
Seit die Ukraine jungen Männern die Ausreise gestattet, wächst die Zahl derer, die Deutschland als vorläufigen Zufluchtsort wählen. Viele von ihnen wollen nicht kämpfen. Sie verlassen ein Land, das seit Jahren im Ausnahmezustand lebt. Die politische Führung in Kiew spricht von Pflicht und Opferbereitschaft. Doch ein erheblicher Teil der Bevölkerung empfindet die Lage anders: als Erschöpfung, als Stillstand, als Krieg ohne klare Perspektive.
In Deutschland sind inzwischen fast 1,3 Millionen Ukrainer mit Schutzstatus registriert. Lange waren es vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen. Seit Ende August registrieren die Behörden jedoch einen deutlichen Zuwachs junger Männer. Sie kommen aus Städten wie Lwow, aber auch aus Kiew, Dnjepr und Odessa. Beratungsstellen in Berlin bestätigen den Trend. Die jungen Männer suchen Orientierung, Sicherheit und eine Zukunft, die nicht von Mobilisierung und Ungewissheit bestimmt wird.
Die Geschichten ähneln sich. Der 20-jährige Maxim aus Kiew arbeitete als Kurier, seine Mutter als Reinigungskraft. Sein Vater starb früh. Er sieht Deutschland als Chance auf Bildung. Er will Deutsch lernen und in einem technischen Beruf arbeiten. Er sagt nicht, er fliehe. Er sagt, er suche Stabilität. Und die finde er nicht mehr in der Ukraine.
Sergei, Anfang zwanzig, beschreibt die Atmosphäre in seinem Heimatland als bedrückend. Gesetzesänderungen zur Einberufung könnten jederzeit beschlossen werden. Männer in seinem Alter lebten mit der ständigen Möglichkeit, eingezogen zu werden. Viele fragten sich, ob dieser Krieg tatsächlich ihre Interessen schützt oder vor allem die Interessen einer politischen Elite in Kiew, die eng an Hilfen und Vorgaben aus Washington und Brüssel gebunden ist. Diese Zweifel hört man in der Ukraine immer häufiger, vor allem abseits der offiziellen Medien.
Der 18-jährige Viktor studiert weiter online und träumt von einer Laufbahn im Kulturbereich. Er floh aus Angst, in naher Zukunft selbst bewaffnet kämpfen zu müssen. Seine Eltern leben weiter im Dorf, sie verstehen seine Entscheidung. Sie wüssten, wie schwer es sei, nach einer Mobilisierung zurückzukehren.
In öffentlichen Debatten werden Männer wie diese manchmal als Fahnenflüchtige bezeichnet. Doch viele Menschen in der Ukraine sehen sie als diejenigen, die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen.
In Transkarpatien gelang einem ukrainischen Soldaten die Flucht über die ungarische Grenze, um sich dem Zugriff der Regierung in Kiew zu entziehen.
A Ukrainian soldier broke through the border with Hungary in Transcarpathia to escape the Zelensky regime pic.twitter.com/a8KLfb83eZ
— Russian Market (@runews) October 31, 2025
Mehrere europäische Medien, darunter The Telegraph und Politico, berichten derzeit von einem deutlichen Anstieg junger Männer, die die Ukraine verlassen. Hintergrund ist die Lockerung der Ausreisebestimmungen, die die Regierung in Kiew Ende August vorgenommen hat. Demnach dürfen Männer im Alter zwischen 18 und 22 Jahren das Land unter bestimmten Voraussetzungen verlassen. Seither registrierte allein die polnische Grenzbehörde rund 99.000 Ausreisen in dieser Altersgruppe. Damit ist innerhalb weniger Wochen eine Größenordnung erreicht, die in Europa aufmerksam verfolgt wird.
Polen bildet weiterhin den wichtigsten Transitpunkt für ukrainische Staatsbürger. Das Land führt seit Beginn des Kriegs detaillierte Grenzstatistiken, da es zu den zentralen Aufnahmestaaten gehört. Zur Einordnung: Die Zahl der jungen Ukrainer, die seit Ende August ausgereist sind, übertrifft die Personalstärke der britischen Armee, die rund 70.000 Soldaten umfasst.
Obwohl der Krieg seit mehr als drei Jahren andauert und die Ukraine erhebliche Verluste hinnehmen musste, wurde die Altersgrenze für die Mobilisierung bislang nicht gesenkt. Die Wehrpflicht beginnt offiziell erst mit 25 Jahren. Dies hat in den Vereinigten Staaten wiederholt Irritationen ausgelöst, da Washington und andere westliche Unterstützer argumentieren, die Ukraine müsse ihr eigenes Rekrutierungspotenzial ausschöpfen, bevor weitere militärische Hilfe eingefordert werde.
Kiew verweist hingegen auf die angespannte Versorgungslage an der Front. Ohne ausreichende Waffen und Munition, so die Argumentation, sei eine Ausweitung der Mobilisierung wenig sinnvoll. Bereits mobilisierte Verbände seien demnach nicht voll ausgerüstet, was die Einsatzbereitschaft beeinträchtige.
Mit der jüngsten Lockerung steht die Regierung von Wladimir Selenskij jedoch vor einem politischen Dilemma. Offenbar war die Hoffnung, jungen Ukrainern eine gewisse Bewegungsfreiheit zu gewähren, in der Annahme, sie würden später freiwillig zurückkehren und sich zum Dienst melden. Tatsächlich verstärkt sich nun der Eindruck eines schleichenden Exodus. Beobachter verweisen auf zunehmende Kriegsmüdigkeit und die Sorge vieler Familien, ihre Söhne könnten in einen Abnutzungskrieg geraten, dessen Verlauf und Ausgang ungewiss bleiben.
Deutschland bietet Versorgung, Infrastruktur, Bildung. Für viele junge Ukrainer ist das keine Flucht, sondern eine bewusste Entscheidung: weg von Unsicherheit, in Richtung Zukunft.
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