In Deutschland gilt Lieferando, die bekannteste Plattform für Essenslieferung, seit Jahren als knallharter und skrupelloser Arbeitgeber im Bereich des Niedriglohnsektors. Die niederländische “Just Eat Takeaway Gruppe” machte dabei im Jahr 2021 einen globalen Umsatz von rund 4,5 Milliarden Euro und ist mit der Marke Lieferando in Deutschland Marktführer. Im Juni des Vorjahres erhielt die deutsche Geschäftsführung einen neuen Kopf, Lennard Neubauer, älterer Bruder der Berufsempörten Luisa Neubauer. Medien berichten nun über eine drastische Entlassungswelle und den geplanten Wechsel auf noch günstigere Fahrer aus Subunternehmen.
Der verantwortliche Lennard Neubauer wechselte beruflich im Vorjahr aus London nach Deutschland. Zuvor war er dort als “Director Strategy und Operations” bei Just Eat Takeaway tätig und fungiert nun seit Juli 2024 als Geschäftsführer von Lieferando. Die Junge Welt berichtet zu dem jüngsten Beschluss aus dem Büro von Neubauer:
“Der Essens-Lieferdienst Lieferando will ab dem Jahresende bundesweit rund 2.000 Fahrerinnen und Fahrer entlassen, viele davon in Hamburg. Das entspreche rund 20 Prozent der gesamten Flotte, teilte Lieferando mit. Grund sei, dass die Plattform bei der Auslieferung auf der sogenannten letzten Meile künftig stärker mit Subunternehmen zusammenarbeiten werde.”
Neubauer wird zu der Entscheidung und vermeidlichen Notwendigkeiten seitens der Agentur DPA mit den Worten zitiert:
“Die Wettbewerbslandschaft und der Markt ändern sich immer rasanter und tiefgreifender. Die Verhandlungen über einen Sozialplan sollen bei der Schwestergesellschaft so schnell wie möglich beginnen.”
Die anvisierte Kundenklientel erwartete laut Neubauer “schnelle Lieferzeiten und zuverlässigen Service”. Dies könne man demnach “in vielen Regionen mit der bisherigen Struktur nicht mehr leisten”. Zukünftig soll daher in ausgesuchten Städten “mit spezialisierten Logistikpartnern zusammengearbeitet werden, die eigene Fahrer einsetzen”. Das Konzept wurde zuvor bereits in Berlin getestet und soll nun bundesweit ausgeweitet werden, so die B.Z. berichtend. Das Unternehmen wolle trotz aller Kritik auch weiterhin “sicherstellen, dass auch dort die Rider fest angestellt und fair bezahlt sind”. Allein in Berlin seien dabei jedoch laut Gewerkschaftsangaben in den vergangenen Monaten rund 500 Arbeitsplätze bei Lieferando abgebaut worden.
Diesbezüglich heißt es in einem aktuellen Tagesspiegel-Artikel zu Wochenbeginn (Bezahlschranke):
“Lieferando, Flink, Bolt, Uber: Wie prekär sind die Arbeitsbedingungen wirklich? Das Projekt Fairwork hat die Arbeitsbedingungen von Plattformanbietern unter die Lupe genommen. Es ist von Ausbeutung, ausbleibender sozialer Absicherung und fehlenden Arbeitsverträgen die Rede.”
Durchgeführte “Rankings” zum Thema der Arbeitsbedingungen in dem anstrengenden Beruf ergaben:
“Die Rankings zeigen, dass viele Plattformarbeiter weiterhin mit prekären Arbeitsbedingungen konfrontiert sind und keine soziale Absicherung haben. Von zehn möglichen Punkten, die nur den Mindeststandard von fairer Arbeit aufzeigen, bescheinigt Fairwork dem Lieferdienst Lieferando nur vier Punkte, Flink nur drei und Helpling nur einen Punkt.”
Der Titel einer themenbezogenen SWR-Dokumentation aus dem Jahr 2023 lautet: “Liefer-Sklaven“. Ein Ex-Angestellter, der in der Lieferando-Hauptzentrale tätig war, berichtet in der Dokumentation “von umfangreichen und illegalen Überwachungsmaßnahmen”. Sowohl bei Lieferando als auch bei dem Konkurrenzunternehmen Wolt kritisieren die Doku-Macher, dass “die Fahrer:innen für ihren körperlich anstrengenden Job nur schlecht entlohnt würden”. Nur durch Zusatzfahrten erhaltende Boni-Zahlungen wären die Mitarbeiter “imstande, mehr als den grundlegenden Mindestlohn zu verdienen”.
In Hamburg hatte die zuständige Gewerkschaft die Arbeitnehmer in der vergangenen Woche zu einem 36-stündigen Warnstreik aufgerufen. Es sei der Auftakt zu weiteren Arbeitsniederlegungen in ganz Deutschland, so Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
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