Von Dagmar Henn
Ist das jetzt typisch deutsch oder was? Wieder mal vom einen Extrem ins andere? “Einbürgerung per Mausklick” ‒ das gibt es also jetzt in Berlin, und ein Soll gibt es auch: Im Dezember letzten Jahres sagte die Leiterin der Einbürgerungsabteilung des Landesamtes für Einwanderung gegenüber dem RBB, für 2025 strebe man an, “dass wir 40.000 Einbürgerungen schaffen”. Und im bundesweiten Vergleich könne Berlin damit Spitzenreiter werden.
Na toll. Es gäbe natürlich viele andere Spitzenreiterpositionen, nach denen sich streben ließe ‒ den besten öffentlichen Nahverkehr beispielsweise. Oder die beste Versorgung mit Kindertagesstätten. Oder die niedrigste Kriminalität. Liegt natürlich alles außerhalb der Möglichkeiten der Hauptstadt, bei der vom einstigen “arm, aber sexy” doch nur das “arm” übrig geblieben ist, neben verrottenden Brücken und einer ansonsten katastrophalen Verwaltung. Was nicht am Drang hindert, irgendwie, irgendwo Spitze sein zu wollen.
Dass es jetzt die Einbürgerungen werden mussten, liegt vielleicht daran, dass man es mit der höchsten Zahl gleichgeschlechtlicher Ehen doch nicht mehr in die Schlagzeilen schaffen würde. Also versucht man es jetzt mit deutschen Pässen im Schnellverfahren. Irgendwie muss man ja die Tatsache ausgleichen, dass immer mehr Deutsche aus Berlin fortziehen. Wenn die Originale ausgehen, beschafft man sich eben Nachbauten.
Im Durchschnitt sind die jetzt Eingebürgerten seit 10,5 Jahren in Deutschland. Das wird all jene besonders freuen, die früher jahrelang darum kämpfen mussten, einen deutschen Pass zu erhalten. Ja, den meisten Ärger dürfte dieser Schritt, auf den Berlin mal wieder stolz ist wie Bolle, bei anderen Migranten auslösen. Aber Feingefühl ist eben so unberlinerisch wie Nürnberger Bratwürste.
Die Neudeutschen bekommt die Behörde erst bei der Passübergabe zu Gesicht. Alles andere, Sprachtest inklusive, muss dann ja wohl per Computer erfolgen. Wer glaubt, dass sich da keine Geschäftemacher finden, die die fertigen Antworten liefern, dem mangelt es deutlich an Fantasie. Aber man habe schließlich, so die Behörde, “vollen Zugriff zur elektronischen Akte”, das müsse reichen.
Das reicht vielleicht dafür, um Leute, die in Berlin gegen den Genozid in Gaza protestiert haben, vom Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft auszuschließen, die stehen ja schließlich in den Akten des Berliner Verfassungsschutzes. Aber bei echten Problemen? Wer die Fälle verfolgt hat, in denen beispielsweise Mordanschläge durch psychisch schwer gestörte Personen erfolgten, bei denen dann hinterher die lapidare Information auftauchte “Täter ist polizeibekannt”, der weiß, dass gerade solche Details oft an Landesgrenzen hängen bleiben. Also dass selbst schwerste Straftaten im einen Bundesland im anderen nicht bekannt sind, von psychiatrischen Problemen ganz abgesehen.
Und dann weiß man eigentlich auch, dass das mit der Identität bei vielen, die so ungefähr vor zehn Jahren in Deutschland aufgeschlagen sind (tatsächlich waren Syrer in Berlin die größte Gruppe unter den Eingebürgerten), so eine Sache ist. Oft ist sie nämlich nicht echt, und der vermeintliche Syrer kann alles mögliche Andere sein. Da man aber in Berlin besonders gern willkommen geheißen hat, hat man da auch nicht so genau nachgesehen. Identitätsprüfung? Nachdem man ohnehin mit syrischen Behörden nicht zusammengearbeitet hat, wohl eher eine Fiktion. Macht nichts, Hauptsache, ein Beutebürger mehr.
Am anderen Ende solcher Eskapaden liegen die seit zwei Jahren bestehenden erweiterten Möglichkeiten, deutsche Pässe wieder wegzunehmen. Was auch bei Deutschen geht, neuerdings, sofern sie einen zweiten Pass besitzen. Was sich natürlich irgendwie aufs Unpassendste mit der Berliner Staatsbürgerschaft light vermählt: Übrig bleibt die Aussage, “Deutscher ist, wen wir als Deutschen haben wollen”.
Wobei es tatsächlich sein kann, dass die Sprachkenntnisse überhaupt nicht mehr geprüft werden. Die Aussage der Behörde lautet: “Auch eine gesonderte Vorsprache zur Identitätsprüfung oder ein Sprachtest vor der Entscheidung über die Einbürgerung kann regelhaft entfallen.” Das erinnert schon ein wenig an Großbritannien, wo es inzwischen eine Straftat ist, Einwanderer dazu aufzufordern, Englisch zu sprechen.
Wenn man an das Durcheinander denkt, das das Auswärtige Amt mit seinen Afghanistan-Flügen angerichtet hat, und an die Tatsache, dass dort aus Berlin der Botschaft in Pakistan befohlen wurde, gefälschte Dokumente zu akzeptieren, wird einem angesichts des Berliner Verfahrens ganz schwummrig. Vor allem, wenn man dann auch noch daran denkt, wie groß die Berliner Zuneigung zu diversen Kopfabschneidern so zu sein pflegte. Und wenn man dann noch an das historische Vorbild erinnert, an die sorgfältige Aufbewahrung der Bandera-Nazis in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg… nein, bei dieser Berliner Politik auf Bundesebene und diesen eigenartigen Freunden ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Berliner Politik auf Landesebene wieder einmal konsequent in jenen Fällen die Augen zudrückt, in denen sie sie offenhalten sollte, und dann ganz verwundert guckt, wenn dann einer ihrer Neudeutschen austickt.
Wobei es natürlich bei dem ganzen Spiel noch ein weiteres Motiv gibt. Denn gekommen sind die meisten der neuen Migranten als Schutzsuchende, und in überwiegender Mehrzahl haben sie nur eine Duldung aus humanitären Gründen. Und selbst die freudigsten Teddybärenwerfer dürften vor zehn Jahren davon ausgegangen sein, dass diese Flüchtlinge auch wieder gehen. Eine Frage, um die man sich in Berlin (auf beiden politischen Ebenen) gern drückt, obwohl genug Anhänger des neuen syrischen Regimes auf Berliner Straßen jubelten. Wetten, die wurden nicht vom Verfassungsschutz notiert, bei denen leuchtet kein Warnsignal auf, wenn sie eingebürgert werden wollen? Auf jeden Fall wird mit einer eifrigen Einbürgerung von Syrern sichergestellt, dass diese Frage vom Tisch ist. Danach kann man sie nämlich gar nicht mehr zurück nach Syrien schicken.
Übrigens, 2023 lag die Zahl der Einbürgerungen in Berlin noch bei 9.041. 2020 waren es sogar nur 6.411. Wir reden hier also von einem exponentiellen Wachstum. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wären das 2026 schon 100.000, und 2029 gäbe es dann gar keine Ausländer mehr in Berlin.
Die ersten Ukrainer sind auch schon durch: 2024 erhielten 1.458 Ukrainer in Berlin einen deutschen Pass. Die meisten davon waren aber schon länger als acht Jahre im Land. Wie viele davon der Gesinnung der derzeitigen ukrainischen Regierung anhängen, ist unbekannt. Aber Ukrainer sind ja die Guten, weshalb man vermutlich vor einer Einbürgerung nicht einmal überprüft, ob sich auf dem Oberkörper Hakenkreuze oder Reichsadler finden. Immerhin dürfen es besonders Eifrige nicht erst nach fünf, sondern bereits nach drei Jahren versuchen. Die Freude der Eingeborenen darüber dürfte sich jedenfalls in Grenzen halten, wenn klar wird, dass jeder, der ins Land gelassen wurde, um vorübergehend in Sicherheit zu sein, am Ende dauerhaft bleibt.
Ja, Berlin gibt wieder mal den Vorreiter. Erstaunlich an der ganzen Sache ist nur, dass doch seit 2023 die Grünen gar nicht mehr in der Berliner Regierung sitzen. Der Stadtstaat wird von einer CDU/SPD-Koalition regiert. Wenn man das Regierungshandeln so betrachtet, käme man gar nicht darauf.
Um den Gedanken vom Anfang noch einmal aufzugreifen: Jahrzehntelang wurde in Deutschland kaum eingebürgert, auch Menschen nicht, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebten und arbeiteten. Dann wurde das Verfahren etwas gelockert. Dann kam die Schnelleinbürgerung, und jetzt ist, siehe Berlin, mancherorts die Anmeldung eines Autos aufwendiger als eine Einbürgerung. Aber die Welt ist nun einmal nicht so einfach, dass das Gegenteil von schlecht automatisch gut ist. Mal sehen, wie lange es dauert, bis der erste Fall aufschlägt, bei dem das ins Auge ging. Mehr als ein Jahr würde ich dem nicht geben.
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