
Von Achim Detjen
Das Verhältnis des Bundeskanzlers zur Wahrheit ist mit “skrupellos” noch wohlwollend beschrieben. Um das gigantische Aufrüstungsprogramm zu rechtfertigen, aus dem die größte konventionelle Streitmacht Europas hervorgehen soll, geht Friedrich Merz mit nachweislichen Lügen hausieren. Und bei der Dämonisierung des selbst auserkorenen russischen Feindes darf natürlich auch eine Prise Hitler nicht fehlen – was sich im denkfaulen Deutschland ja schon längst als Methode bewährt hat.
In seiner Rede am Wochenende auf dem CSU-Parteitag in München verglich Merz den russischen Präsidenten mit Adolf Hitler. Wladimir Putin verfolge wie der GröFaZ das Ziel der Eroberung anderer Länder, um ein Imperium aufzubauen. Laut der Geschichtsauffassung des Kanzlers sei es daher notwendig, das Jahr 1938 als “historische Analogie heranzuziehen”.
“Das war eigentlich das Muster, das wir schon 2014 hätten sehen müssen. Und spätestens seit 2022 wissen wir es, dass es ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist, gegen Europa ist. Und wenn die Ukraine fällt, dann hört er nicht auf. Und genauso wenig wie 1938 das Sudetenland nicht gereicht hat. Putin hört nicht auf. Und wer heute noch glaubt, dass er damit genug hat, der soll bitte die Strategien, die Papiere, die Reden, die Auftritte von ihm genau analysieren”, führte der Kanzler aus.
Putin verfolge “die Wiederherstellung der alten Sowjetunion in den Grenzen der alten Sowjetunion, mit einer massiven Gefährdung, auch militärischen Gefährdung der Länder, die früher einmal zu diesem Imperium dazugehört haben”, wusste Merz den Delegierten seiner Schwesterpartei zu berichten. Deutschland befinde sich deshalb “zwar nicht im Krieg, aber wir leben auch nicht mehr allein im Frieden”, schwadronierte der CDU-Chef.
Merz verlässt sich darauf, dass die Adressaten seiner demagogischen Verbalausfälle jenes genau nicht tun, nämlich die Strategien, Papiere und Reden von Putin genau zu analysieren. Denn das Ergebnis einer solchen Analyse wäre niederschmetternd ‒ jedoch für den Kanzler, der wieder einmal als Lügner entlarvt wäre.
Erst vergangene Woche hatte Merz diese Lüge vor einem Millionenpublikum bemüht, als er sich in der ARD-Sendung Arena Fragen des Publikums stellte. Eine Frau wollte von dem Kanzler wissen, wie er denn die Abermilliarden schwere Aufrüstung rechtfertigen könne vor dem Hintergrund, dass der NATO-Generalsekretär Mark Rutte jüngst erklärte, dass das transatlantische Militärbündnis Russland “unendlich überlegen” sei. Die Fragestellerin wies auch auf internationale Statistiken hin, laut denen der NATO-Anteil der weltweiten Rüstungsausgaben bei 55 Prozent liegt, wohingegen diejenigen Russlands gerade einmal 6 Prozent betragen.
Die Antwort des Kanzlers fiel erwartbar aus: Es gab keine. Stattdessen warf er mit Allgemeinplätzen um sich: Russland habe die Ukraine “überfallen” und dürfe damit nicht durchkommen. “Die russischen Staatsdoktrinen und Sicherheitsdoktrinen sagen genau das aus: Putin will die alte Sowjetunion zurückhaben. Und dazu gehört nicht nur die Ukraine, und dagegen müssen wir uns verteidigen”, verklickerte der Kanzler dem Publikum.
Leider verriet der Sauerländer dem Publikum nicht, in welchem Paralleluniversum er die russischen Staatsdoktrinen studiert hat, die eine Wiederauferstehung der Sowjetunion anstreben. In diesem real existierenden Universum gibt es sie jedenfalls nicht.
Gleiches gilt auch für die Putin unterstellten Aussagen. Russlands Präsident betont immer wieder, dass es kein Zurück zur Sowjetunion gibt – zuletzt in einem (abgesehen vom Westen) weltweit beachteten Interview im indischen Fernsehen. Die Wiederbelebung der Sowjetunion sei “völlig ausgeschlossen”, erklärte Putin darin.
Aber Merz kann sich darauf verlassen, dass die fest auf antirussischer Linie marschierenden Mainstream-Medien ihm solche Quatschbehauptungen ungestraft durchgehen lassen.
Und nicht nur ihm. Das Gerede von Putins finsteren Sowjet-Revival-Plänen gehört ja seit Jahren zum guten Ton russophober Politiker und Meinungsmacher in Deutschland. Und auch deutsche Militärs wollen da nicht außen vor bleiben. Wenn mal kritisch nachgehakt wird, dann von Vertretern sogenannter “alternativer Medien”. Wie zum Beispiel vergangenes Jahr vom NachDenkSeiten-Journalisten Florian Warweg auf der Bundespressekonferenz.
Warweg hatte sich nach einem Beleg für die Behauptung erkundigt, Putin wolle “das alte Gebiet der Sowjetunion wiederherstellen”, wozu auch “die baltischen Staaten” zählten. Das hatte nämlich Bundeswehr-Generalleutnant André Bodemann bei der Präsentation des “Operationsplans BarbarossaDeutschland” behauptet. Da es einen solchen Beleg nicht gibt, übten sich die Sprecher der Bundesregierung in üblichen Ausflüchten und dem von ihnen gewohnten Rumgestammel.
Konkreter wurde es erst, als der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Dietz diesbezüglich eine Kleine Anfrage stellte. Antwort der damaligen Ampel-Regierung: “Äußerungen des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, wonach eine Wiederherstellung der Sowjetunion beabsichtigt werde, sind der Bundesregierung nicht bekannt.”
Und auch der jetzigen Bundesregierung sind solche Äußerungen nicht bekannt, da sie schlichtweg nicht existieren. Damals wie heute heißt der Vorgesetzte des Lügen verbreitenden Generalleutnants Boris Pistorius. Gegenüber dem US-Fernsehsender CBS brabbelte der Verteidigungsminister dieser Tage denselben Unsinn wie sein General vergangenes Jahr: Putin wolle “eine Renaissance des Sowjetimperiums” herbeiführen, und dabei bezog sich der SPD-Politiker explizit auf das, was Putin “nicht aufhört zu betonen”.
Putin hört zwar nie auf, immer genau das Gegenteil zu betonen, aber Pistorius ist es gewohnt, das Blaue vom (Drohnen-)Himmel zu lügen, um Russland zu dämonisieren. Das ist seine herausragende Qualifikation für das Amt des Kriegsertüchtigungsministers.
Während es für die Putin zur Last gelegten Aussagen keine Belege gibt, ist belegt, was Merz vor rund 20 Jahren über seinen Großvater mütterlicherseits sagte, der von 1917 bis 1937 Bürgermeister der Stadt Brilon war. “Nach allem, was ich aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine beeindruckende Persönlichkeit und ein erfolgreicher Bürgermeister”, sagte Merz damals. Und er beteuerte: “Mein Großvater ist kein Nationalsozialist gewesen.”
Und da offenbarte er sich wieder, dieser Hang zur Lüge: Großvater Josef Paul Sauvigny war im Juli 1933 der SA beigetreten und wurde zwei Jahre später zum Oberscharführer befördert. Als sein Antrag auf Mitgliedschaft zur NSDAP bewilligt wurde, wurde in seiner Parteiakte hervorgehoben, dass er sich als SA-Mann “eifrig betätigt” und die NSDAP “nach Möglichkeit” unterstützt habe. Sein Amt als Bürgermeister habe er stets “im nationalsozialistischen Geiste” verwaltet, konstatierte 1937 die Sauerländer Zeitung.
Es ist natürlich wahr, dass sich niemand seine Vorfahren aussuchen kann. Ebenso wahr ist es aber auch, dass niemand den Fritz gezwungen hat, einen Vorfahren öffentlich abzufeiern, der so viel Dreck am Stecken hat. Und sich ebenso ungezwungen dessen Vokabular zu eigen machte, wie die Taz bemerkte: “Ungeachtet dessen führt der Enkel im Jahr 2004 das Erbe des Großvaters an, um gut gelaunt dazu aufzurufen, das angeblich ‘rote Rathaus’ der Stadt ‘zu stürmen’. Merz stellt damit ohne Not einen fatalen Zusammenhang zwischen dem heutigen Kommunalwahlkampf und der NS-Zeit her. 1933 wurden tatsächlich und teilweise gewaltsam ‘rote Rathäuser’ gestürmt. Schon Merz Großvater pries diese ‘nationale Revolution’ der Nazis als ‘Sturm’, der das Land von den ‘giftigen Dünsten’ einer ‘missverstandenen Freiheit’ reinige.”
Wenn Merz nun Putin – deren Geburtsdaten nur drei Jahre auseinander liegen – mit Hitler vergleicht, dann ist das nicht nur geschichtsverfälschend, sondern gerade vor dem Hintergrund der Biografie des russischen Staatschefs moralisch verkommen. Putin hatte seinen vor ihm geborenen Bruder Wiktor nie kennengelernt, denn der war 1942 in Leningrad verhungert. Die Hungerblockade wurde angeordnet von jenem Mann, zu dessen Ehren Friedrichs Opa 1933 als “erfolgreicher Bürgermeister” eine Straße in Brilon umbenennen ließ.
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