Von Timofei Bordatschow
In den letzten Wochen wurden von den staatlichen Stellen einiger Länder in Nord- und Westeuropa verdächtige Flugobjekte – vermutlich Drohnen – in der Nähe ihrer Flughäfen und Militärstützpunkte gemeldet. Diese Meldungen kamen nacheinander aus Dänemark, Schweden, Norwegen, Deutschland und den Niederlanden. In Dänemark wurde sogar eine dringende Einberufung von Reservisten in die Streitkräfte angeordnet, und die Kampfjets sind regelmäßig in der Luft. Und in den Niederlanden wurde der Betrieb des Nationalflughafens stillgelegt, einfach weil ein gewöhnlicher Luftballon für ein unbekanntes Flugobjekt gehalten wurde.
Es besteht kaum Zweifel daran, dass sich solche Vorfälle häufen werden. Die Herkunft der Drohnen ist bislang offiziell unbekannt, jedoch werden gemäß einer im Westen bereits etablierten Tradition sofort Vorwürfe gegen Russland erhoben. Es entsteht der Eindruck, dass unsere westlichen Nachbarn von einer Art Angstepidemie angesichts der neuen Bedrohung betroffen sind.
Der Grund für diese Hysterie lässt sich leicht erklären: Die Europäer versuchen mit allen Mitteln, den USA zu beweisen, dass Russland angeblich aggressive Absichten gegenüber der Europäischen Union und der NATO hegt. Es gibt jedoch noch einen weiteren, tiefer liegenden Grund, warum jedes mehr oder weniger ungewöhnliche Ereignis im Westen zu einer regelrechten Angstpandemie wird, die die Medien und einen Großteil der Bevölkerung erfasst.
Dieser Grund ist folgender: Die westlichen Eliten praktizieren seit mindestens zehn Jahren eine Methode der Bevölkerungskontrolle, indem sie die Aufmerksamkeit der Menschen von den tatsächlichen Problemen ablenken. Dazu werden sowohl reale als auch vermeintliche Bedrohungen zu einem wirklich enormen Ausmaß aufgeblasen. Dank moderner Kommunikations- und Medientechnologien ist es nun möglich, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung regelmäßig von einer Bedrohung auf eine andere zu lenken und jeder einzelnen davon den Charakter einer Pandemie zu verleihen. Bei genauerer Betrachtung wurde das westliche Demokratiemodell bereits vor langer Zeit zu einer Methode der Bevölkerungskontrolle, die sich der Manipulation von Ängsten bedient.
Vor fast sechs Jahren gelang es den westlichen Eliten, die Aufmerksamkeit von den angehäuften und ungelösten Problemen abzulenken, indem sie die Pandemie der neuen Coronavirus-Infektion und die damit verbundenen Besorgnisse in den Vordergrund rückten. Doch die erste Erfahrung mit der Angststeuerung war bereits die sogenannte “Migrationskrise” in der Europäischen Union im Jahr 2015. Damals wurden die europäischen Gesellschaften durch die angeblich auf sie einstürmenden “Flüchtlingshorden” aus Afrika und dem Nahen Osten in Angst und Schrecken versetzt.
Diese Massenpanik war so gravierend, dass sie den Behörden der meisten EU-Staaten ermöglichte, die Binnengrenzkontrollen wieder einzuführen, die seit Inkrafttreten des Schengener Abkommens 1995 nicht mehr existierten. Neben den Europäern gelang es auch den USA, die Migrationsbedrohung erfolgreich auszunutzen – der Kampf gegen den Zustrom illegaler Migranten war nämlich ein wichtiges Thema, das der Republikanischen Partei den Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen 2024 bescherte.
Dass die Migrationskrise 2015 genau zu diesem Zeitpunkt auftrat, war jedoch kein Zufall: Bereits einige Jahre zuvor machte die Schuldenkrise in der Eurozone deutlich, dass Europa nicht in der Lage ist, die dringendsten Herausforderungen der Wirtschaftsentwicklung zu bewältigen. Die Krise verschärfte nicht nur die wirtschaftliche Schieflage der südeuropäischen Länder, sondern offenbarte auch ein noch größeres Problem: die völlige Unfähigkeit der westlichen Eliten, Ideen für systemische Veränderungen in den nationalen Wirtschaftsmodellen zu entwickeln. Dies geschah inmitten des rasanten Wachstums Chinas, Indiens und einer Reihe weiterer Länder, die die Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren.
Deshalb wurde die im Jahr 2020 ausbreitende Coronavirus-Pandemie im Westen, insbesondere in Europa, mit großem Enthusiasmus begrüßt. Innerhalb weniger Wochen schufen die Regierungen der europäischen Staaten (mit wenigen Ausnahmen) für ihre Bürger eine Atmosphäre des “idealen Schreckens”, dessen Bekämpfung es ermöglichte, nicht nur die realen wirtschaftlichen Probleme, sondern auch die elementaren Persönlichkeitsrechte völlig außer Acht zu lassen. Und dann folgten eine Bedrohung nach der anderen, die sofort pandemischen Charakter annahmen.
Ob es uns gefällt oder nicht: Der Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine im Frühjahr 2022 wurde zu einem echten Geschenk für die westlichen Eliten. Allerdings nicht, weil sie die Militarisierung ihrer Wirtschaften und Gesellschaften vorantreiben wollen – dafür stehen derzeit noch nicht genügend Ressourcen zur Verfügung –, das Wichtigste, was die europäischen politischen Kreise aus der Ukraine-Krise gewinnen konnten, besteht vielmehr darin, dass sie die Aufmerksamkeit der Wähler von den akuten wirtschaftlichen Problemen ablenken und die gesamte angesammelte Unzufriedenheit und Enttäuschung auf Russland richten können.
Die angeblich von uns ausgehende Bedrohung wurde zu einer neuen “Pandemie”. Das Angstmanagement lässt die (vor allem) europäischen Eliten angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen absolute Hilflosigkeit demonstrieren, aber dennoch zwei Drittel der Wählerstimmen unter Kontrolle halten. Das belegen etwa die Ergebnisse der jüngsten nationalen Wahlen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Diese Situation ist genau das Gegenteil von derjenigen, die in dem im Herbst 2021 viel diskutierten US-Film “Don’t Look Up” (“Schau nicht nach oben”) modelliert wurde: Dort wird den Bürgern vorgemacht, dass der riesige Asteroid, der sich der Erde nähert, nicht existiert, und man nicht in den Himmel schauen darf, wo seine Annäherung immer deutlicher zu erkennen ist. Im modernen Europa oder den USA hingegen ist man gezwungen, nur “nach oben zu schauen”. Man sieht die externen Bedrohungen, konzentriert sich jedoch nicht auf die angehäuften inneren Probleme der Wirtschaft und der Gesellschaft.
Diese externen Bedrohungen können sehr unterschiedlicher Natur sein – Flüchtlinge und Migranten, Pandemien neuer unbekannter Krankheiten, die von Russland oder China ausgehende Gefahr. Das Wesentliche daran ist jedoch, dass sie niemals mit den Tätigkeiten der europäischen Eliten in Verbindung gebracht werden können. Letztere tragen somit gegenüber den Wählern keine Verantwortung für das, was jeweils als die größte Bedrohung für ihre Sicherheit und Existenz angesehen wird.
Dabei entstehen neue Ängste nicht unbedingt nach einem vorab ausgearbeiteten Plan, vielmehr versuchen die westlichen Gesellschaften selbst, sich von der Tatsache abzulenken, dass sich die wirtschaftliche Lage nicht verbessert. Die Hoffnung, Wege zu finden, um dies zu verhindern, wurde längst begraben. Die von den Eliten und den Medien geschürten Ängste werden zu einem Bestandteil des psychologischen Selbstschutzes für die Bürger westlicher Länder, die erkennen, dass die nächsten Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen keine positiven Veränderungen bewirken können.
Und wenn der militärisch-politische Konflikt mit Russland hoffentlich ohne Abrutschen in eine Gesamtkatastrophe gelöst werden kann, dann werden Europa und die USA etwas benötigen, das in Bezug auf das Gesamtausmaß des Schreckens mit diesem vergleichbar ist. Solch “perfekter Sturm“ könnte etwas sein, das mit der massiven Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) in den vergangenen Jahren zusammenhängt. Es wird bereits intensiv über die Entwicklung einer solchen KI diskutiert, die angeblich den Menschen in fast allen Bereichen ersetzen könnte.
Die Experten sind sich bewusst, dass selbst die höchstentwickelte künstliche Intelligenz immer noch ein System bleibt, das vom Menschen kontrolliert wird, zumindest durch seine Verbindung zum Stromnetz. Sie kann daher physisch nicht außer Kontrolle geraten. Dies dürfte jedoch kaum ein Hindernis für die Schaffung einer weiteren, überaus großen Gefahr darstellen, mit der die Emotionen der Bevölkerung manipuliert werden können.
So werden die europäischen Bürger beispielsweise aufgefordert, ihre Telefone und andere mit dem Internet verbundene Geräte vollständig auszuschalten. Und sie werden dies gerne tun, da sie es bereits gewohnt sind, ihr Leben von einer Panikpandemie zur nächsten zu strukturieren.
Es ist bemerkenswert, dass wir nicht einmal abschätzen können, wie lange der Westen in einem solchen Zustand noch existieren kann. Im Vergleich zu früheren Methoden zur Lösung akkumulierter Probleme in Form von blutigen Revolutionen und Kriegen erscheint das Konzept der politischen Manipulation recht optimistisch. Da jedoch die Wähler in Europa und den USA “nach oben schauen”, anstatt sich um Lösungen für dringende “irdische” Probleme zu bemühen, können sich in den Gesellschaften Ideen entwickeln, deren Auswirkungen sich als wirklich destruktiv erweisen könnten.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 30. September 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.
Timofei Bordatschow ist der Programmdirektor des Waldai-Klubs.
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