Eine Analyse von Andrew Korybko
Der gescheiterte Putschversuch von Prigoschin löste bei vielen im kollektiven Westen eine merkwürdige Reaktion aus: Man bejubelte Prigoschin, was ironisch ist, denn einer der Gründe, warum seine Truppen auf Moskau marschierten, war die Forderung einer Verschärfung des militärischen Engagements Russlands in der Ukraine. Im Gegensatz dazu hat Präsident Wladimir Putin Anfang des Monats nachdrücklich angedeutet, dass er an einer politischen Lösung des Stellvertreterkriegs zwischen der NATO und Russland interessiert sei, wenn die Sicherheit seines Landes gewährleistet sei.
Die militärisch-strategische Dynamik dieses Konflikts hat sich in den vergangenen Wochen, nach dem Scheitern der von der NATO unterstützten Gegenoffensive Kiews, so stark verändert, dass Russland nun seinen Vorsprung im “Wettlauf der Logistik” in diesem Abnutzungskrieg ausbauen kann, um Friedensgespräche wiederzubeleben, falls die USA daran interessiert sind. Der Putschversuch von Prigoschin kam daher zum ungünstigsten Zeitpunkt, weil er das Risiko barg, die vor Ort erzielten militärischen und politischen Fortschritte seines Landes bei der endgültigen Beendigung dieses Stellvertreterkriegs zunichtezumachen.
Wenn der Putschversuch erfolgreich gewesen wäre
Irregeleitete aus dem Westen denken vielleicht, dass ihr Jubel ein Zuspruch dafür ist, dass Russland von innen heraus destabilisiert werden soll. Aber die Realität ist, dass sie damit tatsächlich einen möglichen Weltkrieg bejubeln, sollten sie bekommen, was sie sich wünschen – etwas, das ohnehin äußerst unwahrscheinlich ist. Aber nehmen wir mal in einem äußerst extremen Szenario hypothetisch an, dass Prigoschin seinen Putschversuch erfolgreich hätte durchführen können. Dies hätte mit ziemlicher Sicherheit dazu geführt, dass Präsident Putin den dargereichten Olivenzweig des Friedens an die USA zurückzieht und die russische Militäroperation in der Ukraine folglich eskaliert.
Die Kehrseite dieses hypothetischen Szenarios wäre gewesen, dass der Putschversuch von Prigoschin Russland so weit destabilisiert hätte, dass seine Führung im “Wettlauf der Logistik” untergraben worden wäre, was schließlich eine Umkehrung seiner in den letzten 16 Monaten erzielten Erfolge vor Ort ausgelöst hätte. Die Auswirkungen eines solchen Ereignisses auf die nationale Sicherheit Russlands hätte dazu führen können, dass Moskau als letztes Mittel zur Selbstverteidigung zum Einsatz von Atomwaffen gezwungen worden wäre.
Gefährliche Pattsituation mit Russland
Obwohl Russland im “Wettlauf der Logistik” mit der NATO derzeit die Nase vorn hat, ist nicht zu erwarten, dass die Allianz die Ukraine zusammenbrechen lässt, damit es anschließend vollständig in die “Einflusssphäre” Russlands fällt, falls Moskau in diesem Konflikt einen vollständigen Sieg erringen sollte. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass Polen aus der Verzweiflung heraus, die Frontlinien einzufrieren, eine formelle Intervention der NATO in dieser zerfallenden ehemaligen Sowjetrepublik anstrengen könnte, was zu einer gefährlichen Pattsituation mit Russland führen würde. Eine simple Fehleinschätzung würde dabei die Wahrscheinlichkeit eines Weltkriegs erhöhen, weshalb dies um jeden Preis vermieden werden sollte.
So oder so werden die jüngsten Ereignisse wahrscheinlich nichts Gutes bringen. Ohne die Unterstützung der mächtigsten Mitglieder der Militär- und Geheimdienstelite, die sich in den 18 Stunden seit Beginn des Putschversuchs alle um Präsident Putin versammelt haben, waren die Chancen von Prigoschin auf Erfolg gleich null. Russlands “Balkanisierung” durch einen “Bürgerkrieg” ist eine politische Fantasie, der sich viele im kollektiven Westen in den sozialen Medien gern hingeben und dabei nicht erkennen, dass ihr Jubel für Prigoschin tatsächlich einem Jubel für einen weiteren Weltkrieg gleichkommt.
Aus dem Englischen.
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien spezialisiert hat sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung.
Mehr zum Thema – US-Medien: In Washington wusste man vorab von Prigoschins Meuterei