Von Dagmar Henn
Man erinnert sich mal wieder an ihren Satz von damals, sie “komme vom Völkerrecht”, wenn Noch-Außenministerin Annalena Baerbock im ZDF–Morgenmagazin erklärt, die fiktiven Schiffe der “Schattenflotte” könnten zwar in den Hoheitsgewässern nicht fahren, “aber in internationalen Gewässern eben diese Fahrten stattfinden können. Und das bringt uns vor große, große Sicherheitsherausforderungen, und deswegen ist es wichtig, dass wir hier Vorkehrungen treffen, dass auch das zukünftig unterbunden werden kann”.
ZDF-Reporter sind ja nett und bedarfsweise ahnungslos, weshalb die eigentlich an diesem Punkt angebrachte Frage natürlich nicht erfolgt: Wie, meint sie, soll das gehen, wenn das internationale Seerecht UNCLOS, das regelt, wie auf internationalen Wasserstraßen gehandelt werden darf, ein völkerrechtlicher Vertrag ist, der von 167 Staaten ratifiziert wurde, also weder durch den Willen einer deutschen Außenministerin noch durch den der EU-Staaten insgesamt geändert werden kann?
Wie anders als durch einen Verstoß gegen dieses auch für Deutschland nicht gerade unwichtige Recht (angesichts der Containerflotte in deutschem Eigentum und der, wenn auch bedrohten, Bedeutung der Exportwirtschaft) soll also an Verhältnissen etwas geändert werden, die den Vorgaben dieses Rechts völlig entsprechen?
Klar, wenn Baerbock nach Dänemark fährt, um dort im Bündnis mit den baltischen Zwergen, den extrem russophoben Dänen, den Skandinaviern und dazu noch Polen und Franzosen zu besprechen, wie man in der Ostsee weiter zündeln könne, dann ist das vermutlich aus ihrer Sicht ein passendes Abschiedsgeschenk für die Wähler, die ihr so egal sind.
Übrigens, es ist schon erstaunlich, dass gerade die Dänen mit solchem Eifer dabei sind – in der langen Liste dänischer Kriege waren sie überwiegend mit Briten, Schweden und Deutschen beschäftigt. Mit Russland hatten sie es nur wenig zu tun: als die Eroberungszüge des Livländischen Ordens zurückgeschlagen wurden, unter anderem in der berühmten Schlacht auf dem Peipussee von Alexander Newski, zwischen 1242 und 1270, und dann erst wieder 1813/14, als Dänemark an der Seite Napoleons stand. Verstehen muss man das nicht.
Da ist der derzeitige deutsche Wahn zwar eine Wiederaufnahme einer widerlichen Epoche der eigenen Vergangenheit, aber zumindest kann man hier noch eine vage Verbindung zu rachsüchtigen Verlierern annehmen. Was die Dänen reitet, ist historisch wie ökonomisch ein Rätsel, die Transitgebühren, die vom Durchfluss norwegischen Erdgases nach Polen via Baltic Pipe hängenbleiben, werden es wohl nicht sein.
Aber zurück zum Thema. Natürlich macht Baerbock so etwas nicht allein, sie erhält entsprechende Unterstützung der deutschen Medien, die schon seit Monaten in immer neuen Wellen das Thema der vermeintlichen “Schattenflotte” aufkochen – und dies mit einer solchen Verve, dass selbst jemand wie Baerbock geradezu harmlos wirkt. Ein kleines Beispiel dafür ist die erste Frage eines passend zum Ostseegipfel veröffentlichten Interviews der Zeit mit dem Kommandeur dieses NATO-Ostseestabs in Rostock Stephan Haisch:
“Herr Admiral, jede Woche gibt es Zwischenfälle auf der Ostsee, Pipelines und Kabeltrassen werden attackiert, russische Forschungsschiffe spionieren, jüngst wurde ein Bundeswehrhubschrauber mit Leuchtmunition beschossen. Wie bewerten Sie die Lage?”
In der echten Welt haben die Untersuchungen der vermeintlichen Sabotagefälle an den Unterseekabeln keinerlei Hinweise auf Sabotage ergeben; aber das erschien natürlich als kleine Meldung irgendwo und nicht mit großem Aufmacher. Dass der einzige wirklich relevante, enormen Schaden verursachende Vorfall in der Ostsee, die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline, in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt wird, versteht sich von selbst, da stecken schließlich die “falschen” Täter dahinter. Abgesehen von der illegal beschlagnahmten Eventin, über die jetzt ein Gericht entscheiden muss, sind alle Schiffe, die in den letzten Monaten irgendwo festgesetzt worden waren, wieder frei, auch der Tanker Kiwala, den Estland vor zwei Wochen auf der Fahrt nach Ust-Luga ebenso illegal festgesetzt hatte.
Die beiden Interviewer der Zeit haben wohl wirklich einen historischen Blick auf Ereignisse. Das “jüngst” vor dem “Bundeswehrhubschrauber” jedenfalls steht für fünf Monate, und die Geschichte wurde nie in irgendeiner Weise präzisiert; da der Name des Schiffes nicht bekannt ist, ließ sich auch nie klären, was da “russisch” gewesen sein soll, der Eigentümer, die Flagge, die Besatzung oder die Fracht. Erzählt hat die Geschichte damals übrigens – Baerbock, die auch sonst sehr eifrig dabei war, die Ostsee zum möglichen Kriegsschauplatz zu machen.
Der befragte Konteradmiral Haisch tut natürlich nichts, um diese Reihung absurder Vorwürfe in Frage zu stellen, sondern trägt die Wahnvorstellung mit:
“Russland setzt Nadelstiche, bleibt mit seinen Aktionen aber immer unter der Schwelle eines bewaffneten Konfliktes. Denn bei einer weiteren Eskalation muss Russland damit rechnen, dass die Nato ihre überlegenen Kräfte auch nutzt und zurückschlägt.”
Wobei Haisch irgendwie darauf zu setzen scheint, dass die USA im Bedarfsfall Unterstützung liefern, selbst wenn alles, was derzeit in der Ostsee geschieht, eindeutig “westliche Provokation” schreit. “Militärische Effekte in der Ostsee, zum Beispiel durch den Einsatz von weitreichenden Flugkörpern, könnten unter anderem auch aus der Nordsee erzielt werden.”
Da es kein Gesetz gibt, das vorschreibt, dass Schiffe nur von Schiffen aus beschossen werden dürfen, und eine ganze Reihe russischer Raketen treffgenau genug ist, um von weit im Inland noch Objekte in der Badewanne Ostsee zu versenken, sollte der Herr Konteradmiral eigentlich wissen, dass die “überlegenen Kräfte” so eine Sache sind. Die größte Marine in der Ostsee ist die deutsche, womit eigentlich schon alles gesagt ist.
Nebenbei bestätigt Haisch übrigens die – in Bezug auf den Status von Windkraftanlagen nicht sehr vernünftige – “Zusammenarbeit mit zivilen Stellen”. Sprich, die Spargel werden genutzt, um an zusätzlichen Punkten den Verkehr in der Ostsee zu überwachen. Was sie natürlich, da es eben die Bundeswehr ist, die mit den Daten beliefert wird, und kein Meeresforschungsinstitut, auch zu militärischen Zielen macht. Aber da sind ja die “überlegenen Kräfte”.
Baerbock hat jedenfalls ordentlich Presse geladen für ihren letzten Auftritt und will “rechtlich dafür sorgen, dass auch dann ein Eindämmen von diesen Schiffen generell hier möglich ist”. Man möchte sich bei diesen Aussagen nicht wirklich vorstellen, wie sie in der UN-Generalversammlung das Völkerrecht weiter schreddert, aber der Anblick wird wohl nicht erspart bleiben.
Das Treffen auf Bornholm gehört übrigens selbst wieder zur Begleitmusik für das im Juni geplante Marinemanöver BALTOPS, das von Rostock aus starten und bei dem ein US-Flugzeugträger beteiligt sein soll. Welch ein Glück, dass so ein Ding gerade noch so an einen Liegeplatz des Piers III in Rostock passt, auch wenn es etwas zu lang ist. Aber wer weiß, vielleicht kommt er ja gar nicht.
Die ganze aufgebaute Drohkulisse, die permanenten Störversuche gegen eine reguläre Nutzung internationaler Seewege, das künstliche Konstrukt “Schattenflotte” gehören ebenso wie die Räuberpistolen einer Annalena Baerbock zu einem Konzept, das auf eine zweite NATO-Front in der Ostsee abzielt, deren planerisches Herz das Rostocker Kommandozentrum ist. Die Schritte, die unternommen wurden, verstoßen sämtlich gegen das Völkerrecht, und im Hintergrund lauert immer die Fantasie einer Seeblockade gegen Kaliningrad und St. Petersburg.
Aber die Lage rundherum hat sich verändert, und derzeit dient das Spektakel nur noch dazu, den Westeuropäern dabei zu helfen, ein Ende des Kriegs in der Ukraine zu verhindern. Handlungen, die mittlerweile auf eigene Rechnung geführt werden und nur noch nominell den Rahmen NATO beanspruchen können.
Bei Baerbock wird dieser Groschen vermutlich nicht mehr fallen. Sie ist schon bald damit beschäftigt, die deutsche Missachtung des Völkerrechts tief in die Protokolle der Vereinten Nationen zu graben, aber zum Glück nur ein Jahr lang. Konteradmiral Haisch hingegen sollte sich langsam wieder mit der Wirklichkeit befassen statt mit den Fieberträumen von einem NATO-Binnenmeer. Oder in sein heimatliches Schwaben zurückkehren, auf der Geislinger Steige wandern und die Ostsee jenen überlassen, die das internationale Seerecht ernst nehmen.
Mehr zum Thema – Der Westen stellt in der Ostsee die wichtigsten Schifffahrtsregeln in Frage