
Von Dagmar Henn
Aber machen wir doch wieder einen Sprung zurück zu den ukrainischen Flüchtlingen und einer weiteren angedeuteten Wahrheit. Die sind in den Text gestreut wie die Perlen in die Austern einer Austernbank; man muss also viele scharfkantige Muscheln öffnen, um eine zu finden, aber hier ist sie (und witzigerweise auch noch ausgerechnet mit Carlo Masala als Referenz): “Ohne dieses historische Szenario weiter zu erkunden, lehrt die historische Erfahrung, dass eine Kombination aus Niederlage und Verrat Ressentiments und politische Dynamiken mit unvorhersehbaren Folgen für die zukünftige Sicherheit Europas auslösen kann.”
Auch hier ist wieder einmal eine kleine Übersetzung angebracht, um den Punkt verständlicher zu machen. Es ist die Rede davon, dass sich viele dieser Massen von Ukrainern, die nach einer Niederlage gen Westen strömen sollen, in ein massives Sicherheitsrisiko verwandeln, weil sie ihre heute im Verhältnis zu Russland sichtbare Neigung zum Terrorismus dann aus Rache gegen den Westen richten könnten, der sie aufnehmen soll. Geschichtlich gibt es Belege dafür, dass die Bandera-Anhänger auch als Flüchtlinge in den Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg äußerst unangenehme Zeitgenossen blieben und die ersten Jahre erst mal damit verbrachten, die ukrainische politische Konkurrenz auszulöschen. Wobei auch die Konkurrenz, die OUN-M, aus Kriegsverbrechern bestand …
Jedenfalls taucht hier plötzlich und sehr verklausuliert der Gedanke auf, ein Grund für eine Fortsetzung des Krieges könne sein, sich dieses Personal vom Leib zu halten, das andernfalls entweder in Gestalt von politischem Terrorismus oder in Gestalt von simpler, erwerbsgesteuerter Kriminalität auf den Westen zurückschlagen könnte, ausgebildet und bewaffnet. Ja, das ist schon mit anderen derartigen Truppen geschehen; die nach Deutschland importierten georgischen Islamisten waren wohl auch dem einen oder anderen illegalen Gelderwerb nicht abgeneigt und sollen sich in Berlin ziemliche Gefechte mit der Konkurrenz geliefert haben, habe ich mal gehört.
Nun, das, was die Norweger mit dieser Studie veranstalteten, ist auch nicht gerade freundlich. Ihr Szenario eines “ukrainischen Sieges” ist nämlich ein endloser Krieg:
“Der Endzustand nach einem Ende der Feindseligkeiten muss sein, dass Russland die Fähigkeit zu einer weiteren Ausdehnung fehlt und es die stetige Gefahr ukrainischer Offensiven erlebt, um mehr des verlorenen Gebiets zurückzugewinnen.”
Das wäre in etwa eine Rückkehr zu dem Zustand im Donbass bis 2022, mit beständigem ukrainischen Beschuss der Städte und einem immer wieder drohenden ukrainischen Angriff. Niemand in Russland würde etwas Derartiges akzeptieren. Aber mehr noch – auch in dem norwegischen Szenario wären die EU-Länder selbst unmittelbar in diesen schwärenden Krieg verwickelt:
“Der Ukraine wird die EU-Mitgliedschaft angeboten, und sie tritt in bindende Verteidigungsbündnisse entweder über die EU oder bilateral mit führenden europäischen Mächten ein. Europäische Truppen werden in die Ukraine verlegt, als Manifestation des Willens, die Ukraine gegen weitere russische Aggressionen zu verteidigen.”
Ja, das ist tatsächlich das “gute” Szenario dieser norwegischen Studie. Die “führenden europäischen Mächte” – zu denen Norwegen nun einmal nicht gehört, mit seinen nicht ganz 5,6 Millionen Einwohnern – sollen bitte direkt ihren Hals in die Schlinge stecken, indem sie Truppen in die Ukraine schicken, ohne dass zuvor das blindwütige Banderistenpersonal abgeräumt wurde. Nun, der norwegische Staatsfonds wird es danken.
Ja, der Umgang mit der Wirklichkeit ist durchaus kreativ. An anderer Stelle ist beispielsweise kurz einmal von Gesundheitsrisiken die Rede, die diese ukrainische Flüchtlingswelle für den Rest Europas bedeuten könne, aber das Hauptrisiko wird überhaupt nicht erwähnt. Das heißt nämlich multiresistente Tuberkulose.
Zurück zu unserem netten norwegischen Szenario. Im Fall eines russischen Sieges – da übertrifft der vermutlich für diesen Teil zuständige Oberstleutnant von der Militärakademie sogar das sonst übliche NATO-Geraune – wäre es wegen des gemeinsamen Interesses Russlands wie Chinas an der Schwächung des Westens “daher wahrscheinlich, dass größere Kriege in Asien und Europa – zwischen China und den USA mit Alliierten und zwischen Russland und Europa – gleichzeitig stattfinden könnten”. Aber das alles ist nicht wirklich ein Problem, wenngleich die ganze Studie auch zuvor schon davon ausgeht, dass die EU die USA ersetzen muss, auch bei den Lieferungen an die Ukraine – schließlich “schätzen wir, dass NATO-Truppen einen qualitativen Vorteil von 1:1,2 haben, bei dem 100 NATO-Soldaten der Kampfkraft von 120 russischen entsprechen”. Wovon Herr Oberstleutnant nachts träumt, hat er nicht ausgeführt.
Auch hier taucht die entscheidende Information wieder getarnt auf, vor allem, was die angenommene “Verteidigung” der baltischen Staaten angeht. Nach langen Ausführungen über die Zahl der Soldaten, die nötig wäre, um die baltischen Zwerge zu verteidigen (mit einer ersten Linie von 55.000 Mann und insgesamt bis zu 240.000) und der Erwähnung, Polen müsse dann den Suwalki-Korridor offenhalten, steht in einem Halbsatz “das setzt die militärische Neutralisierung Kaliningrads voraus”.
Ohne auszuführen, wann das denn jetzt stattgefunden haben soll. Wenn man das Handeln der NATO-Länder in der Ostsee im Verlauf der vergangenen zwei Jahre betrachtet, draußen in der wirklichen Welt, gewinnt man eher den Eindruck, ein Angriff auf Kaliningrad durch die NATO, und sei es in Form einer maritimen Blockade, wäre ein durchaus durchgespielter Einstieg in einen Angriff gegen Russland. Das ist genau der Grund, warum diese beiläufige Erwähnung von Kaliningrad geradezu unheimlich ist.
Lustig sind dann aber wieder die Ausführungen über Entschädigungszahlungen für Ackerland, um die Küste der baltischen Staaten mit einer Art Wiederauflage des Atlantikwalls zu versehen, nur eben an der Ostsee. Man müsse auf 500 Quadratkilometern Befestigungen bauen und dafür eine Entschädigung von 12,5 Milliarden Euro zahlen. Schön, dass wir darüber gesprochen haben.
Schon im Jahr 2026 sollte die Ukraine, so das Szenario 2, “bis zu 2.300 oder mehr Kampfpanzer” besitzen. Wirklich interessant. In der gesamten EU produzieren überhaupt nur Deutschland und Polen neue Panzer; etwa 100 Leopard 2 und maximal 50 Black Panther entstehen so im Jahr, macht zusammen nach Adam Riese: 150. Nein, das wird wieder einmal nichts. Auch dann nicht, wenn, wie ebenfalls in der Studie vorgeschlagen, sämtliche derzeit aus der EU in Drittländer verkaufte Rüstungsgüter (für die immerhin mit echtem Geld bezahlt wird) zusätzlich in das Schwarze Loch Ukraine geworfen würden.
Ganz zu schweigen von der Luftabwehr, die ebenfalls auf der Liste des Herrn Oberstleutnants steht. Irgendwo war jüngst zu lesen, dass es in EU-Europa noch eine Sprengstofffabrik gebe, in Polen. Die aber habe ihre Produktion im vergangenen Jahr komplett an Israel verkauft. Ja, Sprengstoff, das war diese böse Sache mit dem Ammoniak und dem Erdgas …
Teil der Berechnung sind, da wird es ganz vornehm, sogar Kompensationszahlungen, die zusätzlich fällig würden, wenn Produkte, die bereits verkauft wurden, dann an die Ukraine geliefert werden. Hübsch, oder? Nicht nur, dass es für das Produkt kein Geld gibt – nein, es werden eben zusätzlich auch noch Entschädigungen fällig. Das wäre vielleicht lustig bei den drei U-Booten, die derzeit in Kiel für Israel gebaut werden, aber beim Rest?
Eine Erweiterung der Produktion sei doch kein Problem, heißt es, da wäre doch so viel Potenzial in der Ukraine selbst. Auch eine halbe Rechnung – schließlich kann man ein und denselben Arbeiter nur entweder in der Fabrik stehen haben oder an der Front verheizen.
Die Aussagen zur russischen Wirtschaft sind ähnlich verlässlich. Als Quellen werden EuroMaidan Press und die Moscow Times angegeben, oder eben ein kleiner Kreis des westlichen Mainstreams; eben jene, die schon 2022 erklärten, morgen werde die russische Wirtschaft zusammenbrechen, oder spätestens übermorgen. In einer ökonomischen Analyse Sätze zu finden wie “Ukrainische Geheimdienste schätzen, dass die Militärausgaben in Russland Anfang 2025 um 5 Milliarden US-Dollar über der angesetzten Höhe lagen” ist nun wirklich peinlich. Was aber diesen Teil entwerten würde, selbst wenn die angegebenen Quellen und die getroffenen Behauptungen etwas taugten, ist die Tatsache, dass die Entwicklung der westeuropäischen Wirtschaft nicht einbezogen wird. Es nützt nämlich überhaupt nichts, wenn die russische Wirtschaft übermorgen kollabieren würde, wenn das bei der westeuropäischen morgen der Fall ist.
Und bei aller Seligkeit über die gewachsenen Gewinne aus Öl und Gas – sogar die Norweger könnten darauf kommen, dass ein Europa ohne Industrie wieder deutlich weniger von dem teuren norwegischen Stoff benötigt. Tatsächlich ist heute die Energieversorgung in Westeuropa nur deshalb sicher, weil der Verbrauch deutlich gesunken ist. Und der ist deshalb gesunken, weil ganze Industriezweige (Glasherstellung beispielsweise, auch Metallguss etc.) deutlich reduziert wurden oder gar völlig verschwunden sind. Diese Entwicklung setzt sich nicht nur fort, sie beschleunigt sich weiter. Dann wäre auch die Phase norwegischer Gewinne vorüber.
Zwei richtig tolle Vorschläge macht die Studie noch. Der erste:
“Nur Europa kann Russland der Einkünfte aus Gaspipelines berauben und ihm durch Sanktionen gegen Öl- und Gaskäufe und die Schattenflotte bedeutende Verluste auferlegen.”
Auch das Lied ist bereits bekannt. Genauso, wie die immer noch kühn aufrechterhaltene Behauptung, “Europa” habe “beträchtliche Macht über globale Schiffsversicherungen”. Das ist anderthalb Jahre her, aber Norwegen liegt ja auch weit ab vom Schuss, irgendwo in Nähe der Arktis. Und da gibt es übrigens eine Route, die immer stärker genutzt wird, die Nordostpassage, bei der weder die “Europäer” noch die US-Amerikaner etwas mitzuschnabeln haben.
Ja, und dann gibt es noch den aktuellen Refrain, den auch die EU-Kommission munter trällert: Beschlagnahmung der eingefrorenen russischen Vermögen. Ist doch kein Problem, so die Autoren, im Jahr 2026 mal eben 419 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Ukraine auszugeben, wenn man doch 180 Milliarden davon einfach stehlen kann.
Nur: Die übrigen 239 Milliarden müssten dann doch aus den Haushalten kommen, oder vielmehr, da diese ohnehin schon durch die bisher geplante Aufrüstung und die ukrainischen Flüchtlinge belastet sind, als zusätzliche Schulden aufgenommen werden (vor allem von Deutschland, versteht sich). Das jedoch könnte sich als extrem schwierig erweisen, nachdem das russische Geld gestohlen wurde. Der Grund, warum es überhaupt bei Euroclear herumlag, ist, dass Staatspapiere nur noch selten physisch verschickt werden und Euroclear eine der Stellen ist, bei der eine Menge solcher Papiere (und auch Aktien) lagern. In Gestalt des Papiers, das den eigentlichen Rechtstitel darstellt. Die Käufer erhalten meist nur die Bestätigung, dass ihr Papier da und dort liegt und sie als Eigentümer eingetragen sind.
Das ist nicht nur bei Russland so, sondern auch bei vielen anderen Käufern von EU-Staatsschulden rund um die Welt. Die werden deshalb aus einem Diebstahl dieser Gelder eine einfache Konsequenz ziehen und keine EU-Staatsschulden mehr kaufen. Dann bliebe noch die EZB als Käufer letzter Wahl; aber bisher erweckt sie nicht den Eindruck, den politischen Unfug der Kommission ihrerseits durch zügelloses Gelddrucken decken zu wollen.
Es gibt also entweder diese 180 Milliarden oder neue Schulden, aber keinesfalls beides. Das ist nicht so schwer zu verstehen. Aber die Norweger halten sich in jeder Hinsicht brav ans Narrativ; es wäre doch schade, wenn sie vorher jede Strophe singen, von “die Ukraine kann siegen” über “Russland bricht morgen zusammen” bis “die NATO ist ohnehin militärisch überlegen”, ohne dann das aktuelle “stehlen wir 180 Millionen, und alle Probleme sind gelöst” noch als Zugabe zu liefern. Schließlich: Norwegen hat es nicht nötig, Schulden aufzunehmen. Norwegen schwimmt im Geld, dank der Sanktionen.
Allerdings, auch wenn man davon ausgeht, dass der gesamte Inhalt dieser Studie, die in Deutschland so brav ernst genommen wurde, der wirtschaftliche Egoismus ist – etwa 70 Prozent dieses norwegischen Staatsfonds sind in Aktien angelegt. Sollten die EU-Länder tatsächlich den Kurs einschlagen, den dieses Papier nahelegt, und ihre Ausgaben für die Ukraine mal eben verzehnfachen, und die Mittel dafür, wenn nach dem Raub der 180 Milliarden die Kreditfähigkeit schwindet, aus dem laufenden Haushalt, den Sozialausgaben etc. pressen wollen, dann rauschen sie wirtschaftlich und sozial dermaßen in den Abgrund, dass auch die Aktien des norwegischen Staatsfonds sich in wertloses Papier verwandeln könnten. Wie immer man es versucht, diese Rechnung geht nicht auf.
Ein Fazit, das auch für den Rest der Studie gilt. Man sieht, wie verquer in der NATO und ihrem Umfeld gedacht wird. Und sollte darauf hoffen, dass solche Gedanken nicht zur Grundlage des Handelns werden.
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