Von Alexander Männer
Preislimit für russisches Öl: Stand der Dinge (Teil 1)
Das Geschäft mit dem russischen Erdöl boomt, denn das Öl ist ungeachtet des Ukraine-Krieges und der Spannungen zwischen Russland und dem sogenannten kollektiven Westen auf den internationalen Handelsmärkten weiterhin sehr gefragt. Daran konnten bislang weder die Sanktionen noch das Embargo auf russisches Öl etwas ändern.
Denn Russland ist der zweitgrößte Ölexporteur der Welt, galt noch 2021 als der zweitgrößte Öl-Lieferant der EU und erwirtschaftete im Ölsektor im vergangenen Jahr trotz alledem rund 153 Milliarden Euro – das ist ein Rekordwert seit 2011.
Um diese Milliardeneinnahmen zu verringern und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass das russische Öl weiterhin angeboten wird und die Preise auf den Weltmärkten nicht in die Höhe schießen, genehmigten die USA, Großbritannien, die EU-Länder, Kanada, Japan und Australien im vergangenen Dezember das Verhängen einer sogenannten “Preisobergrenze” für Öl aus Russland, die einen Preis von maximal 60 US-Dollar pro Barrel vorsieht. Das ist eine aus marktwirtschaftlicher Sicht äußerst fragwürdige Maßnahme, die die ohnehin antirussische Sanktionspolitik zudem auf eine neue Stufe hebt.
Als Reaktion darauf hat Russland kurzerhand ein “Exportverbot” von Rohöl und Ölprodukten an Staaten und Unternehmen beschlossen, die von der Anwendung dieser Preisobergrenze Gebrauch machen wollen. Ein entsprechendes Dekret des Präsidenten ist seit dem 5. Februar 2023 in Kraft.
Preisniveau für russisches Öl
Wie erfolgreich sich die westliche Strategie also gestaltet, hängt davon ab, ob Russland sein Öl dennoch zu einem viel niedrigen Preis veräußern wird, als das bislang geplant war. Diesbezüglich kursierten bereits vor der Einführung des Preisdeckels zahlreiche Meldungen, wonach die russische Rohölsorte “Urals”, die zu den am meisten exportierten Ölsorten des Landes zählt, wegen den Sanktionen und des Ölembargos mit einem sehr hohen Preisabschlag im Vergleich zur europäischen Marke “Brent” aus der Nordsee und damit weit unter dem Preislimit von 60 Dollar gehandelt würde.
Zahlreiche Experten sind inzwischen aber zu der Einschätzung gelangt, dass das russische Öl zu einem deutlich höheren Preis exportiert wird, als bisher gedacht. So berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg im Februar unter Verweis auf eine renommierte Studie aus den USA, die auf Daten in Zollämtern in der ganzen Welt bezüglich der Rohölverkäufe basiert, dass der Preis für im Dezember exportiertes russisches Öl im Durchschnitt bei 74 Dollar pro Barrel und damit deutlich über der besagten Preisobergrenze von 60 Dollar lag.
Aus dieser Studie geht außerdem hervor, dass der Ölpreis in den asiatischen Handelshäfen Russlands mit mehr als 80 Dollar je Fass deutlich höher gewesen ist, als in den europäischen Häfen des Landes, wo ein Barrel nur knapp 61 Dollar kostete.
Was den Stand der Dinge in diesem Jahr angeht, so sind noch keine Untersuchungen der weltweiten Zolldaten bekannt. Laut Angaben des deutschen Statistikportals Statista wurde der Durchschnittspreis für “Urals” im Januar bei 49,48 Dollar pro Barrel gebildet, was auch mit den Angaben des russischen Finanzministeriums übereinstimmt. Im Februar sowie in den ersten beiden März-Wochen betrug der Preis durchschnittlich 60,27 Dollar beziehungsweise 59,89 Dollar je Fass.
Offiziell gehen viele Finanzanalysten, Politiker, Journalisten und andere Beobachter davon aus, dass die Marke “Urals” überall und ausschließlich für 50 Dollar verkauft würde und dass das offensichtlich keine guten Nachrichten für Moskau seien. Die Rede ist oft von milliardenschweren Einnahmeverlusten für die russische Wirtschaft – die Internationale Energieagentur (IEA) bezifferte diese Verluste Russlands im Januar 2023 auf acht Milliarden Dollar.
Preisgestaltung für “Urals” und die aktuelle Faktenlage
Allerdings sind in puncto Preisgestaltung für “Urals” zwei wichtige Aspekte zu beachten, die in einem kürzlich veröffentlichten Artikel der Russischen Zeitung erläutert werden und die sich offenbar auch das russische Finanzamt zu Herzen nahm: Erstens werden die Preise für “Urals” demnach künstlich und nur auf der Grundlage der Verschiffung aus russischen Häfen am Schwarzen Meer und an der Ostsee bestimmt, bestenfalls unter Bezugnahme auf die Gesamtexporte nach Europa, die – verglichen mit Asien oder Afrika – eher kostengünstig waren. Dabei hat Russland diese Exporte in die europäischen Länder unter Berücksichtigung der Preisobergrenze ohnehin bereits massiv eingeschränkt.
Dies kann man auch damit belegen, dass die täglichen Einfuhren von Öl und Ölprodukten in die EU, die 2022 noch rund 40 Prozent der russischen Gesamtexporte ausmachten, im Dezember dem Handelsblatt zufolge von ehemals 1,43 Millionen Barrel auf 450.000 Barrel, also weniger als ein Drittel, gefallen sind. An dieser Stelle ist natürlich nicht außer Acht zu lassen, dass gewisse Probleme beim Umlenken der russischen Lieferungen von ehemals nach Europa auf Asien nicht auszuschließen waren und dass ein Rückgang der Ausfuhren sowie dadurch gewisse entgangene Exporterlöse infolge der Einführung der Preisobergrenze nicht zu verhindern waren.
Zweitens verweist der Artikel darauf, dass rund drei Viertel des russischen Rohöls unter anderem über Häfen im Fernen Osten Russlands oder durch die sibirische Pipeline mittlerweile nach China und in andere Länder Asiens gehen und dort zu Preisen weit über dem westlichen “Limit” abgewickelt werden. Wie in der US-Studie ausgeführt, kostete das russische Öl am Pazifischen Ozean im Dezember sogar 82,24 Dollar je Barrel, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich dort die Preislage vor Ort grundlegend ändern könnte.
Das Finanzministerium in Moskau soll übrigens das Problem bei der Bestimmung des Preises von “Urals” gelöst haben, so die Russische Zeitung. Demnach werde diese Preisermittlung künftig durch einen festgeschriebenen Abschlag zum Durchschnittspreis der Marke Brent bestimmt, wobei der Rabatt auf “Urals” jeden Monat etwas verringert werden soll.
Letzten Endes ist diese ganze Angelegenheit mit dem preisbegrenzten Erdöl sehr kompliziert und nicht leicht zu analysieren, obwohl gegenwärtig doch vieles dafür spricht, dass Russland den überwiegenden Teil seines Ölexports erfolgreich umstellen konnte und seine Ressourcen nicht gerade billig verscherbeln muss. Nicht zuletzt aufgrund der dürftigen Faktenlage ist es schwierig, ein Urteil darüber zu fällen, ob die Preisobergrenze die ihr zugedachte Aufgabe erfüllen kann. Denn einerseits stellt die russische Seite keine Statistikdaten zum Handel mehr zur Verfügung, und andererseits werden diesbezüglich eher wenige zuverlässige Daten von anderen Quellen veröffentlicht.
Die Bloomberg-Studie etwa ist dabei definitiv als eine eher objektive Quelle zu betrachten, weil sie sich auf konkrete Zolldaten und auf realisierte Lieferungen bezieht und daher kaum Spielraum für politisch motivierte Interpretationen zulässt. Zahlreiche andere Quellen sind dagegen mit Vorsicht zu genießen, da sie oft auf wilden Spekulationen beruhen.
Mehr zum Thema – EU-Ölpreisobergrenze könnte zu “heftigen” Preisanstiegen führen