte auch ein ukrainischer Fronthelfer. “Die Stimmung unter dem Militär ist nicht so optimistisch, wie man es sich in Kiew wünschen würde”, sagte er. Die Menschen seien müde und stellten sich auf einen langen Kriegsmarathon ein.
Unter den Zuhörern war auch der deutsche Militärexperte Carlo Masala. Er ist in den letzten eineinhalb Jahren zum gefragtesten Kommentator des Ukraine-Krieges aufgestiegen. Für das deutsche Publikum versucht er, noch ein wenig Optimismus zu versprühen. “Die Chancen der Ukrainer für einen Durchbruch stehen bei 40 bis 50 Prozent”, meldete er nach seinem Besuch am Sonntag.
Und wie sieht das der deutsche General? Auf die Frage der Moderatorin, was er vom Besuch in Kiew mit nach Berlin und Brüssel mitnehme, erwiderte Freuding, dass Deutschland alles für den ukrainischen Sieg tut, insbesondere im Bereich Militärausbildung. “Wir werden unsere Unterstützung beschleunigen und besser koordinieren”, versprach er und betonte:
“Es ist wichtig, den ukrainischen Streitkraften nicht nur das zu geben, was wir haben oder was unsere Industrie herstellen kann, sondern auch, die ukrainischen Streikräfte im Bereich Ausbildung und Ausrüstung so vorzubereiten, dass sie gewinnen.”
Er teilt die ukrainische Vision eines Sieges, fügte er zum Schluss hinzu. Auf die Nachfragen der Moderatorin, was er unter einem ukrainischen Sieg versteht, antwortete er:
“Wir wollen die territoriale Integrität der Ukraine wiederherstellen.”
“In den Grenzen des Jahres 1991?”
“Exakt.”
Als der General das sagte, funkelten seine Augen. Applebaum, die zuvor den ukrainischen General Skibizki mit Nachdruck befragt hatte, ob sein Militär in der Lage sei, bei der Gegenoffensive an der Südfront die russische Landverbindung zur Krim abzuschneiden, bedankte sich. Der Saal applaudierte.
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