Von Dagmar Henn
Die ganze Welt sah den neuesten Ausbruch von US-Präsident Joe Biden, als dieser, noch während der chinesische Präsident Xi Jinping auf dem Weg zum Flughafen war, seine Aussage wiederholte, dieser sei ein Diktator. Und man konnte auch das schmerzverzerrte Gesicht von US-Außenminister Antony Blinken sehen, der sein Bestes gab, in diesem Moment nicht im Boden zu versinken. In russischen Kanälen wurde gespottet, sein Gesicht sei die passende Illustration für die russische Redewendung, jemand könne mit seinem Schließmuskel Stahl zerquetschen.
Jeder dürfte auch inzwischen einige der Aufnahmen kennen, auf denen ein völlig desorientierter US-Präsident von der Bühne geht, den falschen Leuten die Hand drückt oder ans Rednerpult geführt werden muss. Oder ihm mitten in der Rede die Aufmerksamkeit entgleitet. Man kann ihn hören, wie er schwach artikuliert seine Sätze in Mikrofone murmelt, und alle Anwesenden hoffen, dass Anfang und Ende des jeweiligen Satzes noch zusammenfinden. Ob man das nun belustigend oder schmerzlich findet, es ist jedenfalls ein ernstes Problem, über das gesprochen werden müsste – auch in allen Ländern, die sich eng an die Vereinigten Staaten gebunden haben.
Nicht nur, weil man eigentlich doch irgendwie wissen müsste, wer Leuten wie Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, was sie tun sollen. Dass sie nicht für deutsche Interessen stehen, ist unübersehbar. Dass da eine Leine in die Vereinigten Staaten führt, auch. Aber wohin? Biden ist, das ist ziemlich eindeutig, nur noch begrenzt Herr seiner Sinne. Vizepräsidentin Kamala Harris ist eine derartige Leuchte, dass sie es im Grunde auch nicht sein kann. Wer ist es also, der Scholz anruft und ihm seine Tagesbefehle erteilt? Sicherheitsberater Jake Sullivan? Außenminister Blinken? Oder jemand noch weiter im Hintergrund, wie Lebkuchenhexe Victoria Nuland?
Es ist ausgesprochen eigenartig, wenn nicht einmal mehr zum Schein eine direkte politische Verantwortlichkeit besteht, aber aus Deutschland oder Europa gesehen ist das Problem tatsächlich nur halb so schlimm. Warum? Weil es da ohnehin nicht um reguläre Befehlsketten geht.
Im letzten Podcast des US-Journalisten Garland Nixon unterhielt sich dieser länger mit Scott Ritter über diese Frage. Das ist deshalb spannend, weil Nixon selbst lange Polizist war und Ritter bei den US-Marines, beide also rigide Kommandostrukturen kennen. Und beide sehen in Bidens Zustand ein ernstes Problem.
Warum? Weil das Militär auf Befehle handelt, Befehle aber nur unter sehr klar definierten Umständen legal sind. Die letztendlich verantwortliche Person ist der US-Präsident; von dort arbeitet sich die Befehlsgewalt gewissermaßen herunter bis zum einzelnen Soldaten. Dabei ist die Kette klar definiert, und die einzelnen Positionen sind nicht beliebig ersetzbar. Sprich, die gesamte Linie muss nachvollziehbar sein (und in der Regel auch dokumentiert werden), bis hinauf zu jenem Ausgangspunkt, die durch Wahlen legitimierte Exekutive.
Dabei geht es nicht um die Frage, ob und inwieweit die letzte US-Wahl korrekt war. Vielmehr geht es darum, dass nicht einfach irgendjemand einspringen und erklären kann, er oder sie erteile jetzt Befehle anstelle des US-Präsidenten. Abgesehen von der Frage, ob Harris für irgendetwas überhaupt eine Lösung sein könnte: Die Bedingungen, wann ein Vizepräsident an die Stelle des Präsidenten treten kann, sind durch die Verfassung sehr klar festgelegt. Die Rechte des Präsidenten gehen an den Vizepräsidenten über, wenn der Präsident des Amtes enthoben, verstorben, zurückgetreten oder außerstande ist, die Rechte und Pflichten dieses Amtes zu erfüllen. Dabei gibt es keine Teilzeitoption oder vorübergehende Unfähigkeit. Es handelt sich um eine Ja-Nein-Entscheidung.
Biden für amtsunfähig zu erklären, kann sich diese Regierung nicht leisten. Das würde das Problem Harris aktivieren, die noch weniger Vertrauen genießt als der mittlerweile weithin “Sleepy Joe”, der schläfrige Joe, genannte Präsident. Also bleibt Biden die sichtbare Galionsfigur. Für die Medien ist das kein Problem.
Aber die Befehlskette hat damit ihren Ausgangspunkt verloren. Nur wenn sie gewahrt ist, ist ein erteilter Befehl legal, und die Befolgung illegaler Befehle bringt in Teufels Küche. Wie ist es zum Beispiel mit den US-Flugzeugträgern, die gerade im Mittelmeer dümpeln? Wer trifft die Entscheidung, welche Flugzeuge in Syrien oder im Irak bombardieren? Letztlich muss ein solcher Befehl vom Präsidenten ausgehen und kann nicht mal eben von Verteidigungsminister Lloyd Austin oder von den versammelten Stabschefs erteilt werden. Die Soldaten, die solche Befehle ausführen, werden gerade ziemlich im Regen stehen gelassen. Denn wenn sie handeln, ohne einen rechtlich einwandfreien Befehl zu befolgen, wird plötzlich alles zu ihrer persönlichen Verantwortung und nicht mehr zu der des Befehlshabenden.
Das ist aber noch nicht der Gipfel. In den Vereinigten Staaten liegt auch die Befehlsgewalt über den Einsatz des Atomwaffenarsenals in den Händen einer einzigen Person – richtig, denen des US-Präsidenten. Nicht nur, dass sich im Grunde eine solche Entscheidungsgewalt für unverkennbar kognitiv eingeschränkte Personen verbieten müsste; sie lässt sich nicht übertragen. Jedenfalls nicht legal. Nachdem aber weder eine formelle Reaktion auf den Zustand des Präsidenten erfolgt noch das Weiße Haus seine Tätigkeit eingestellt hat, muss man davon ausgehen, dass die zentralen Entscheidungen des “Leuchtturms der Demokratie” derzeit auf anderen als den legalen Wegen gefällt werden. Und sich nicht nur die Frage stellt, wer derzeit über die US-Politik und das Militär entscheidet, sondern auch, wer sich tatsächlich im Besitz des berühmten Roten Knopfes befindet.
Bisher ist noch nicht einmal gesichert, dass der schläfrige Joe nicht noch einmal zur Wahl antritt. Aber alle Regierungschefs des Westens verhalten sich, als wäre alles in Ordnung und als ginge sie das alles nichts an, auch wenn sie im Schlepptau einer Politik einhertrotten, die nicht länger als demokratisch legitimiert betrachtet werden kann. Denn die gesamte US-Regierung weist genau ein Mitglied auf, das durch Wahlen legitimiert ist, und das ist der amtierende Präsident; alle anderen Regierungsmitglieder leiten ihre Autorität nur von ihm ab.
Es ist keine Banalität, dass im Kern dieser ganzen transatlantischen Meute zumindest zeitweise ein intellektuelles Vakuum herrscht. Es müsste irgendjemanden beunruhigen. Aber alle tun so, als wäre da nichts, tun so, als könnten sie ungehemmt Krieg spielen und neue Kriege anzetteln, drohen und bombardieren, wie sie lustig sind, und das Ganze auch noch mit Demokratie begründen, obwohl niemand weiß oder niemand sagt, wer in den Vereinigten Staaten wirklich das Zepter in der Hand hält.
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