
Von Waleria Werbinina
Das algerische Parlament verabschiedete einstimmig ein Gesetz, das es dem Land ermöglicht, von Frankreich erstens eine Entschuldigung und zweitens Reparationen zu fordern. Nach der Idee der algerischen Abgeordneten wird Frankreich – ehemalige Kolonialmacht, die Algerien ab 1830 systematisch und konsequent unterdrückt hat – gezwungen sein, sich zu entschuldigen – und vor allem zu zahlen.
Selbst bei einer Scheidung nach einer nur wenige Jahre langen Ehe können die Vermögensaufteilung und die Festlegung der finanziellen Entschädigung beträchtliche Summen ausmachen. In gewisser Hinsicht wurde die Trennung zwischen Frankreich und Algerien in den 1960er Jahren mit dem Ende des Unabhängigkeitskrieges 1962 bereits vollzogen. Die ehemalige Metropole wähnte sich nun leichtsinnigerweise in Sicherheit und ging mit ihrer ehemaligen Kolonie nicht allzu zimperlich um. Doch nun, im Dezember 2025, hat Algerien beschlossen, Frankreich die Rechnung zu präsentieren.
Die französische Zeitung Le Monde wertet, die diplomatische Feindseligkeit zwischen Algerien und Frankreich habe einen neuen Höhepunkt erreicht. Doch es geht hier eben nicht nur um Diplomatie. Tatsächlich hat Algerien die französische Kolonialisierung des Landes nun auch rechtlich unter Strafe gestellt und sie damit zu einem Verbrechen erklärt, das ein Staat gegen einen anderen Staat begangen hat.
Ideen für ein solches Gesetz lagen schon seit Jahren in der Luft, wurden aber erst unter den aktuellen Umständen umgesetzt, da die Spannungen zwischen Algerien und Frankreich den Höhepunkt der Feindseligkeit erreicht haben. Viele Faktoren spielten hier eine Rolle – von der Dummheit Präsident Macrons, der es wagte, die Existenz des algerischen Volkes offen infrage zu stellen, bis hin zu Frankreichs Intervention als Vermittler im komplexen Westsahara-Konflikt zwischen Algerien und Marokko, den die französischen Behörden zugunsten Marokkos entschieden.
Noch vor wenigen Jahren forderten die Behörden Algeriens nicht einmal eine formelle Entschuldigung von der ehemaligen Kolonialmacht für die Kolonialzeit. Im Jahr 2020 erklärte der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune lediglich, er wünsche sich eine solche Entschuldigung, bestand aber nicht darauf. Nun jedoch wird von Frankreich mehr als nur eine formelle Entschuldigung verlangt – was die Sache grundlegend verändert.
Das französische Außenministerium bezeichnete das neue Gesetz öffentlich als einen “offen feindseligen Vorstoß”, der dem “Wunsch nach einer Wiederaufnahme des französisch-algerischen Dialogs” nur schaden könne. Der Gesetzestext, der aus fünf Kapiteln und 27 Artikeln besteht, enthält hingegen nichts, was Historikern nicht bereits bekannt wäre. Es listet die von Frankreich begangenen Verbrechen auf, darunter “Atomtests” (17 Kernwaffentests fanden zwischen 1960 und 1966 statt), “außergerichtliche Hinrichtungen”, die “systematische Plünderung” der Reichtümer des Landes sowie nicht zuletzt “physische und psychische Folter”. Allein für den Zeitraum der Jahre 1830 bis 1962 gibt es mehr als genug solcher unrühmlichen Tatsachen. Ein eigener Artikel ist den Kollaborateuren, den sogenannten Harkis, gewidmet, deren Handlungen als “Hochverrat” gelten und deren Lob in Algerien nun mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann.
In einem Artikel des neuen Gesetzes heißt es:
“Der algerische Staat wird mit allen Mitteln und auf dem Rechtsweg Maßnahmen ergreifen, um von Frankreich die Anerkennung und eine offizielle Entschuldigung für seine koloniale Vergangenheit zu erwirken.”
Algerien behält sich zudem das Recht vor, Reparationen zu fordern, und besteht auf der Rückgabe der von den Kolonialherren geraubten Schätze – sowie der Dekontamination der Testgelände in der algerischen Sahara, auf denen französische Atomwaffentests stattfanden.
Das Gesetz wertet schon die Eroberung Algeriens als “Verstoß gegen das Völkerrecht” und legt fest, dass die “vollständige Entschädigung für alle materiellen und immateriellen Schäden, die aus der französischen Kolonialisierung resultieren, ein unveräußerliches Recht des algerischen Staates und Volkes” ist. Allein im Unabhängigkeitskrieg wurden französischen Historikern zufolge 400.000 Algerier getötet – 1,5 Millionen nach algerischen Angaben.
Schon vor der Unterzeichnung des Gesetzes bezeichneten algerische Medien es als “geschichtsträchtig” – und verwiesen auf den Zusammenhang mit der Resolution der Afrikanischen Union vom Februar, die unter anderem Kolonialismus und Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord anerkannte.
Hosni Kitouni, Kolonialhistoriker an der Universität Exeter in Großbritannien, meint zwar, dass “dieses Gesetz aus juristischer Sicht keine internationale Bedeutung hat und Frankreich nicht binden” kann.
Das Problem ist jedoch, dass das von Algerien eben verabschiedete Gesetz keineswegs eine nur innerstaatliche Angelegenheit ist. Mögen algerische Medien auch betonen, dass das neue Gesetz Frankreich lediglich dazu verpflichtet, das zu tun, wozu es aus einer universellen moralischen Perspektive verpflichtet ist – vergangene Verbrechen anzuerkennen, Einzelheiten über Tests von Massenvernichtungswaffen offenzulegen, gestohlene Schätze zurückzugeben und dergleichen mehr. Doch es ebnet zudem eindeutig den Weg für Reparationsforderungen, die mit Sicherheit weitreichende Folgen haben werden:
Erstens wurde Afrika eben nicht nur von Frankreich, sondern auch von zahlreichen weiteren Kolonialmächten beherrscht. Und wenn andere Opfer der Kolonialisierung dem Beispiel Algeriens folgen, werden eine Reihe von Ländern – von Großbritannien und Frankreich bis Italien, Portugal und Belgien – vor großen Problemen stehen, wenn auch sie mit Reparationsforderungen konfrontiert werden.
Zweitens hat die Idee der Reparationen in einigen Ländern, wie beispielsweise Polen, politischen Erfolg erzielt. Polen versucht regelmäßig, von Deutschland Entschädigungen für den Zweiten Weltkrieg zu fordern, und erhebt außerdem Ansprüche auf russische Vermögenswerte für die sogenannte Besatzung während der Sowjetzeit. Das Spielfeld für die Instrumentalisierung des Reparationskonzepts überhaupt ist also recht groß.
Mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes hat Algerien gewissermaßen auf Frankreichs Feld gespielt, das für seine Neigung zu juristischer Spitzfindigkeit bekannt ist. Indem Algerien bestätigt hat, dass der französische Kolonialismus ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, hat es klargestellt, dass dieses Verbrechen nicht verjährt – weil eben alle Verbrechen dieser Art nicht verjähren.
Und das bedeutet unter anderem, dass Algerien dieses Thema jederzeit wieder aufgreifen und weiterentwickeln kann – beispielsweise durch die Festlegung einer konkreten Entschädigungssumme. Und das gilt für jedes andere afrikanische Land auch – angesichts der kolonialen Vergangenheit des Kontinents wird es an Klägern ganz sicher nicht mangeln. Etwas Anderes ist, dass neue rechtliche Mechanismen zur Eintreibung von Entschädigungen von den ehemaligen Kolonialmächten erforderlich sein werden. Doch das wird auch noch kommen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 25. Dezember 2025 bei Wsgljad.
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