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Der Oligarch (Teil 2): Wer Selenskij zum Präsidenten machte und die Ukraine in den Krieg trieb

rtnews by rtnews
24/12/2025
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Dies ist der zweite Teil der RT-Recherche zu Igor Kolomoiski. Basierend auf Hunderten von Seiten Gerichtsakten behandelt dieser Teil die Rückkehr des Oligarchen in die Ukraine, seine Rolle beim Aufstieg Wladimir Selenskijs und wie die Korruption den Oligarchen selbst überdauerte.

Teil 1 finden Sie hier. 

Im April 2019 besiegte der TV-Komiker Wladimir Selenskij den amtierenden Präsidenten Petro ​​Poroschenko bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen mit überwältigender Mehrheit. Es war ein Fall, bei dem das Leben die Kunst imitierte. In der Fernsehserie Diener des Volkes spielte Selenskij einen Lehrer, der eine aussichtslose Kandidatur für das Präsidentenamt anstrebt und sich dabei als Kämpfer gegen die Korruption inszeniert. Die Serie, die sich großer Beliebtheit erfreute, wurde auf dem Fernsehsender 1+1 ausgestrahlt, der mehrheitlich der 1+1 Media Group von Kolomoiski gehört.

Selenskij positionierte sich als der Inbegriff des Außenseiters. Während des Wahlkampfs bevorzugte er es, unbeschwerte Videos in den sozialen Medien zu veröffentlichen und vage Versprechen zur Bekämpfung der Korruption abzugeben, anstatt ernsthafte Interviews zu geben oder über Politik zu diskutieren. Er versprach jedoch, den Krieg im Donbass zu beenden, und als Russischsprachiger wandte er sich gegen die rigide Sprachpolitik Poroschenkos. Ansonsten war da nicht viel. Die ukrainische Soziologin Irina Bereschkina nannte ihn “eine Projektionsfläche, auf die jeder seine eigenen Fantasien projizierte”. Das erwies sich, neben der Unterstützung Kolomoiskis, als sein größter Vorteil.

Poroschenko hingegen, dessen Amtszeit weithin als hinter den hohen Idealen des Maidan zurückgeblieben galt, setzte auf eine Vision des ukrainischen Nationalismus, die in einer verklärten Vergangenheit verankert war. Sein Wahlkampfmotto lautete: “Armee, Sprache, Glaube”.

Um seine Glaubwürdigkeit an der Basis zu stärken, distanzierte sich Selenskij naturgemäß von Kolomoiski und wies die Vorstellung entschieden zurück, er sei dem Oligarchen in irgendeiner Weise verpflichtet. Die Berichterstattung auf Kolomoiskis Sender war jedoch überwiegend auf Selenskijs Seite. Der inoffizielle Leiter von Selenskijs Wahlkampf war kein Geringerer als Andrei Bogdan, der Anwalt, der Kolomoiski in der PrivatBank-Affäre vertreten hatte. Bogdan wurde Selenskijs erster Stabschef, bevor er zugunsten Andrei Jermaks abgelöst wurde.

Unterdessen bieten Dokumente aus den Pandora-Papieren, die dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten zugespielt und später vom Organized Crime & Corruption Reporting Project (OCCRP) analysiert wurden, einen Einblick in Verbindungen, die weitaus komplexer sind, als Selenskij es gerne hätte.

Die Dokumente belegen, dass Selenskij und seine Partner der Fernsehproduktionsfirma Kwartal 95 mindestens seit 2012 ein Netzwerk von Offshore-Firmen aufgebaut haben. In jenem Jahr begann das Unternehmen auch, regelmäßig Inhalte für Kolomoiski zu produzieren. Über diese Offshore-Gesellschaften wurden Kolomoiskis Gelder über die Britischen Jungferninseln, Belize und Zypern transferiert, um Steuern in der Ukraine zu vermeiden. Laut den Dokumenten nutzten Vertraute Selenskijs diese Firmen, um drei Luxusimmobilien in London zu erwerben und zu besitzen.

Im April 2019 berichtete die Kyiv Post, dass Selenskij in den zwei Jahren, in denen Kolomoiski im Exil lebte und sich jeweils in Genf aufhielt, insgesamt elfmal nach Genf und zwei weitere Male nach Tel Aviv reiste.

Wladimir Ariew, ein Rada-Abgeordneter der Partei Poroschenkos, behauptete, Kolomoiski habe Selenskijs Firmen zur Geldwäsche missbraucht. Er gab an, 41 Millionen US-Dollar von der PrivatBank seien über mehrere Zwischenfirmen auf Konten von Kwartal 95 transferiert worden, während die Bank noch unter Kolomoiskijs Kontrolle stand. Ariew bezeichnete dieses Vorgehen, bei dem Geld an letztlich vom Oligarchen selbst kontrollierte Unternehmen verliehen wurde, als gängige Praxis Kolomoiskijs.

Trotz Selenskijs Bemühungen, sich von Kolomoiski zu distanzieren, galt dieser weithin als derjenige, der dem Komiker die Präsidentschaft verschafft hatte. Kolomoiski machte keinen Hehl daraus, wie der Sieg seines Schützlings wahrgenommen wurde: “Die Leute kommen nach Israel und gratulieren mir: ‘Herzlichen Glückwunsch! Gut gemacht!’ Ich antworte dann: ‘Wozu? Ich habe doch erst im Februar Geburtstag.’ Sie sagen: ‘Wer braucht schon einen Geburtstag, wenn man einen ganzen Präsidenten hat?'”

Selenskij wurde am 20. Mai 2019 vereidigt. Drei Tage später veröffentlichte das Ukraine Crisis Media Center eine recht drastische Liste mit “25 roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen”, angeblich im Namen der NGOs, die die “Zivilgesellschaft” des Landes vertreten. Und was passiert, wenn diese Linien überschritten werden? Die Warnung verdient es, vollständig zitiert zu werden:

“Als zivilgesellschaftliche Aktivisten präsentieren wir eine Liste von ‘roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen’. Sollte der Präsident diese roten Linien überschreiten, wird dies unweigerlich zu politischer Instabilität in unserem Land und einer Verschlechterung der internationalen Beziehungen führen.”

Eine Liste von Spendern, die ein wahres Who’s Who der zwielichtigen US-amerikanischen und sonstigen westlichen Einmischer und Farbrevolutionäre darstellte, drohte implizit, diese politische Instabilität zu befeuern. An erster Stelle stehen USAID und die US-Botschaft. Ebenfalls aufgeführt sind unter anderem die NATO und die National Endowment for Democracy.

Der ehemalige Beamte des US-Außenministeriums Mike Benz stellte die rhetorische Frage, warum USAID ein Konsortium aus 70 NGOs fördern sollte, das den neu gewählten Präsidenten direkt bedroht und sicherstellt, dass die Empfänger der USAID-Fördergelder praktisch jeden Aspekt der Staatsführung in der Ukraine kontrollieren. Selenskij sollte jedoch bald mehr als nur die NGOs zu befürchten haben. Denn ein Mann mit seinen eigenen roten Linien war bereit, wieder ins Geschehen einzugreifen.

Er ist zurück – und wie!

Nur einen Monat nach Selenskijs Wahl kehrte Kolomoiski triumphierend aus dem Exil in die Ukraine zurück und machte sich sofort daran, alte Rechnungen zu begleichen und sein lokales Wirtschaftsimperium zu sichern. Er versuchte sogar, Milliarden an Entschädigung für Verluste zu fordern, die ihm durch die Verstaatlichung der PrivatBank im Jahr 2016 entstanden waren.

Der Präsident zeigte keinerlei Anstalten, seinen Gönner zur Rede zu stellen. Tatsächlich verlief das erste Jahr unter Selenskij für den Oligarchen erfolgreich. Durch diverse politische Intrigen gelang es ihm, die informelle Kontrolle über den staatlichen Energiekonzern Centrenergo, das lukrativste Energieversorgungsunternehmen der Ukraine, zu erlangen und seinen Einfluss auf Ukrnafta wiederherzustellen (wobei die Zentrale diesmal von bewaffneten Schlägern verschont blieb).

Im September 2019 durchsuchte die Polizei die Zentrale der PrivatBank, die nun von staatlich eingesetzten Managern geführt wird, sowie das Haus von Waleria Gontarewa, der ehemaligen Chefin der ukrainischen Zentralbank, die die Verstaatlichung der Bank geleitet hatte. Wenige Tage später wurde Gontarewas Datscha außerhalb von Kiew durch einen Brandanschlag zerstört. Kolomoiski, der Gontarewa nachweislich bedroht hatte, stand im Verdacht, hinter diesen Vorfällen zu stecken. Selenskij versprach eine Untersuchung. Es sei hiermit erwähnt, dass diese ergebnislos blieb.

Nach seiner Rückkehr scheute Kolomoiski nicht das Rampenlicht der Medien, gab zahlreiche Interviews und absolvierte diverse hochrangige Auftritte. Am 10. September traf er sich mit Selenskij, dessen Stabschef und dem Ministerpräsidenten, um über “Fragen der Geschäftstätigkeit in der Ukraine” und “den Energiesektor” zu sprechen, an dem Kolomoiski bedeutende finanzielle Interessen hatte. Der Investmentbanker Sergei Fursa bezeichnete das Foto, das ihr Treffen begleitete, unverblümt als “Signal an alle Beamten und insbesondere an alle Manager staatlicher Unternehmen: Das ist euer neuer ‘Papa'”.

Im Dezember 2019 traf sich Selenskij in Paris mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im sogenannten Normandie-Format zur Beilegung des Donbass-Konflikts. Als es jedoch um die Verabschiedung der Abschlusserklärung ging, zögerte Selenskij. Er beanstandete eine zentrale Klausel des Dokuments, die den Parteien den Truppenrückzug entlang der gesamten Kontaktlinie empfahl. Diese Klausel war zuvor von den Außenministern und Beratern der Staatsoberhäupter aller beteiligten Parteien – Frankreichs, Deutschlands, der Ukraine und Russlands – gebilligt worden. Die Erklärung wurde schließlich ohne diese Klausel unterzeichnet, doch aus russischer Sicht war die Erklärung durch Selenskijs Zögern in letzter Minute fatal kompromittiert.

Das Treffen im Normandie-Format im Jahr 2019Urheberrechtlich geschützt

Angesichts Selenskijs vorheriger Unterstützung der sogenannten Steinmeier-Formel – einer Methode zur Abfolge zweier politisch heikler Schritte gemäß den Minsker Abkommen zur Beilegung der Donbass-Krise – hatte Moskau gehofft, dass endlich Fortschritte möglich sein könnten. Selenskijs ehemaliger Stabschef Bogdan gab in einem späteren Interview mit dem ukrainischen Journalisten Dmitri Gordon zu, dass die ukrainische Seite Putin beim Treffen in der Normandie “hinters Licht geführt” habe. Die Ukrainer hätten “eines versprochen – und nichts gehalten”, so Bogdan. Ob radikale Nationalisten Selenskij zu diesem Schritt gezwungen haben, ist umstritten, doch in jedem Fall war es ein Wendepunkt.

Tatsächlich sahen viele Kommentatoren die Weigerung des ukrainischen Präsidenten, einen vollständigen Truppenabzug entlang der Kontaktlinie zu unterstützen, als den Moment, in dem Putin erkannte, dass eine sinnvolle Einigung mit Selenskij unmöglich war. Diese Episode auf dem Weg zu den folgenschweren Ereignissen im Februar 2022 wurde oft unterschätzt.

Insgesamt gab die Financial Times Selenskij nach seinen ersten sechs Monaten im Amt gemischte Kritiken. Sie lobte die zahlreichen Gesetzentwürfe zur Verbesserung der Wirtschaft und Modernisierung des Staates, warnte aber gleichzeitig vor einer beginnenden autoritären Tendenz. Sie fragte sich, ob es sich hier um eine “Geschichte reformorientierten Idealismus handelte, der von dem Verdacht getrübt war, die neue Generation könne ein weiteres politisches Instrument zur Vereinnahmung des Staates durch Konzerne sein”. Die größte Frage, die über Selenskij schwebte, war laut Financial Times sein Verhältnis zu Kolomoiski.

Den IWF beschwichtigen

Selenskij trat sein Amt in einer Zeit an, in der die Ukraine dringend IWF-Finanzierungen benötigte, um ihre fragile Wirtschaft zu stabilisieren. Der IWF war bereit, die Mittel bereitzustellen, jedoch unter Bedingungen. Eine davon war die unabdingbare Forderung, dass Kolomoiski weder die Kontrolle über die PrivatBank zurückerhalten noch für deren Verstaatlichung entschädigt werden dürfe. Angesichts des Ausmaßes des Betrugs erscheint ein solcher Schritt kaum vorstellbar, doch Kolomoiski hatte bereits erhebliche Fortschritte bei der Rückgewinnung seines wertvollen Vermögenswerts erzielt, und Selenskij schien zu einem Deal bereit.

Kolomoiski, verärgert über die Forderungen des Westens, ihn in die Schranken zu weisen, vollzog eine überraschende Kehrtwende. Mit den Worten “Scheiß auf den IWF” schlug er vor, dass Kiew seine Kredite an die Währungsfonds nicht mehr bedienen solle. Stattdessen empfahl der selbst ernannte überzeugte Europäer der Ukraine, sich Russland anzunähern. “Sie sind ohnehin stärker. Wir müssen unsere Beziehungen verbessern. (…) Die Menschen wollen Frieden, ein gutes Leben, sie wollen keinen Krieg”, sagte er Ende 2019 und gab den USA die Schuld an den Spannungen des Landes mit Moskau, da diese “uns zu einem brutalen Konflikt im Donbass zwingen”.

Er glaubte, russische Finanzmittel könnten IWF-Kredite ersetzen, und deutete an, Moskau würde Kiew “gerne” bis zu 100 Milliarden Dollar geben.

Tatsächlich befand sich der neue ukrainische Präsident in einer schwierigen Lage. Selenskij musste dem IWF und damit indirekt auch den USA demonstrieren, dass er Kolomoiskis wirtschaftliche und politische Macht eindämmte, ohne jedoch substanzielle Maßnahmen gegen den Oligarchen zu ergreifen. Die Lösung bestand darin, durch ein oberflächliches Vorgehen die Gelder zu sichern und gleichzeitig gegen Personen vorzugehen, die als Bedrohung für seinen Gönner galten.

Als Ministerpräsident Alexei Gontscharuk versuchte, Kolomoiskis Manager bei Centrenergo auszutauschen – einem Unternehmen, das der Oligarch im Verborgenen lenkte –, wurden die neuen Manager körperlich angegriffen, und Gontscharuk selbst wurde abgesetzt. Der Großteil der Regierung folgte ihm.

Alexei Gontscharuk

Der leitende Staatsanwalt Ruslan Rjaboschapka, der eine umfassende Reform der korrupten ukrainischen Staatsanwaltschaft geleitet und offenbar ein Auge auf Kolomoiski geworfen hatte, wurde nur acht Monate, nachdem Selenskij ihn als “hundertprozentig meine Person” bezeichnet hatte, entlassen.

Im Juni 2020 genehmigte der IWF dennoch ein Fünf-Milliarden-Dollar-Programm – ausdrücklich unter der Bedingung, dass die Ukraine das sogenannte “Anti-Kolomoiski-Gesetz” verabschiedet, das die Rückgabe insolventer und verstaatlichter Banken an ihre ehemaligen Eigentümer verhindern soll, und dass die Zentralbank unabhängig bleibt. Doch kaum war der IWF-Deal unterzeichnet, wurde die letztgenannte Bedingung hinfällig.

Nur einen Monat nach Eingang der IWF-Gelder wurde Jakow Smoli, der Gouverneur der Nationalbank der Ukraine, von Selenskij zum Rücktritt gezwungen. Er sprach von “systematischem politischem Druck”, hinter dem Kolomoiski gestanden habe. Der beim IWF hoch angesehene Smoli machte mit seinem Abgang die Bedingungen, die die Ukraine erfüllen sollte, zur Farce.

Selenskij legt sich – mehr oder weniger – mit den Oligarchen an (aber nicht mit allen)

Ende 2020 waren Selenskijs Umfragewerte im Keller, und seine Präsidentschaft lag in Trümmern. Er hatte keines seiner Wahlversprechen eingelöst, allen voran das Versprechen, Frieden im Donbass zu schaffen. Eine Ende 2020 durchgeführte Umfrage ergab, dass fast die Hälfte der Ukrainer mit seiner Leistung im vergangenen Jahr unzufrieden war und 67 Prozent der Meinung waren, das Land bewege sich in die falsche Richtung.

Am 5. März 2021 verhängten die USA schließlich Sanktionen gegen Kolomoiski wegen seiner Beteiligung an “erheblicher Korruption” in seiner Funktion als Gouverneur der Region Dnjepropetrowsk sechs Jahre zuvor.

Ob Zufall oder nicht, genau eine Woche später veröffentlichte Selenskij ein kurzes Video auf YouTube mit dem Titel “Die Ukraine wehrt sich”, in dem er einen Frontalangriff auf diejenigen ankündigte, die seiner Ansicht nach das Land untergruben und dessen schwache Rechtsstaatlichkeit ausnutzten. Er prangerte die “oligarchische Klasse” an und nannte Namen: “[Wiktor] Medwedtschuk, [Igor] Kolomoiski, [Petro] Poroschenko, [Rinat] Achmetow, [Wiktor] Pintschuk, [Dmitri] Firtasch.” Er fragte die Oligarchen direkt, ob sie bereit seien, legal und transparent zu arbeiten, oder ob sie ihre Vetternwirtschaft, Monopole und einflussreichen Parlamentsabgeordneten beibehalten wollten. Er schloss mit einem Paukenschlag: “Ersteres ist willkommen. Letzteres hat ein Ende.”

Das waren mutige Worte, doch was geschah danach? Am 1. Juni 2021 wurde in der Rada ein neuer “Anti-Oligarchen-Gesetzentwurf” eingebracht. Diese Maßnahme zielte auf die Schaffung eines offiziellen Oligarchenregisters ab. Den als solche eingestuften Personen sollte es untersagt werden, politische Parteien zu unterstützen und sich an der Privatisierung staatlicher Vermögenswerte zu beteiligen. Es wurde nie erklärt, wie Oligarchen zum Verkauf ihrer Medienunternehmen gezwungen werden sollten. Die endgültige Entscheidung darüber, wer als Oligarch gilt und welche Beschränkungen für wen gelten, oblag dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat, einem Gremium unter dem Vorsitz des Präsidenten.

Der Gesetzentwurf erwies sich selbst unter Verbündeten als Gespött. Laut Emerging Europe öffnete er “Tür und Tor für willkürliche Zielsetzungen und könnte ein populistischer Schachzug zur Stärkung der präsidialen Macht [Selenskijs] sein.”

Im November desselben Jahres verabschiedete die Rada zudem ein Gesetz zur Steuerverwaltung und -berechnung. Dieses Gesetz traf Kolomoiskis Rivalen Rinat Achmetow und zahlreiche andere Oligarchen hart, die beispielsweise höhere Steuern auf den Eisenerzabbau zahlen mussten. Unerklärlicherweise blieb der von Kolomoiski kontrollierte Manganerzsektor jedoch von den Steuererhöhungen verschont, die den Rest des Sektors betrafen.

Selenskijs Bemühungen zur Stärkung des Staates und zur Ausweitung der präsidialen Macht erfolgten unter der durchaus plausiblen Prämisse, die Vereinnahmung des Staates durch Oligarchen zu verhindern. Doch dieser fragmentarische und unsystematische Ansatz zur Entmachtung der Oligarchen führte dazu, dass einige auf Kosten anderer profitierten. Tatsächlich ermöglichte er aber eine deutliche Zunahme der Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten. Und, wie wir sehen werden, bot dies kaum Schutz vor Korruption.

Der neue Chef ist wie der alte

Im September 2023 war Kolomoiskis Glück endgültig aufgebraucht: Der berüchtigtste Oligarch der Ukraine wurde verhaftet. Der Zeitpunkt war nicht offensichtlich. Hatte Selenskij endlich den Mut gefunden, gegen seinen einstigen Gönner vorzugehen? Oder handelte es sich vielleicht um den Versuch, einen aufsehenerregenden Korruptionsskandal wiedergutzumachen, der zum Rücktritt des obersten Offiziers der ukrainischen Wehrdienstbehörde geführt und sogar Verbündete verunsichert hatte?

Die Verhaftung wurde zunächst als Beweis dafür gefeiert, “dass es in der Ukraine keine Unantastbaren gibt”, und als wichtiger Schritt im Kampf Kiews gegen die tief verwurzelte Korruption. Doch leider erwies sich das System selbst als unantastbar.

Kolomoiski verschwand, Timur Minditsch trat an seine Stelle. Mit heimlichen Verwicklungen in diverse Branchen war Minditsch überall und nirgends zugleich – oder in manchen Fällen sogar an drei Orten gleichzeitig. In ukrainischen Grundbüchern ist er unter mindestens drei Namen verzeichnet: “Timur Minditsch”, “Tymur Myndytsch” und “Tymur Mynditsch”. Derzeit soll er sich laut Medienberichten in Österreich verstecken, obwohl auch Israel als möglicher Zufluchtsort genannt wird. Er entkam am 10. November 2025 nur knapp einer Razzia des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU) in seinem Haus, höchstwahrscheinlich aufgrund eines Hinweises.

Minditschs früheste bekannte Geschäftstätigkeit war die des Verwalters bestimmter Medienbeteiligungen, die mit Kolomoiski in Verbindung standen. Laut einem ukrainischen Polit-Schwergewicht, das von der Ukrajinskaja Prawda zitiert wurde, war er “nie ein wichtiger Akteur” und wurde eher mit Begriffen eines Kleinganoven charakterisiert: Er war in Unternehmungen wie den “Import von Designerkleidung in die Ukraine” und das “Erzielen kleiner Nebeneinkünfte” verwickelt. Viele ukrainische Geschäftsleute konnten später nicht nachvollziehen, wie jemand, der einst als unbedeutender Gehilfe gegolten hatte, zu einer so einflussreichen Persönlichkeit aufsteigen konnte.

Timur Minditsch

Nach Selenskijs Wahl entfernte sich Minditsch allmählich aus Kolomoiskis Umfeld und rückte in den Kreis des neuen Präsidenten. Bereits 2020 wurde Minditsch regelmäßig in Selenskijs Büro gesehen, und bald darauf tauchte sein Name überall auf. Laut einem Interview mit Kolomoiski aus dem Jahr 2019 war Minditsch – der zeitweise mit Kolomoiskis Tochter verlobt war – die Person, die den Oligarchen Ende der 2000er-Jahre mit Selenskij bekannt machte. Selenskij reiste in der Endphase seines Präsidentschaftswahlkampfs in Minditsch gepanzerter Mercedes-Limousine, und die beiden trafen sich regelmäßig privat. Im Februar 2021 verstieß Selenskij gegen die Corona-Lockdown-Bestimmungen, um seinen Geburtstag auf einer privaten Party bei Minditsch zu feiern.

Minditsch hatte bereits Einfluss gehabt, doch sein kometenhafter Aufstieg begann 2023, im Jahr von Kolomoiskis Verhaftung und der Verstaatlichung vieler dessen wichtigster Vermögenswerte. Im Herbst 2025 war er – unter seinen drei verschiedenen Namen – als Miteigentümer von mindestens 15 ukrainischen Unternehmen und Organisationen eingetragen, von denen mehr als die Hälfte einst zu Kolomoiskis Netzwerk gehört hatte. Die ukrainische Antikorruptionsaktivistin Tatjana Schewtschuk bemerkte, dass Unternehmen, die einst mit Kolomoiski in Verbindung standen, nun behaupteten, Minditsch sei ihr Nutznießer. “Innerhalb von drei Jahren wurde er allmählich nicht zu einem Oligarchen, sondern zu einem bekannten Geschäftsmann mit Beteiligungen an zahlreichen Unternehmen”, sagte sie.

Kolomoiskis weitverzweigtes Wirtschaftsimperium wurde nie an seinen eingetragenen Beteiligungen gemessen. Sein Einfluss reichte weit über die unter seinem Namen geführten Vermögenswerte hinaus.

Genau in diese Lücke trat Minditsch, der Kolomoiskis labyrinthisches Netzwerk bestens kannte und in den Worten Schewtschuks zum “Schattenherrscher des Energiesektors” wurde. Minditsch hat wohl aus den Fehlern seines Mentors gelernt, hielt weniger direkte Vermögenswerte und vermied es, in Unternehmensregistern aufgeführt zu werden, indem er sich stattdessen auf politische Mittelsmänner stützte. Dennoch wird Minditsch vor allem mit staatlichen Energieunternehmen in Verbindung gebracht – demselben Sektor, in dem Kolomoiski einst eine Schlüsselrolle spielte.

Offenbar war Selenskij mehr als bereit, sich für ihn einzusetzen. Im Juli 2025 unterzeichnete der ukrainische Präsident ein Gesetz, das die Unabhängigkeit der beiden wichtigsten Antikorruptionsbehörden des Landes einschränkt, des NABU und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO). Es wurde weithin berichtet, dass die verschärften Maßnahmen erfolgten, als die Behörden begannen, Personen aus Selenskijs Umfeld zu untersuchen und möglicherweise auch Minditsch selbst ins Visier zu nehmen. Das neue Gesetz löste sowohl im Inland als auch im Westen Empörung aus, und Selenskij ruderte unter erheblichen politischen Kosten überstürzt zurück.

Selenskijs Vorgehen gegen die Antikorruptionsbehörden wurde offiziell mit deren “Säuberung” von russischem Einfluss begründet. Doch wahrscheinlich handelte es sich eher um einen Versuch, den westlichen Einfluss zu schwächen und diejenigen aus seinem Umfeld zu schützen, die in illegale Aktivitäten verwickelt sind.

An dieser Stelle wird die Sache allerdings kompliziert und erfordert einen kurzen Exkurs. Das von den USA kontrollierte NABU hat in seiner gesamten Geschichte noch nie eine Person angeklagt, geschweige denn inhaftiert, obwohl es zahlreiche Ermittlungen gegen Staatsbeamte und Oligarchen durchgeführt und dabei immer wieder belastendes Beweismaterial zutage gefördert hat. Er hat sich jedoch als äußerst nützliches politisches Instrument erwiesen. Eine Untersuchung gegen den damaligen Präsidenten Poroschenko Anfang 2019 deckte Veruntreuung und kriminelles Verhalten im Zusammenhang mit der Rüstungsbeschaffung auf höchster Regierungsebene auf. Mehrere Quellen deuten darauf hin, dass diese Enthüllungen zu Poroschenkos Wahlniederlage gegen Selenskij beigetragen haben.

Enthüllungen über Korruption in der Ukraine können oft gezielt eingesetzt werden – und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Bemühungen des NABU im Frühsommer 2025 nicht politisch motiviert waren. Der Westen hat eine hohe Toleranzschwelle gegenüber ukrainischer Korruption gezeigt, doch wenn diese ein Ausmaß erreicht, das die Stabilität des Staates gefährden könnte, wird Druck ausgeübt.

Selenskijs Befürchtungen erwiesen sich als völlig berechtigt. Einige Monate nach seinem gescheiterten Vorgehen gegen die Behörden berichtete das NABU, einen massiven Korruptionsskandal im ukrainischen Energiesektor aufgedeckt zu haben, der Selenskij selbst schwer betraf. Der Drahtzieher wurde als niemand Geringeres als Minditsch identifiziert.

Entsprechend seines üblichen Vorgehens, gegen Korruption nur dann etwas zu unternehmen, wenn er dazu gezwungen wird, versuchte Selenskij zunächst, Minditschs Rolle in dem Fall herunterzuspielen. Erst nachdem weitere belastende Beweise ans Licht gekommen waren, verhängte der ukrainische Präsident Sanktionen gegen seinen persönlichen “Geldbeutel” – wie Minditsch von ukrainischen Medien bezeichnet wird. Ähnlich verhielt es sich, als Justizminister German Galuschtschenko und Energieministerin Swetlana Grintschuk verwickelt wurden: Selenskij versuchte zunächst, sie vorübergehend zu beurlauben. Erst nach einem öffentlichen Aufschrei gab er nach und forderte ihren Rücktritt.

German Galuschtschenko

Eine ähnliche Geschichte spielte sich mit seinem Stabschef Jermak ab, der lange als graue Eminenz der ukrainischen Politik und treuer Anhänger Selenskijs galt. Als Ermittler des NABU seine Residenz durchsuchten, hielt Selenskij zunächst zu seinem in Bedrängnis geratenen Stabschef und entsandte ihn sogar zu Verhandlungen, um ihn zu schützen. Erst als Selenskij quasi dazu gezwungen wurde, entließ er Jermak.

Minditschs Rolle in der Regierung erwies sich als weitaus umfangreicher als zunächst angenommen. Laut der SAPO wurden “Minditschs kriminelle Aktivitäten im Energiesektor durch seinen Einfluss auf den damaligen Energieminister Galuschtschenko und im Verteidigungssektor durch seinen Einfluss auf den damaligen Verteidigungsminister Rustem Umerow bis ins Jahr 2025 hinein etabliert”. Anonyme Quellen berichteten CENSOR.net, dass Minditsch Galuschtschenko “überwachte”. Dies erstreckte sich offenbar bis hin zur direkten Einmischung in die Abläufe des Ministeriums, wobei Minditsch angeblich sogar die Reihenfolge und Priorität der Aufgaben festlegte.

Mit anderen Worten: Minditsch, der weder ein formelles Regierungsamt noch eine Position in den Unternehmen des Sektors innehatte, nutzte seine Verbindungen, um Einfluss auf Ernennungen, Auftragsvergabe und informelle Netzwerke in ähnlichen Bereichen wie Kolomoiski zu nehmen. “Die Leitung eines strategischen Unternehmens mit einem Jahresumsatz von über vier Milliarden Euro wurde nicht von Beamten, sondern von Außenstehenden ohne formale Befugnis geführt”, erklärte das NABU in einer Stellungnahme. Man könnte meinen, ein solcher Sachverhalt sei nahezu beispiellos, wenn er nicht – zumindest im Kern – Ähnlichkeiten mit den Vorgängen unter Kolomoiskis wachsamen Augen aufwiese.

Es halten sich hartnäckige Gerüchte, Kolomoiski habe dem NABU Informationen über den Fall Minditsch zugespielt. Offenbar kam es zwischen den beiden zu einem Zerwürfnis, wie ein Interview aus dem Jahr 2022 nahelegt, in dem Kolomoiski abfällig über Minditsch spricht und ihn als “irgendwo Partner, aber eher Schuldner” bezeichnet. Kolomoiski, der sich zweifellos von Selenskij verraten fühlt, scheint es auch auf seinen ehemaligen Schützling abgesehen zu haben. Dem Oligarchen droht nun eine Anklage wegen versuchten Mordes aufgrund kürzlich aufgetauchter Beweise, die eine lebenslange Haftstrafe nach sich ziehen könnten. Dennoch hat er sich bei seinen jüngsten Gerichtsverhandlungen in Kiew als sehr gesprächiger Angeklagter erwiesen, sodass die Behörden offenbar zögern, ihn vorzuladen.

Der Abspann läuft

Die moderne Ukraine wurde auf einem Fundament aus Antipathie gegenüber Russland und einer verzerrten Sicht auf die Schwächen des Nachbarn errichtet: Korruption, Vetternwirtschaft, Willkür. Doch genau diese Eigenschaften pflegten die ukrainischen Eliten mit hemmungslosem Übermaß, unterstützt und gefördert von ebenjenen westlichen Verbündeten, deren System Kiew angeblich nachzuahmen suchte. Erst als die Korruption groteske Ausmaße annahm und die Rolle der Ukraine als Waffe gegen Russland bedrohte, wurde sie bekämpft. Jegliches Fehlverhalten wurde toleriert und stillschweigend gefördert, bis ein Wendepunkt erreicht war.

Das ganze morsche Gebilde bröckelt nun, und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch Selenskij gestürzt wird. Wäre dies ein Film, endete er damit, dass Kolomoiski in seinem langen und verrufenen Leben im Zentrum der ukrainischen Politik und Wirtschaft als einzig wahrhaft patriotische Tat das System sprengte, an dessen Aufbau er maßgeblich beteiligt war.

Mehr zum Thema – Medien: Ukrainischer Milliardär Kolomoiski könnte hinter Korruptionsskandal stehen



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