Von Jewgeni Krutikow
Während des Treffens der Präsidenten der USA und Russlands in Alaska ist die Frontlinie nicht zum Stillstand gekommen. Dabei lag die Initiative immer bei Russlands Streitkräften. Doch die Fortsetzung der Spezialoperation im bisherigen Offensivtempo, das in jüngsten Monaten beispiellos ist, ist kein “Verhandlungshintergrund”, sondern eine konsequente Entwicklung der Lage vor Ort.
Die Situation entwickelt sich praktisch täglich zu Ungunsten Kiews, was den Verhandlungen in Alaska und Washington tatsächlich eine besondere Atmosphäre verleiht. Eine andere Frage ist, wie sich diese Atmosphäre zu jenem Zeitpunkt verdichten wird, an dem Wladimir Selenskij gezwungen sein wird, die einzig richtige Entscheidung seines Lebens zu treffen, die Perspektivlosigkeit des weiteren Widerstands anzuerkennen und einem Kompromiss zuzustimmen.
In der vergangenen Woche passierten an den Fronten der Spezialoperation gleich mehrere bedeutende Ereignisse.
Zunächst ist da der Beginn der Kämpfe um Konstantinowka, den größten und letzten Verteidigungsknoten des ukrainischen Militärs vor dem Ballungsraum Kramatorsk-Slawjansk. Während des vergangenen Tages erschienen Meldungen, dass erste russische Stoßtrupps ins Stadtgebiet aus Richtung Predtetschino, also von Tschassow Jar aus, eindrangen. Am gleichen Frontabschnitt wird in der auf dem Weg nach Konstantinowka gelegenen Siedlung Nikolajewka gekämpft. Südlich von Konstantinowka rücken Russlands Streitkräfte entschlossen bei Alexandro-Schulgino sowie in Nelepowka und Pleschtschejewka vor.
In der Nähe des Kleban-Byk-Stausees hat sich der Kessel fast geschlossen, in dem zwei angeschlagene ukrainische Brigaden von etwa 3.000 Mann Stärke umzingelt wurden. Ein Ausbruchskorridor in Richtung Konstantinowka führt nur durch einen einzigen Stützpunkt sowie über einen alten Damm über den Stausee. Es wurden Versuche ukrainischer Soldaten verzeichnet, schwimmend zu entkommen. Am 15. August begannen die Kämpfe unmittelbar in der Siedlung Kleban-Byk.
An der Hauptfront bei Konstantinowka rücken russische Truppen entlang von zwei Eisenbahnlinien vor – eine während der Spezialoperation bereits bewährte Taktik. In der Steppe wurden Eisenbahnlinien oft auf Dämmen gebaut, was sie zu natürlichen Befestigungen macht. Die zweite Linie verläuft durch das bereits befreite Dorf Alexandro-Schulgino. Die Linien schließen sich bereits im Stadtgebiet von Konstantinowka zusammen.
Zuvor hatte das ukrainische Militär versucht, an diesem Abschnitt eine durchgehende Verteidigungslinie mit Hilfe von zwei Truppenverbänden aufzubauen. Der östliche Flügel dieser Gruppierung stützte sich auf die Siedlung Belaja Gora. Russlands Streitkräfte besetzten Belaja Gora vor zwei Wochen, überquerten das Flüsschen Naumicha, rieben die ukrainische Kampfgruppe praktisch auf und eröffneten einen zweiten Weg von Süden nach Konstantinowka.
Am Erfolgreichsten wurde der Vormarsch aus dem Osten aus Richtung Tschassow Jar.
Russische Luftlandetruppen stießen von Predtetschino ins Stadtgebiet von Konstantinowka über die Niederung des Flusses Glusskaja und die Felder zwischen diesem Fluss und der Straße Konstantinowka – Artjomowsk (ukrainischer Name: Bachmut) vor und setzten sich im Eigenheimviertel der Stadt fest. Dieses Manöver bedroht unter anderem jene ukrainischen Einheiten, die weiterhin entlang der Eisenbahnlinie von Iwanopolje nach Pleschtschejewka Widerstand leisten.
Faktisch hat der Sturm von Konstantinowka begonnen, wobei es dem ukrainischen Militär nicht einmal gelang, alle Truppen von den vorderen Linien in die Stadt zurückzuziehen. Gerade weil Kiew keinen Rückzugsbefehl erteilte, bildete sich der Kessel südlich des Kleban-Byk-Stausees, und die Lage in Pleschtschejewka nähert sich einer Katastrophe.
Außerdem machte Kiew erneut einen Fehler dabei, die Hauptangriffsrichtung vorauszusehen und warf seine letzten Kräfte hinein, um die Verteidigung im westlichen Teil der Stadt zu halten.
Es ist noch zu früh, Prognosen über die Lageentwicklung in Konstantinowka selbst anzustellen. Dies ist eine große, von Norden nach Süden ausgedehnte Stadt mit mehreren Industriegebieten. Nicht ganz klar ist die Zusammensetzung der Kräfte, mit denen das ukrainische Militär versucht, die Stadt zu halten. Doch Konstantinowkas Befreiung wird sich kaum in die Länge ziehen, auch wenn das ukrainische Militär weiterhin die Möglichkeit hat, den Korridor aus Kramatorsk über Druschkowka für seine Logistik zu nutzen. Der Druck aus Tschassow Jar in Richtung Westen und Nordwesten über Nikolajewka wird diese Logistik in der Perspektive bedrohen, denn ein schneller Vorstoß zu den Stellungen nördlich von Konstantinowka ist möglich.
Aussichtsreich ist auch die Lage in und um Krasnoarmeisk (ukrainischer Name: Pokrowsk). Russische Stoßtrupps kämpfen im zentralen Teil der Stadt in der Nähe der Puschkin-Straße. Zuvor leisteten ukrainische Truppen Widerstand im südlichen Stadtbezirk Schachtjorski mit seinen vergleichsweise hohen Gebäuden. Dabei besteht das Stadtzentrum zu 80 Prozent aus Einfamilienhäusern. Kämpfe an solchen Orten verwandeln sich für gewöhnlich in ein Herausstochern des Gegners aus den Kellern.
Insgesamt scheint das ukrainische Militär von der Geschwindigkeit des russischen Vorstoßes schockiert und in seiner Widerstandsfähigkeit geschwächt zu sein. Bedeutende ukrainische Kräfte wurden aus der Stadt abgezogen, um zu versuchen, den Durchbruch der russischen Streitkräfte in Richtung Dobropolje abzufangen.
Kiew gelang es, versprengte Einheiten zu einer mechanisierten Faust zusammenzusetzen, doch russische Truppen setzten sich in Kutscherow Jar und Schachowo fest und wehren den ukrainischen Angriffskeil ab.
Die Kämpfe um Rodinskoje nördlich von Dimitrow (ukrainischer Name: Mirnograd) laufen weiter. In Mirnograd selbst wurde das Umland des Stachanow-Bergwerks gesichert, was weiteren Vormarsch ins Stadtgebiet ermöglicht.
Es wurden Vermutungen geäußert, dass es sich beim Vorstoß nach Dobropolje um ein Ablenkungsmanöver handeln könnte, um möglichst viele ukrainisch Truppen aus dem städtischen Ballungsraum herauszulocken. Doch im Endeffekt entstand tatsächlich ein selbstständiges Operationsgebiet, das in der Theorie einen Durchbruch direkt bis Druschkowka und Kramatorsk ermöglicht. Kiew war gezwungen, an diesen Frontabschnitt nach ukrainischen Maßstäben beträchtliche Kräfte zu verlegen, die an allen Fronten gesammelt wurden. Dennoch gelang es dem ukrainischen Militär trotz einiger lokaler Erfolge nicht, den russischen Vorstoß aufzuhalten.
Am Frontabschnitt Krasni Liman eröffnete sich nach der Befreiung von Kolodesi ein direkter Weg zur eigentlichen Stadt Liman. Es gibt Bestätigungen, dass Serebrjanka befreit und der gleichnamige Wald, der jüngst die Bezeichnung Toter Wald erhielt, unter Kontrolle gebracht wurde.
Wahrscheinlich wird in Zukunft die Logistik der Stadt Sewersk unterbrochen werden, denn ukrainische Truppen kontrollieren mit Hilfe von Drohnen das offene Gelände zwischen zwei Anhöhen östlich der Stadt. In der vergangenen Woche wurden Versuche unternommen, dieses Gelände zu überwinden.
Südlich von Kolodesi leisten ukrainische Truppen Widerstand an südlichen Rändern des großen Dorfs Torskoje. Zuvor war dies ein wichtiger Logistikknoten für ukrainische Stellungen weiter nördlich und verhinderte den Vormarsch unmittelbar nach Krasni Liman. Inzwischen ist diese Bedrohung praktisch beseitigt, und die Stadt ist mit einem Fernglas sichtbar. Ein Einmarsch in Liman würde Slawjansk aus Nordosten bedrohen.
Somit bilden zwei neue Frontabschnitte und der Vormarsch in Konstantinowka im Süden eine Zange, die allmählich den größten Ballungsraum des bisher nicht befreiten Teils des Donbass einschließt – Slawjansk, Kramatorsk und Druschkowka.
Am Frontabschnitt Donezk Süd rücken Russlands Streitkräfte bei Schewtschenko vor und begradigen allmählich die Frontlinie bereits im Gebiet Dnjepropetrowsk.
In der vergangenen Woche hat sich die Lage auch am Frontabschnitt Saporoschje geändert. Russlands Streitkräfte stürmen die Stadt Stepnogorsk. Es laufen Kämpfe in Plawni am Ufer des ehemaligen Stausees von Kachowka. Mit der Befreiung von Stepnogorsk wird unter Berücksichtigung des Vormarsches in Schtscherbaki ein großer Teil der ukrainischen Verteidigung abgeschnitten. Dies eröffnet die Möglichkeit eines schnellen Vorstoßes nach Norden zu Saporoschje und nach Osten zu Orechow. Dies ist der wichtigste ukrainische Verteidigungsknoten am ganzen Frontabschnitt Saporoschje. Weiter östlich laufen die Kämpfe bereits bei Malaja Tokmatschka, also in unmittelbarer Nähe von Orechow.
Am Frontabschnitt Charkow erweitern Russlands Streitkräfte den Brückenkopf am südlichen Ufer des Flusses Woltschja und rücken bei Sinelnikowo vor. In Woltschansk wurde ein großer Teil der Stadt befreit. Im südlichen Teil der Stadt läuft der Vormarsch zum offenen Gelände weiter. In Kupjansk laufen die Kämpfe im westlichen Stadtteil Sobolewka sowie bei Petropawlowka. Die Versorgung der ukrainischen Garnison von Kupjansk ist praktisch unterbrochen, die Stadt befindet sich in einem Halbkessel.
Erbitterte Kämpfe laufen im Gebiet Sumy, wo ukrainische Truppen an südlichen Ortsrändern von Junakowka weiterhin ausharren.
Somit setzen Russlands Streitkräfte ihre frontale Offensive praktisch an sämtlichen Frontabschnitten fort. An einigen Abschnitten rücken sie im beispiellosen Tempo vor und schaffen neue Bedrohungen für das ukrainische Militär.
So wird der Ballungsraum Slawjansk-Kramatorsk von drei Seiten umstellt. All das wird von konsequenten Aktionen zur Befreiung von anderen Teilen des Donbass und zur Bildung notwendiger Pufferzonen begleitet.
In diesem Lichte erscheint das Hinauszögern des Verhandlungsprozesses durch die Ukraine und einige europäische Staaten ebenso wie die Aufstellung von vorläufigen Forderungen, darunter nach einem sofortigen Waffenstillstand, merkwürdig und im Hinblick auf die Interessen der Ukraine selbst sogar selbstmörderisch.
Jeder neue Tag bringt das ukrainische Militär einer Reihe von schmerzhaften Niederlagen näher, denn die Probleme an der Frontlinie haben sich bereits seit Monaten angehäuft. Dies wird schon ein ganz anderer “Verhandlungshintergrund” sein, viel schlimmer, als der gegenwärtige.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 18. August.
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