
Von Astrid Sigena
Als die Schweiz im Mittelalter noch unter habsburgischer Herrschaft stand, stellte der Sage nach Gessler, der Reichsvogt in Schwyz und Uri, einen Hut auf, den jedermann unter Strafandrohung zu grüßen hatte. Tells Weigerung, diesen Gruß auszuführen, führte bekanntermaßen zum berühmten Apfelschuss und letztlich zur Unabhängigkeit der Schweiz. Bis heute gilt der Gesslerhut als Symbol für eine Einrichtung, deren Zweck die öffentliche Erzwingung untertäniger Unterwerfung ist.
Am Montag war es wieder so weit: Bernd Baumann, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, gab der Welt ein Interview. Anlass waren die unter anderem aus der CDU stammenden Vorwürfe, die AfD sei zu russlandfreundlich und gefährde dadurch die Sicherheit Deutschlands (RT DE berichtete). Erwartungsgemäß hielt Baumann mit Verve dagegen und sprach von “Verzweiflungstaten” der Umfrageverlierer von der CDU. Nicht ganz ohne Erfolg: Der Moderator musste zugeben, dass der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) seine Spionage-Vorwürfe verbal abgeschwächt hat:
“Aus juristischen Gründen muss er das wahrscheinlich sagen, weil er das nicht beweisen kann.”
Ebenso erwartungsgemäß kam aber auch die standardmäßige BRD-Wortfloskel, wenn es um den Ukraine-Krieg geht. Ab Minute 2:02 war es dann soweit: Der Moderator warf dem AfD-Politiker vor, nicht “vom Angriffskrieg der Russen”, sondern “von einem Krieg in der Ukraine” zu sprechen. Baumann sprang dann auch gleich brav übers Stöckchen, wies die Behauptung empört zurück und betonte, die AfD-Bundestagsfraktion habe sogar eine Resolution verfasst, in der sie den Ukraine-Krieg zum “völkerrechtswidrigen Angriffskrieg” erklärt hatte. Knapp eineinhalb Minuten später wiederholte Baumann dann noch einmal eigenständig, ohne vom Moderator angeleitet werden zu müssen, das Narrativ vom “völkerrechtswidrigen Angriffskrieg”.
Damit schwächte Baumann seine ansonsten richtige Argumentation: Man müsse mit den Russen verhandeln und zu einer Friedenslösung gelangen, die auch russische Sicherheitsinteressen einschließe. Ebenso wies er zurecht auf die horrenden Summen hin, mit denen Deutschland die Herrschaft Selenskijs am Leben erhält. Aber mit seiner Verbeugung vor dem bundesrepublikanischen Gesslerhut entkräftete Baumann selbst seine Aussagen. Denn: Warum sollte man mit einem Aggressor-Staat verhandeln? Das ist nämlich Russland für denjenigen, der das Narrativ vom “völkerrechtswidrigen Angriffskrieg” übernimmt. Mit der Verwendung dieses Begriffs überlässt man ohne Not den Gegnern einer Einigung mit Russland die Diskurshoheit, die diese Karte mit Vergnügen ausspielen werden.
Zumal dieses Narrativ bestimmte historische Tatsachen völlig außer Acht lässt: Zum Beispiel verdeutlicht Merkels Geständnis (das von ihr sogar mehrfach wiederholt wurde, zuletzt in einem Interview in Ungarn), dass man mit den Minsker Vereinbarungen der Ukraine Zeit verschaffen wollte, um sie wehrhafter zu machen, und den europäischen Verhandlungspartnern Russlands überhaupt nicht an einer dauerhaften Friedenslösung gelegen gewesen sei. Von Boris Johnsons mutmaßlicher Sabotage des Istanbuler Friedensabkommens ganz zu schweigen. Und dies sind nur zwei Beispiele aus der Vorkriegsgeschichte und dem Verlauf des Ukraine-Konflikts, die es verbieten, die Behauptung vom russischen “völkerrechtswidrigen Angriffskrieg” einfach nachzuplappern, wenn man historisch redlich bleiben will.
Auch der anschließende Relativsatz “den Putin da gemacht hat” in Baumanns Ausführungen ist unterkomplex. Schließlich besteht die russische Führung nicht allein aus Putin und der Kampf in der Ukraine wird von großen Teilen des russischen Volkes als schmerzlich, aber leider notwendig angesehen. Die AfD (und auch andere Gegner einer Konfrontation mit Russland) ist nicht verpflichtet, sich für die Entscheidungen der russischen Führung verantwortlich zu fühlen (als deutsche Partei trägt sie die Verantwortung für ihr eigenes Land). Sie braucht sie auch nicht zu rechtfertigen (was in der heutigen BRD ohnehin rechtlich gefährlich wäre). Es wäre allerdings schon viel gewonnen, wenn sie davon ablassen könnte, russophobe Stereotype nachzuplappern.
Um nicht unfair zu sein: Auch die andere Partei von einiger Bedeutung, die sich gegen den Kriegskurs der Bundesregierung und für ein Auskommen mit Russland ausspricht, das BSW, rührt nicht an dem Tabu des angeblichen “völkerrechtswidrigen Angriffskriegs” Putins (gerne auch noch mit der Vokabel “unprovoziert” garniert). Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht ließ eine Zeit lang kaum einen ihrer Talkshow-Auftritte verstreichen, ohne diese Formel ausgesprochen zu haben – fast ganz so, als handele es sich um eine Zauberformel, die sie vor Ausgrenzung und Stigmatisierung schützen könnte. Sie verstieg sich sogar dazu, den russischen Präsidenten einen Verbrecher zu nennen – das seien ihrer Meinung nach alle Politiker, die Kriege begännen. Aber das Herunterbeten der vorgeblich magischen Worte half nichts – sie ist samt ihrer Partei als Putin-Versteherin und fünfte Kolonne Moskaus (O-Ton des Grünen Anton Hofreiter) verschrien, ganz genauso wie die AfD.
Wie man es besser machen kann, zeigt eine Pressemitteilung, die gleichfalls aus der AfD-Bundestagsfraktion kommt, ebenfalls vom 27.10.2025. Sie stammt aus dem Büro des Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio, aus den Debatten im Plenum als rhetorischer Florettfechter der AfD bekannt. Curio nahm Bezug auf eine Meldung des Handelsblatts, der zufolge Bundesinnenminister Alexander Dobrindt von der CSU das Thema Krisenvorsorge in den Schulunterricht einbinden möchte (RT DE berichtete). Medienberichten zufolge soll es dabei auch um die Vorbereitung auf einen möglichen Kriegsfall gehen, wobei die Kinder als Wissensträger in die Familien hineinwirken sollen.
Nichts mit Herumlavieren um den angeblichen “völkerrechtswidrigen Angriffskrieg”. Curio ging vielmehr wort- und grußlos an diesem Gesslerhut vorüber und schritt prompt zum Gegenangriff: Dobrindt wolle “die bellizistische Lufthoheit nun auch über den Kinderbetten”. Und: Bei den Plänen des Bundesinnenministers handele es sich um “pädagogische[n] Kindesmissbrauch zum Zwecke der Kriegspropaganda”. Schüler würden als Multiplikatoren für die Panikmache der Regierung missbraucht: “durch Kinderköpfe in Familien hinein, Schulunterricht als offenes Infiltrationsinstrument”. Beneidenswerte Deutlichkeit, aber in der Opposition zum Kriegskurs leider zu selten.
Und es geht weiter: Curio und sein Team scheuen auch nicht davor zurück, die Kriegspläne der Machthaber anzusprechen. Es “wäre eine unangebrachte Verharmlosung”, in den Maßnahmen der Bundesregierung “nur einen völlig übersteuerten Alarmismus zu sehen”, nein, die die Regierung verfolge mit ihrer Kampagne die Absicht, “das Thema eines kommenden Krieges selbstverständlich bis unvermeidbar zu machen” – für Curio ein erschreckendes Zeichen, “dass für diese Regierung die Würfel offenbar schon gefallen sind” (in Richtung Krieg, muss sich der Leser ergänzen). Der Tenor der Regierungsverlautbarungen sei folgender: “Es kann nur noch um das ‘Wie’ unserer möglichst umfangreichen Vorbereitung gehen”, folglich nicht mehr darum, ob die Deutschen überhaupt einen Krieg wollen und wie man ihn mit diplomatischen Mitteln verhindern könnte. Denn, so Curio weiter:
“Die Panikmache der Regierung soll das Fenster der Stimmung zu immer weiteren Kriegsvorbereitungen öffnen.”
Die bundesrepublikanische Obrigkeit will die Deutschen immer weiter in Richtung Krieg mit Russland treiben. Dagegen müssen sich Kriegsgegner aller politischen und weltanschaulichen Lager nach Kräften wehren. Rücksichtnahme auf die Sprachgebote, derer, die dem Krieg das Wort reden, ist da unangebracht. Klare Artikulation und Anprangerung ihrer Kriegspläne dagegen umso mehr.
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