Von Felicitas Rabe
Vom 30. September bis 2. Oktober findet in der Grugahalle in Essen die internationale “Joint Air and Space Power Conference 2025” (JAPCC) statt. Dabei beraten führende NATO-Militärs und Vertreter großer Rüstungskonzerne mit Politikern über Hightech-Kriegsführung aus der Luft und aus dem All. Die Konferenz wird von weltweit führenden Rüstungskonzernen gesponsert, darunter Lockheed Martin, Airbus Defense, Thales und Rheinmetall.
In diesem Jahr geht es auf der JAPCC um das Thema “Die Zukunft der Luftüberlegenheit”. Angesichts des Verlusts der NATO-Luftüberlegenheit bei gleichzeitiger Zunahme von Bedrohungen müssten die NATO-Länder und die Rüstungsindustrie neue Kriegstechnologien entwickeln. Im Einladungstext zur Konferenz heißt es auf der JAPCC-Webseite:
“Seit Jahrzehnten ist die unangefochtene Luft- und Weltraumüberlegenheit der NATO ein Eckpfeiler ihrer kollektiven Abschreckungsstrategie. Diese Ära ist vorbei.Die sich verschlechternde geopolitische Lage und disruptive Technologien haben die strategische Lage der NATO grundlegend verändert. Das Spektrum potenzieller Bedrohungen hat sich erweitert und das bisherige Fundament der Luft- und Weltraumabschreckung ist ins Wanken geraten.
Diese zunehmende Vielfalt an Bedrohungen erfordert eine Neubewertung der Abschreckungsstrategien, Verteidigungspläne und allgemeinen Kampfkapazitäten der NATO. Investitionen in High-End-Systeme müssen mit der Notwendigkeit einer ‘erschwinglichen Masse’ in Einklang gebracht werden. […] Um dieser Herausforderung zu begegnen, benötigt die NATO eine umfassende Bewertung ihrer aktuellen Verteidigungslage, die Bereitschaft, schnelle Innovationen zu fördern, und ein Bekenntnis zur Interoperabilität und Zusammenarbeit zwischen den Regierungen, Streitkräften und Industriepartnern des Bündnisses.
Während sich die NATO auf ein sich wandelndes Schlachtfeld neu ausrichtet, muss sie die Frage beantworten: Wie werden wir in zukünftigen Operationen die Luft- und Weltraumüberlegenheit erreichen?”
Am Dienstag, zur Eröffnung der NATO-Konferenz, organisierte das Essener Friedensforum eine Protestaktion gegen die JAPCC. Neben dem Friedensforum riefen weitere Organisationen eines “sozialökologischen Friedensbündnisses” dazu auf, sich am Protest gegen die Pläne der internationalen Kriegstüchtigkeits- und Rüstungslobby zu beteiligen.


Die VVN-BdA (Verfolgte des Naziregimes – Bund der Antifaschisten), der Kreisverband der Linken, das BSW Essen, Pax Christi, DVG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft), IPPNW (Internationale Ärzte gegen Atomkrieg), Erhard-Eppler-Kreis Frieden 2.0 und die Initiative “Wehrhaft ohne Waffen, Modellregion Essen”. Am Protest beteiligte sich außerdem ein Mitglied der Grünen Partei, der für die Initiative “Grüne Alternative” eine Rede hielt.
Seitens der Medien findet die Kriegsvorbereitungskonferenz JAPCC nur wenig Beachtung. Deshalb wäre eine große Kundgebung vor der Grugahalle ein Signal an die Öffentlichkeit, wie die NATO-Länder sich in Essen gerade auf Krieg vorbereiten – und dass es Protest dagegen gibt. Doch die Mobilisierung durch traditionelle Friedensorganisationen und ‑initiativen läuft in Deutschland in den letzten Jahren offenbar immer weniger erfolgreich.
Das Friedensforum Essen und alle am Protest in Essen beteiligten Initiativen konnten nur circa 150 Leute zur Teilnahme mobilisieren. Die Sichtbarkeit des Protestzugs wurde durch die Kürze der Demonstration von rund einem Kilometer auch eher gering gehalten. Auf der kurzen Strecke fanden vier Kundgebungen statt.


Da die ersten drei Kundgebungen die vorgesehene Zeit überschritten hätten, müsse die (eigentlich wichtigste) Kundgebung vor der Grugahalle zeitlich gekürzt werden. So erklärte es Bernhard Trautvetter vom Essener Friedensforum, der die Moderation und Zeitvorgaben für die Kundgebungen gestaltete. Vor der Grugahalle protestierten am Ende ein paar Dutzend Menschen. Offensichtlich hatte auch die Polizei nicht mit vielen Teilnehmern gerechnet und war daher nur mit ein paar Beamten auf der Demonstration gegen die Waffenlobbyisten präsent.
Auf den Kundgebungen sprachen Michael Müller (SPD), Anne Rieger (Bundesausschuss Friedensratschlag), Karl-Wilhelm Koch (Grüne/UGL), Amid Rabieh (BSW), Bernhard Trautvetter (Essener Friedensforum) und Karin Schnittker (VVN). Die vorletzte Kundgebung fand auf einer kleinen Brücke in der Nähe der Grugahalle statt. Auf der Brücke erinnerte die 82 Jahre alte Friedensaktivistin Karin Schnittker in ihrer Rede an die Geschichte der Wiederaufrüstung Deutschlands und die gewaltsame Repression gegen die Friedensbewegung nach 1945. Karin Schnittker berichtete sinngemäß:
Nach 1945 hätten sich die in einem zertrümmerten Ruhrgebiet lebenden Menschen Frieden und Arbeit gewünscht. Ende der Vierzigerjahre habe es Vorschläge seitens der DDR und der Sowjetunion für eine Entmilitarisierung und eine Neutralität Deutschlands gegeben. Seitens der Sowjets hätte man unter diesen Voraussetzungen damals schon einer Wiedervereinigung Deutschlands zugestimmt. Konrad Adenauer und die USA hätten das abgelehnt.
Statt einer deutschen Vereinigung setzten die USA und Adenauer den Marshallplan für das zerstörte Westdeutschland um. Bereits im Jahr 1948 beauftragte Konrad Adenauer den ehemaligen Wehrmachtsgeneral Hans Speidel, ein zunächst noch geheimes Konzept für die “Unvermeidbarkeit der Wiederaufrüstung” zu entwickeln (Himmeroder Denkschrift).


Als die Wiederaufrüstung öffentlich diskutiert wurde, forderten Friedensaktivisten im Jahr 1951 eine Volksbefragung zu der Frage: “Sind Sie gegen Militarisierung?” Die Volksbefragung wurde verboten. Dennoch schafften es die Aktivisten damals, zehn Millionen Stimmen gegen die Wiederaufrüstung zu sammeln. Durch diese Stimmenanzahl sei die Durchführung eines offiziellen Volksentscheids legitimiert gewesen. Doch seitens der Regierung wurde der Volksentscheid verweigert.
Daraufhin hätten Jugendverbände aus verschiedensten politischen und religiösen Spektren, zum Beispiel von den Falken oder von kirchlichen Jugendorganisationen oder Gruppen der bündischen Jugend, eine gemeinsame Jugendkarawane für den Frieden organisiert. Die Jugendkarawane für den Frieden sei von der damaligen NRW-Landesregierung verboten und kriminalisiert worden. Trotz des Verbots versammelten sich am 11. Mai 1952 rund 30.000 junge Menschen aus der ganzen Republik in Essen, um für den Frieden zu demonstrieren. Mit massiver Gewalt ging die Polizei gegen die Jugendlichen vor und setzte dabei Gummiknüppel und Schusswaffen ein, mit denen sie in die Menge schoss.
Es gab Hunderte Verletzte. Der 19-jährige Münchner Arbeiter Philipp Müller starb an jenem 11. Mai an den Verletzungen durch einen Polizeischuss. Damals war die heute 82-jährige Karin Schnittker 10 Jahre alt. Ihre Schwester hatte sie auf die Friedensdemonstration mitgenommen. Ihr Leben lang konnte sie die Erlebnisse nicht vergessen, und auch nicht, wie sie mit ihrer Schwester voller Panik durch den Grugapark rannte, um der Polizeigewalt zu entkommen.
Dies prägte die damals Zehnjährige so sehr, dass sie sich ihr Leben lang als Friedensaktivistin engagierte. Man dürfe den Münchner Friedensaktivisten, der damals erschossen wurde, nicht vergessen, so Karin Schnittker noch heute. Seit Jahren würden sie und andere sich dafür einsetzen, dass die kleine Brücke, auf der er damals ermordet wurde, in Philipp-Müller-Brücke umbenannt würde.
Seit der Gründung der Bundesrepublik bekämen Friedensforscher in Medien und Politik kaum Gehör. Es gebe zahlreiche Vorschläge für Friedensverhandlungen, aber diese seien unerwünscht. Stattdessen behaupteten Politiker, es gebe eine russische Bedrohung, um Panik, Angst und Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung zu erzeugen. Dabei könnten sie keine Belege für die angeblich russische Bedrohung vorweisen, erklärte die 82-jährige Friedensaktivistin die aktuelle Propaganda der Kriegstreiber.

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