Eine Analyse von Andrei Restschikow
Die Bucht von Sewastopol wurde am 29. Oktober einem mehrstündigen, massiven Terrorangriff ukrainischer Drohnen ausgesetzt. Das Ziel des Angriffs waren Schiffe der Schwarzmeerflotte. Zwar konnte er zurückgeschlagen werden, doch erlitt das Minenräumboot “Iwan Golubez” einen Schaden. Eine feindliche Unterwasserdrohne konnte vernichtet werden. Während des Angriffs kreiste eine amerikanische Aufklärungsdrohne vom Typ “Global Hawk” in neutralen Gewässern über dem Schwarzen Meer, was nach Expertenmeinung in direktem Zusammenhang mit dem Angriff auf Sewastopol steht.
Laut Gouverneur Mikhail Raswoschajew begannen die Angriffe an jenem Samstag um 4:30 Uhr morgens und dauerten mehrere Stunden. Ihm zufolge waren alle städtischen Dienste einsatzbereit, und zivile Objekte der Infrastruktur wurden nicht beschädigt.
In einem Gespräch mit Journalisten erklärte Raswoschajew, dass die ukrainischen Streitkräfte (AFU) hinter dem Angriff steckten und dass es sich um den massivsten Angriff seit Beginn der russischen Spezialoperation handelte. Dieser hatte die militärische Infrastruktur der Schwarzmeerflotte zum Ziel.
Das Verteidigungsministerium konkretisierte, dass die Angriffsformation aus neun unbemannten Flugdrohnen und sieben autonomen Marinedrohnen bestand. Während des Angriffs wurden das Minenräumboot “Iwan Golubez” und die Balkennetzsperre in der Süd-Bucht leicht beschädigt. Die angegriffenen Schiffe sind an der Sicherung des “Getreidekorridors” im Rahmen des internationalen Abkommens zur Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus ukrainischen Häfen beteiligt.
Der Angriff wurde mit Bordwaffen und der Marinefliegertruppe der Schwarzmeerflotte abgewehrt. Es gelang, vier Flugdrohnen im Anflug zu zerstören und drei weitere auf der inneren Reede abzuschießen. Nach Informationen des Verteidigungsministeriums (der Russischen Föderation – d.Red.) waren an der Vorbereitung des Angriffs und an der Ausbildung des Personals des 73. ukrainischen maritimen Zentrums für Spezialoperationen britische Spezialisten beteiligt, die in der Stadt Otschakow in der Region Nikolajew stationiert sind. Vertreter dieser Einheit der britischen Marine sollen auch an der Planung, Vorbereitung und Durchführung des Terroranschlags in der Ostsee am 26. September beteiligt gewesen sein, bei dem die Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 unbrauchbar gemacht wurden.
Nach vorläufigen Informationen haben unsere Verteidigungskräfte auch eine Überwasserdrohne im Hafenbereich zerstört, sagte der Gouverneur. Dies geschah nur wenige Kilometer von der Bucht von Sewastopol entfernt. Bereits früher war berichtet worden, dass das Vereinigte Königreich die Ukraine mit Unterwasserdrohnen für die Minensuche ausgestattet hätte. Im September schrieben Zeitungen aus Sewastopol von der Entdeckung eines unbekannten Drohnentyps in der Nähe des “Soldatenstrandes”, der wie ein “Kamikaze” mit einem Sprengkopf aussah.
Die Reede von Sewastopol ist derzeit abgeriegelt, zivile Fähren und Boote können vorübergehend die Bucht nicht befahren. Die Verbindung zum nördlichen Teil von Sewastopol erfolgt ersatzweise mit Bussen. Ferner werden alle für Zivilisten zugängliche Videoüberwachungsanlagen in der Stadt abgeschaltet. Raswoschajew begründete dies damit, dass die Veröffentlichung von Aufnahmen dieser Kameras dem Feind ermögliche, “Verteidigungssysteme der Stadt auszukundschaften”.
Juri Knutow, Militärexperte und Direktor des Museums für Luftabwehr, ist davon überzeugt, dass der Angriff dank eines leistungsfähigen Luftabwehrsystems und der in Sewastopol errichteten Komplexe für die elektronische Kriegsführung (EAK) abgewehrt werden konnte.
“Sewastopol verfügt über ‘Panzir’-Systeme, die in der Lage sind, Drohnen wirksam zu bekämpfen“,
so Knutow.
Seiner Meinung nach konnten die Drohnen die Bucht überhaupt nur anfliegen, weil sie aufgrund ihrer geringen Größe für herkömmliche Radare unsichtbar sind.
“Die neuen Radare sehen zwar alle Drohnen, anscheinend sind sie aber nicht überall, da ein Teil des Gebiets in der Reichweite der ukrainischen MLRS liegt. Höchstwahrscheinlich sind diese Drohnen im Tiefflug über das Meer aus Richtung Odessa geflogen“,
meint Knutow.
Für eine wirksamere Bekämpfung solcher Angriffe in der Zukunft sei es notwendig, Luftabwehrsysteme auf der Schlangeninsel zu installieren und die Schiffe der Schwarzmeerflotte mit den neuesten Panzir-ME SAM zu schützen, das heißt einer maritimen Modifikation des landgestützten Komplexes.
Konstantin Siwkow, Doktor der Militärwissenschaften, fügt hinzu, dass kleine Drohnen eine große Reichweite haben und “von überall in der Ukraine einfliegen können”. Doch zeigt sich dieser Experte optimistisch:
“Die Ukraine und die NATO können das Problem der Drohnenbekämpfung nicht erfolgreich bewältigen, doch wir können es, wie die Abwehr des Angriffs gezeigt hat.“
Siwkow wertet besonders die Zerstörung der Unterwasserdrohne als Erfolg. Möglicherweise handelte es sich um eine autonome Mine oder eine langsame Angriffsdrohne:
“Diese Unterwasserdrohne könnte von den Briten oder den Amerikanern eingesetzt worden sein. Die Lieferung der Drohne in die Ukraine erfolge möglicherweise über Flüsse von Bulgarien aus, zusammen mit britischem oder amerikanischem Personal. Es handelt sich um eine spezifische Waffe, und selbst wenn sie vom ukrainischen Territorium aus startete, so wurde sie doch von der NATO gesteuert.“
Laut Siwkow ist das Abfangen dieser Drohne Beleg für die hohe Leistungsfähigkeit des Verteidigungssystems der Marinebasis von Sewastopol:
“Eine Unterwasserdrohne ist ein sehr schwer zu entdeckendes Ziel, schwieriger zu entdecken als ein U-Boot, denn sie ist klein und geräuscharm. Dennoch ist es unserem Militär gelungen, sie zu zerstören. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, denn es bedeutet, dass das Verteidigungssystem der Bucht von Sewastopol sehr gut ausgebaut ist.”
Seit dem Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine gab es in Sewastopol wiederholt Einsätze der Flugabwehr. Anfang der Woche berichtete Raswoschajew über einen nächtlichen Drohnenangriff auf das Wärmekraftwerk Balaklawa und den Brand eines der Transformatoren. Ein weiterer schwerer Angriff erfolgte Ende August, als die AFU das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte im Zentrum von Sewastopol angriffen. Die tieffliegende Drohne konnte kurz vor dem Ziel abgeschossen werden, ihr Sprengsatz detonierte in der Nähe des Gebäudes.
Daraufhin verstärkte der militärische Rat der Schwarzmeerflotte die Anti-Sabotage-Operationen im Schwarzen Meer. Seit dem 19. Oktober gilt in Sewastopol eine mittlere Reaktionsstufe – die Sicherheit öffentlicher Ordnung, militärischer Objekte, staatlicher und strategisch wichtiger Einrichtungen wurde erhöht.
Medienberichten zufolge wurde die Aufklärungsdrohne RQ-4B-40 “Global Hawk” der US-Luftwaffe zum Zeitpunkt des Angriffs am Samstag in der Nähe der Krim gesichtet – im neutralen Luftraum über dem Schwarzen Meer. Die Flugdaten der Drohne wurden von Flightradar24 bestätigt. Nach diesen Informationen hob die amerikanische Drohne mit der Registriernummer 11-2046 und dem Rufzeichen Forte-10 um 05:44 Uhr Moskauer Zeit vom Flugplatz Catania auf der italienischen Insel Sizilien ab und flog über den griechischen und bulgarischen Luftraum zum Schwarzen Meer, wo sie mehrere Stunden lang in einer Höhe von 17 Kilometern kreiste.
Global Hawk ist für Aufklärung und Überwachungsoperationen konzipiert und liefert rund um die Uhr Echtzeitbilder großer Landflächen. Außerdem werden solche Geräte zur Unterstützung der Kommunikation als Repeater eingesetzt. Die Drohne kann über 30 Stunden lang in großer Höhe fliegen. Wie auf der Website des Herstellers vermerkt, bietet der Global Hawk, der seit 2001 von der US-Luftwaffe eingesetzt wird, einen umfassenderen Überblick über das zu untersuchende Gebiet.
Knutow ist überzeugt, dass diese Drohne den Angriff der ukrainischen Drohnen auf die Bucht von Sewastopol koordiniert hat.
“Die Aufklärungsdrohne RQ-4B-40 Global Hawk dient der Zielerfassung und Ansteuerung. Die Amerikaner haben wiederholt zugegeben, dass sie der Ukraine nachrichtendienstliche Unterstützung und Informationshilfe leisten. Das amerikanische Satelliten-Internetsystem Starlink, das von der AFU genutzt wird, ist darauf ausgerichtet, ukrainische Militäreinheiten und in diesem konkreten Fall die Drohnen zu unterstützen“,
meint Knutow.
Siwkow entgegnet, dass Global Hawk nicht in der Lage sei, selbst Drohnen zu steuern, aber er könnte die zur Steuerung nötigen Daten übermittelt haben. Seinen Worten nach verfügt Russland über radioelektronische Abwehrsysteme, die den Einsatz des Global Hawk hätten unterdrücken können. Das sei nicht geschehen, weil man offenbar eine Verschlechterung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten fürchtete.
Übersetzt aus dem Russischen
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