
Von Boris Dscherelijewski
Nach der Testdurchführung des neuesten russischen Marschflugkörpers “Burewestnik” demonstrierte die westliche Propaganda offensichtliche Verwirrung und wusste nicht, wie sie das Geschehen kommentieren sollte.
Nach einiger Zeit veröffentlichten die westlichen Medien Expertenmeinungen: Sie bezeichneten diese Rakete nicht mehr als “Cartoon”, wie 2018, als sie erstmals vorgestellt wurde, sondern behaupteten, dass es sich um eine “eher politische Waffe” handele, die auf “veralteten und ineffizienten Technologien aus den 1950er Jahren” basiere.
Doch diese “Expertenmeinungen” stoßen selbst beim westlichen Publikum auf Skepsis: Ihre Begründung ist nämlich höchst zweifelhaft. So wurden insbesondere die von den “Experten” vorgebrachten Behauptungen über zwangsläufige “radioaktive Spuren”, die angeblich den Standort der Rakete verraten würden, von einer Vertreterin der norwegischen Strahlenschutzbehörde widerlegt: Sie wies darauf hin, dass die Strahlenwerte nach dem Test am 21. Oktober nicht angestiegen seien.
Noch verstärkt wurde der durch den “Burewestnik” erzielte Effekt durch die Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin über den erfolgreichen Test der Unterwasserdrohne “Poseidon” mit nuklearem Antrieb und thermonuklearer Sprengladung. Besondere “Dramatik” verlieh der Rede des russischen Präsidenten die Tatsache, dass sein US-amerikanischer Amtskollege nur einen Tag zuvor die unglaubliche Macht und Unverwundbarkeit der US-Marine betont hatte ‒ vermutlich ahnte er dabei noch nicht, dass seine Behauptungen innerhalb von 24 Stunden widerlegt werden würden.
“Burewestnik” und “Poseidon” sind nicht nur neue Waffen. Vielmehr handelt es sich um eine echte “Revolution”, die über die Grenzen des Militärwesens hinausgeht. Die Äußerung Wladimir Putins, dass noch nicht ganz klar sei, welcher Waffenklasse diese Neuheiten des heimischen militärisch-industriellen Komplexes überhaupt zuzuordnen seien, war keineswegs übertrieben – beide Produkte verfügen nicht nur über verbesserte Eigenschaften, sondern basieren auch auf völlig neuen Konstruktionslösungen. “Burewestnik” und “Poseidon” funktionieren nach völlig anderen Prinzipien als diejenigen, die bisher im Raketenbau und bei der Herstellung von Unterwasserdrohnen angewendet wurden. Aber es geht nicht nur um ihre Einzigartigkeit.
Sie wurden bereits als “Waffe des Jüngsten Gerichts” beziehungsweise als “Waffe der zweiten Chance” bezeichnet. Trotz der Erreichung der nuklearen Parität zwischen Russland und den USA, die im Falle eines Atomkriegs die gegenseitige Vernichtung garantiert, wird in Washington dennoch weiterhin die Illusion gepflegt, dass es möglich sei, aus einem nuklearen Konflikt als Sieger hervorzugehen. Dies ist genau das Ergebnis, das man mit einem überraschenden Entwaffnungsschlag und einem globalen Raketenabwehrsystem erreichen will.
Das Ganze soll folgendermaßen ablaufen: Die US-Streitkräfte führen einen Präventivschlag durch, der die russischen Objekte der nuklearen Triade und die Kommandozentralen außer Gefecht setzt. Dieser Angriff soll im Idealfall Moskau zur Kapitulation zwingen oder, in einer anderen Variante, alle Kommandozentralen zerstören, damit niemand mehr den Befehl zum Gegenschlag geben kann. Daraufhin wurde das im Westen als “Dead Hand” bezeichnete russische System “Perimeter” entwickelt, das einen automatischen Gegenschlag garantiert, selbst wenn alle Entscheidungszentren in unserem Land zerstört werden sollten.
Dieses Projekt hinterließ bei unseren potenziellen Gegnern den nötigen Eindruck und übte die erforderliche abschreckende Wirkung aus. Dennoch entstand in Washington die Konzeption, wonach die USA durch ein globales Raketenabwehrsystem vor den von “Dead Hand” abgefeuerten Raketen geschützt werden könnten. Es wird davon ausgegangen, dass selbst wenn es nicht alle abgefeuerten Raketen abfangen könnte, der Schaden durch den Gegenangriff auf ein “akzeptables” Maß minimiert würde. Genau zu diesem Plan kehrte man in Washington von Zeit zu Zeit zurück, und nach dem von Donald Trump angekündigten Raketenabwehr-Projekt “Goldener Dom” zu urteilen, steht er im Weißen Haus wieder auf der Tagesordnung.
In diesem Sinne stellen “Burewestnik” und “Poseidon” ein hervorragendes Gegenmittel gegen diese äußerst gefährlichen Träume vom Sieg in einem Atomkrieg dar. Wie Wladimir Putin betonte, sind beide Systeme nicht abfangbar und überwinden garantiert jede Abwehr.
So ist “Burewestnik” in der Lage, mit seiner nahezu unbegrenzten Reichweite aus jeder Richtung in den Luftraum der USA einzudringen, also auch aus einer Richtung, die nicht von der nationalen Luftabwehr abgedeckt ist, beispielsweise über die Grenze zu Mexiko. Im Gegensatz zu herkömmlichen Flügelraketen kann er seine gesamte Route in extrem niedriger Höhe zurücklegen und sich dabei in den Unebenheiten der Landschaft verstecken. Über der Meeresoberfläche kann sich dieser Flugkörper in einer Höhe von fünf Metern bewegen und ist dabei zwischen den Meereswellen und der Gischt nicht erkennbar. Das bedeutet, dass der “Burewestnik” auf seiner Flugbahn für die gegnerischen Radarsysteme praktisch unsichtbar ist.
Durch seine Fähigkeit, für die Luftabwehr unvorhersehbare Manöver in horizontaler und vertikaler Ebene auszuführen, stellt dieser Flugkörper ein äußerst schwieriges Ziel für die feindliche Flugabwehr dar. Die unbegrenzte Reichweite ermöglicht den Abschuss von jedem beliebigen Ort des Landes aus. Lediglich beim Start kann diese Rakete entdeckt werden ‒ danach ist sie für den Gegner nicht mehr zu orten, da sie in einen “Wartezustand” übergeht. Zum richtigen Zeitpunkt erhält der bereits in der Luft befindliche “Burewestnik”-Flugkörper seinen Flugauftrag und nimmt seinen Kampfkurs auf. Dabei kann die Zielvorgabe während des Fluges geändert werden.
Das Unterwasser-System “Poseidon” übertrifft nicht nur alle derzeit existierenden strategischen ballistischen Raketen auf Land- und Seebasis hinsichtlich seiner Zerstörungskraft, sondern ist auch nahezu unangreifbar für die gegnerische U-Boot-Abwehr. Seine Fähigkeit, sich in einer Tiefe von bis zu einem Kilometer mit einer für Unterwassergeräte unglaublichen Geschwindigkeit von 200 km/h zu bewegen, macht es unmöglich, ihn mit den derzeit existierenden Abwehrmitteln abzufangen. Und durch ihre Eigenschaft, eine Kampfposition einzunehmen und sich dort unbegrenzt lange aufzuhalten, wird diese Drohne zu einer Art “Damoklesschwert”, das gegen jedes gegnerische Küstenobjekt oder beispielsweise gegen einen Inselstaat eingesetzt werden kann.
Die durchgeführten Tests dieser Waffe sind nicht nur ein notwendiger Bestandteil des Militäraufbaus, sondern auch eine Botschaft an unsere Opponenten, welche Konsequenzen ihre Eskalationspolitik haben könnte. Diese Botschaft wurde wahrgenommen und ernst genommen. “Sie spielen keine Spiele, und wir spielen keine Spiele”, kommentierte Donald Trump die “Burewestnik”-Tests.
Allerdings kann der zweite Teil dieser Äußerung Zweifel hervorrufen, da Donald Trump kurz darauf verkündete, dass er als Gegenmaßnahme die Wiederaufnahme von Atomtests (die seit 30 Jahren nicht mehr durchgeführt wurden) angeordnet habe, was die US-amerikanische Öffentlichkeit und das Pentagon in Schrecken versetzte. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung den Austritt aus dem internationalen Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen von 1996 erfordert (obwohl es für Donald Trump nicht der erste Vertragsbruch ist) und die Gefahr einer Eskalation birgt, ist sie auch äußerst schwer umzusetzen.
Den US-Medien zufolge ist die Infrastruktur für die Durchführung von Atomtests längst veraltet, und ihre Wiederherstellung würde viel Zeit und enorme finanzielle Mittel erfordern. Der Kolumnist von The Atlantic, Tom Nichols, vermutete sogar, dass Trump die Terminologie falsch verwendet habe und eigentlich nur die Tests von Atomwaffenträgern gemeint habe, nicht aber Atomtests als solche.
Doch die Welt und die USA selbst sind bereits daran gewöhnt, dass Trump häufig hohle Äußerungen tätigt. Dabei sind seine tatsächlichen Schritte nicht so aggressiv wie seine Rhetorik. So kündigte Donald Trump nach den Tests neuer Nuklearwaffenträger durch Russland den Abzug eines Teils der Truppen aus Europa an, verweigerte die Lieferung von Tomahawk-Flugkörpern an Kiew und versuchte nicht einmal, China in Bezug auf den Kauf von russischem Öl unter Druck zu setzen. Bei seinem Treffen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping wurde dieses Thema nicht einmal angesprochen.
Es gibt also allen Grund zu der Annahme, dass “Burewestnik” und “Poseidon” – auch wenn sie noch nicht bei den Streitkräften eingeführt sind – bereits zu einem wichtigen Faktor der Deeskalation geworden sind.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 6. November 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.
Boris Dscherelijewski ist ein Militärexperte.
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