Von Bernhard Loyen
Die Frankfurter Buchmesse bediente nicht überraschend die aktuell bitte nicht zu hinterfragende und medial-politisch eingeforderte “Ukraine-Solidarität” im bewussten Gesamtpaket. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij wurde zur gefühlt 247. persönlichen Videobotschaft seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzung im März einem entsprechenden Publikum zugeschaltet. Seine Ehefrau, Olena Selenska, Autorin eines Handbuchs zur Barrierefreiheit, konnte live auf der Messe ihre rein subjektiven Gedanken zu Politik und Krieg äußern. Und als Finale erhielt am 23. Oktober der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan den mit 25.000 Euro prämierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.
Seit dem Jahr 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Berufsorganisation der Verlage und Buchhandlungen in der Bundesrepublik Deutschland, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zur ursprünglichen Absicht, also Motivation, heißt es weiterhin auf der Webseite:
“Im Friedenspreis wird die Verpflichtung des Buchhandels, mit seiner Arbeit der Völkerverständigung zu dienen, eindrucksvoll sichtbar.”
Gerade über die Sprache, ob verbal oder textlich, können Stimmungen erschaffen, gefördert oder natürlich auch bewusst erzwungen werden. Im Jahr 1929 schreibt Kurt Tucholsky alias Peter Panter in einer seiner berühmten Glossen: “Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.” Vollkommen richtig, mehr denn je. Aber jeder verantwortliche Autor sollte sich dabei sehr wohl bewusst sein hinsichtlich der möglichen oder auch provozierten, also erwünschten Wirkung, bei den Lesern seiner Zeilen. Es folgen daher Zitate des prämierten Serhij Zhadan, jüngster Botschafter einer “Arbeit der Völkerverständigung”, aus seinem Buch Himmel über Charkow:
- “Die Russen sind Barbaren, sie sind gekommen, um unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Bildung zu vernichten.”
- “Brennt in der Hölle, ihr Schweine.”
Sein Buch ist ein modernes Kriegstagebuch, weil es rein die Zitate seiner Facebook-Posts dokumentiert: emotional, erregt, wütend, verzweifelnd. Zhadan betitelte die russischen Soldaten als “Horde”, “Verbrecher”, “Tiere”, “Unrat”. Der verantwortliche Suhrkamp-Verlag informierte zu dem Buch:
“Das Buch ist eine Chronik der laufenden Ereignisse, das Zeugnis eines Menschen, der während des Schreibens in eine neue Realität eintritt und sich der Vernichtung von allem entgegenstemmt. Kein einsamer Beobachter, sondern ein aktiver Zivilist in einer Gesellschaft, die in den letzten acht Jahren gelernt hat, was es bedeutet, gemeinsam stark zu sein.”
Der Ukraine-Krieg begann im März 2022. Acht Jahre zurück befinden wir uns im Jahr 2014, dem eigentlichen Kriegsbeginn. “Freunde kommen um, der Tod ist allgegenwärtig, der Hass wächst”, heißt es im Klappentext zu Zhadans prämierten Werk. Kann Hass Frieden bringen, der Völkerverständigung dienlich sein? Der Deutschlandfunk rezensierte, dass die Zeilen “keinen literarischen Anspruch” besäßen, sondern “ein historisches Dokument” darstellen würden. Die Zeit fragte geschickt: “Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht an einen Autor, der die Russen hasst. Darf das sein?”, um gleich die Antwort hinterherzuschieben: “Leider ja!” Leider? Keiner zwingt die Redaktion dazu, außer ein verordneter und brav umgesetzter Zeitgeist.
“Es gibt irrsinnige Momente karger Schönheit in Zhadans Aufzeichnungen aus einer brennenden Stadt”, formulierte der Rezensent der Süddeutschen Zeitung. Die FAZ erwähnte zumindest in ihrer Buchbesprechung die weniger schönen Passagen:
“Da schreibt der aktuelle Friedenspreisträger, der in seinen Romanen mit literarischen Metaphern und vielschichtigen Bildern gegen eine eindeutige Perspektive angeht wie kaum ein anderer, nunmehr so: “Tod den russischen Invasoren”. Immer wieder auch “Die Russen sind Barbaren” oder “Monster” (…) Sie können unsere Häuser zerstören, aber nicht unsere Verachtung für sie. Unseren Hass”.
Hass, annähernd blinder Hass, Aufruf zur tödlichen Gewalt, die Nutzung der Sprache als in diesem Fall bedenkliche Waffe. “Die Schlichtheit in der Sprache und die Brutalität im Ausdruck waren eine spezifische Methode (…), ein bewusst eingesetztes stilistisches Mittel, um die Massen zu erreichen und eine breite Leserschaft auf einer emotionalen Ebene anzusprechen.” Nein, dies ist nicht die Laudatio in der Frankfurter Paulskirche vom 23. Oktober, sondern ein Beitrag des Deutschlandfunks über die Wochenzeitung “Der Stürmer” aus dem Dritten Reich, der “Geschichte eines Hass-Organs”. Ein anmaßender Vergleich? Die offizielle Begründung zur Prämierung Zhadans spiegelt exemplarisch den berüchtigten Blickwinkel wider, also eine Wahrnehmung, freiwillig oder erwartbar, in der konditionierten Umsetzung:
“Seine Texte erzählen, wie Krieg und Zerstörung in diese Welt einziehen und die Menschen erschüttern. Dabei findet der Schriftsteller eine eigene Sprache, die uns eindringlich und differenziert vor Augen führt, was viele lange nicht sehen wollten. Nachdenklich und zuhörend, in poetischem und radikalem Ton erkundet Serhij Zhadan, wie die Menschen in der Ukraine trotz aller Gewalt versuchen, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen.”
Schwierig. Ja, die eigene Sprache ist unverkennbar. Was wollten aber “viele lange nicht sehen”? Den nun provozierten Russenhass oder das seit Jahren unbeachtete Leid der Menschen in der Ostukraine seit 2014? Die Seite Telepolis fragte nicht vollkommen unberechtigt, ob die Prämierung bei differenzierter und sachlicher Betrachtung nicht doch “ein Friedenspreis, der den Völkerhass stärkt und schürt” darstellen könnte? “Es ist jedoch eine Frage der Empathie, Verständnis für die Ohnmacht, die Entschlossenheit, die Trauer der Ukraine zu haben, die sich bei Zerhij Zhadan Ausdruck verschafft”, forderte demgegenüber das Wochenmagazin Freitag seine Leser auf.
Der Soziologe Harald Welzer erkannte für sich allein aktuell “zu viel Empathie für die Ukraine”. Er ortete in dem lang anhaltenden Beifall des Publikums am 23. Oktober in der Paulskirche eine “gesinnungsethische Überanstrengung”. Auf der Buchmesse Lit.Cologne in Köln präzisierte er seine Kritik:
“In Deutschland fühlten sich alle permanent aufgefordert, die Perspektive der angegriffenen Ukrainerinnen und Ukrainer zu übernehmen.”
Deutschland sei aber “keine Kriegspartei, sondern dritte Partei mit allen Möglichkeiten, die das zum Wohle der Ukraine eröffne.” Welzers Wahrnehmung, sein Blickwinkel ist, dass wer aktiv und bewusst Waffen in eine Kriegsregion liefert, natürlich an diesem Krieg teilnimmt – als unterstützender Lieferant des Todes und des Elends. Dazu dienen Außenministerin Annalena Baerbock und FDP-Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann noch als verbale Sturmhaubitzen. Worte als Waffe. Die Wahrnehmung eines deutschen Soziologen konnte – wenig überraschend – der ukrainische Ex-Diplomat Andrei Melnyk so nicht stehen lassen. Er kommentierte völlig enthemmt und befreit von nervigen politischen Petitessen:
“Professor Dr. Harald Welzer ist ein echter Schandfleck für die deutsche Wissenschaft & ein moralischer Abschaum für die deutsche Gesellschaft. Pfui.”
Schandfleck, Abschaum? Sprache war, ist und bleibt eine Waffe. Auch im Falle des Serhij Zhadan, prämiert als Textautor, um damit einer erwünschten Völkerverständigung zu dienen. Blutgetränkter emotionaler Hass und die Aufforderung zu Straftaten dürfen und sollten auch weiterhin nicht noch mit 25.000 Euro belohnt werden, schon gar nicht in Kriegszeiten.
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