Von Tom J. Wellbrock
Liebe Klimaaktivisten,
aus aller Herren Länder, so scheint es, zieht es euch in ein kleines Dorf. Ein Dorf, das es gar nicht mehr gibt. Dafür könnt ihr nichts, auch nicht dafür, dass ausgerechnet in Lützerath Kohle gefördert werden soll. Ihr seid mit Pauken und Trompeten dagegen, dass das passiert. Also demonstriert ihr, ihr protestiert, trampelt in der Gegend herum, baut Baumhäuser und lasst euch wegtragen. Einige von euch werfen auch mit Steinen, und es ist, als würde die alte autonome Szene, die früher versucht hat, die Scheiben der Deutschen Bank einzuwerfen, von Neuem erwachen.
Aber so, wie die Steine an der Deutschen Bank abprallten, weil die Scheiben aus Sicherheitsglas bestanden (ich war Zeuge eines solchen Steinwurfs, es stimmt tatsächlich, und der vermummte Werfer nahm den Stein sogar noch ein zweites Mal in die Hand, bevor er entnervt eine Dose Bier öffnete), so ist euer Protest wenig effektiv. Darüber allerdings könnte man durchaus hinwegsehen, denn beim Protest ist es natürlich so, dass allein die Geste schon ihre Wirkung erzielt. Wer nicht kämpft, hat schon verloren, wir kennen das.
Euer Problem ist ein ganz anderes. Das Problem ist – und ich bin untröstlich, das so direkt aussprechen zu müssen –, dass ihr euch auf ganzer Linie lächerlich macht. Nicht, weil ihr das Klima schützen wollt, nein! Ihr macht euch lächerlich, weil Lützerath nun wirklich nicht das Problem ist, von dem der Fortbestand der Menschheit oder das Klimaziel XY ungelöst abhängt. Aber ihr tut so, als wäre es so, und das ist der Grund, warum ich euch weder unterstützen noch ernst nehmen kann.
Ihr wisst das natürlich, aber die Politiker, die ihr in die Pflicht nehmen wollt, indem ihr euch auf Straßen festklebt, Kunstwerke zu Suppenbildern macht und im Matsch von Lützerath rumtrampelt, die machen parallel dazu nichts anderes, als jede eurer Forderungen plattzumachen. Und das nehme ich nicht nur diesen politischen Sesselklebern übel, sondern eben auch euch.
Ihr bringt es fertig, euch über Besuche und wohlwollende Äußerungen von denen zu freuen, die viel Schlimmeres machen, als Lützeraths Kohle auszubeuten. Ich meine in erster Linie die Grünen, Bündnis 90, ihr wisst schon. Denn große Teile dieser Partei treiben uns gerade aktiv und ganz bewusst in einen Krieg hinein, in einen mächtig heißen Krieg. Dieselben Figuren haben dafür gesorgt, dass wir kein Gas mehr aus Russland bekommen. Dieses Gas war billig, es wurde zuverlässig geliefert, und es hätte sogar das Zeug dazu gehabt, zwischen Russland und Deutschland oder gar dem Rest Europas für ein kooperatives, vielleicht sogar freundschaftliches Verhältnis zu sorgen.
Jetzt kommt alles anders. Vielen von euch wird es nicht klar sein, aber die wirtschaftliche Situation hierzulande und weltweit ist durchtränkt von Aggressionen. Und von Angst. Dieser Krieg in der Ukraine, der hat damit eine ganze Menge zu tun. Die westlichen Sanktionen haben damit eine ganze Menge zu tun. Die Energiepolitik der Bundesregierung trägt dazu bei, dass ich eure Aktionen in Lützerath so lachhaft finde.
Ihr seht all das nicht, und das ist einerseits der Luxus der Jugend, weil sie eben Jugend ist. Jugend ist egoistisch, pubertär, zuweilen auch verwöhnt bis in die Haarspitzen. Das unterstelle ich euch nicht kollektiv, aber ohne Zweifel solltet ihr euch ein paar mehr Gedanken machen, statt die Kohleproduktion in einem Dorf, das es nicht mehr gibt, zu eurem Lebensmittelpunkt zu machen.
Ganz unabhängig von der alles andere als trivialen Frage, ob die Energieversorgung mittel- und langfristig allein durch erneuerbare Energien sichergestellt werden kann (eine Diskussion, die euch vielleicht auch interessieren könnte oder sollte), lege ich euch nahe, euch zu fragen, wie wichtig der Politik eure Anliegen wirklich sind. Wenn sie euch mit euren Ängsten, Forderungen und Wünschen wirklich ernst nehmen würde, hätte sie den Ukraine-Konflikt längst mit diplomatischen Mitteln beendet und versucht, zu Russland eine Beziehung aufzubauen, innerhalb derer Gas mindestens als Übergang eine Rolle spielt, um die Klimaziele zu erreichen.
Ich fordere jetzt also mal etwas von euch: Setzt euch nicht nur mit CO₂-Werten und Temperaturen auseinander, sondern auch mit der Frage, wie sehr der Ukraine-Krieg (und alle anderen Kriege) den Klimanotwendigkeiten entgegensteht. Ihr kommt an diesem Thema einfach nicht vorbei, auch wenn ihr denkt – zumindest habe ich da so ein Gefühl –, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun.
Die Geopolitik des Westens pfeift auf euch! Sie führt euch am Nasenring durch die Manege, während ihr mit Baggermatsch spielt und glaubt, es ginge um euer Leben. Ihr werdet auch in einem, zwei oder zehn Jahren noch atmen, die Frage ist nur, ob ihr euch die Luft noch werdet leisten können.
Ich bitte euch inständig: Begreift endlich, dass die politischen Entscheidungen, mit denen wir es zu tun haben, sich nicht nur auf das Weltklima auswirken, sondern auch auf das gesellschaftliche Klima, und dass es von diesem abhängt, ob wir eine Zukunft haben. Eure Angst vor dem Klimaschock kann ich euch nicht nehmen, aber wenn ihr nicht versteht, dass ein heißer Krieg, der in eine atomare Katastrophe führen kann, das viel akutere Problem ist, ist euch wirklich nicht zu helfen.
Wenn ihr glaubwürdig sein wollt, müsst ihr die größte und radikalste Friedensbewegung werden, die es seit dem Kalten Krieg gegeben hat. Die Forderung nach Klimaschutz ist ohne die gleichzeitige Forderung nach Frieden nicht mehr als eine Laune, die am weiteren Verlauf der Dinge nichts, aber auch gar nichts, ändern wird.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Moderator und Mitherausgeber des Blogs “neulandrebellen“.
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