Von Jewgeni Krutikow
Am 18. Mai hat Russlands Verteidigungsministerium die Befreiung der Siedlung Bogatyr bekanntgegeben. Dies ist ein wichtiger logistischer Knotenpunkt im Westen von Kurachowo, am Fluss Woltschja. Durch Bogatyr verlief die letzte Verteidigungslinie des ukrainischen Militärs vor der administrativen Grenze des Gebiets Dnjepropetrowsk.
Am Tag zuvor war am Frontabschnitt Welikaja Nowosjolka das Dorf Wolnoje Polje südwestlich von Bogatyr befreit worden. Von hier aus sind es acht Kilometer Luftlinie bis zum Gebiet Dnjepropetrowsk. Weiter nördlich, am Frontabschnitt Krasnoarmeisk (Pokrowsk), besetzten Russlands Streitkräfte das kleine Dorf Kotljarowka, das unmittelbar an der Grenze zum Nachbargebiet liegt. Am selben Abschnitt laufen die Kämpfe um die Orte Troizkoje und Orechowo, die ebenfalls direkt an der Grenze zum Gebiet Dnjepropetrowsk liegen.
Die Grenzen der Gebiete waren zu Sowjetzeiten vor allem nach dem wirtschaftlichen ‒ und nicht nach einem ethnischen oder sonstigen historisch bedingten ‒ Prinzip gezogen worden. Administrative Grenzen wurden in der Regel durch Demarkationen der umliegenden Kolchosfelder bestimmt, die ihrerseits in den Bodenparzellen vor der Kollektivierung ihre Wurzeln hatten. In der Steppe ist es anhand äußerer Merkmale unmöglich, zu bestimmen, wo das ehemalige Gebiet Donezk (die gegenwärtige Donezker Volksrepublik) endet und etwa das Gebiet Dnjepropetrowsk beginnt.
So verläuft beispielsweise am Abschnitt zwischen Bogatyr im Süden und Krasnoarmeisk die Grenze zwischen den gewundenen Läufen der Flüsse Woltschja und Soljonaja in ganz geraden, mit einem Lineal über die Karte gezogenen Linien, die gerade die Grenzen der Kolchosfelder festlegen. Und die gewundenen Flüsse werden selbst der Einfachheit halber zu einer administrativen Grenze. Mit anderen Worten, die administrativen Gebietsgrenzen in der Steppe können nicht immer als “natürliche Marken” gelten, die eine Ausgangsbasis für Entscheidungen am Schlachtfeld liefern können.
Während in den Gebieten Sumy und Charkow die Schaffung einer Pufferzone entlang der russischen Staatsgrenze angekündigt wurde, so zeichnet sich die Lage um die DVR nicht durch eine künftige hypothetische Situation, sondern durch die tatsächliche Kampflage aus. Dabei wird die Geografie der Ereignisse nicht durch Schulkarten aus Sowjetzeiten mit ihren entlang der Kolchosfelder gezogenen Grenzen bestimmt, sondern durch harte Tatsachen, bei denen jegliche Grenzen fehlen.
Zum Beispiel ist offensichtlich, dass die Streitkräfte der Russischen Föderation schon in naher Zukunft ihre Position am westlichen Flügel des Kessels um Krasnoarmeisk (Pokrowsk) aus militärisch-taktischer Sicht verbessern müssen. Dies wird automatisch einen Einmarsch ins Gebiet Dnjepropetrowsk bedeuten. In erster Linie geht es dabei um die Sperrung mehrerer Straßen, über die die Stadt versorgt wird – der Straße nach Nowopawlowka, einer weiteren Straße entlang der Eisenbahnstrecke weiter nördlich und schließlich der Nationalstraße Pokrowsk–Pawlograd–Dnjepropetrowsk noch weiter im Norden.
Ein Teil des Gebiets Dnjepropetrowsk mit dem Zentrum in Nowopawlowka ragt über mehrere Bezirke der DVR hinweg, und ohne Kontrolle über dieses Gebiet lässt sich ihre Sicherheit nicht gewährleisten.
Vor der Befreiung von Bogatyr galt ausgerechnet der Frontabschnitt beim Dorf Komar im Tal des Flusses Mokryje Jaly als vorrangig, was durch die operative Lage diktiert wurde. Ein möglicher Vorstoß entlang der Mokryje Jaly hätte theoretisch einen neuen Kessel für einen ukrainischen Truppenverband schaffen können, der sich bis aus Kurachowo zurückzog. Später änderte sich die operative Lage, doch die Aufgabe, das gesamte Gebiet und die Kette der Dörfer entlang des Flusses zu befreien, blieb bestehen. Sogar in diesem Fall hatte die Konfiguration der Grenzen keine Priorität, die Entscheidung wurde aus taktischen Erwägungen getroffen.
Um die administrative Grenze der DVR zum Gebiet Dnjepropetrowsk zu sichern, werden Russlands Streitkräfte unbedingt einige große Ortschaften besetzen müssen, die formal zu Dnjepropetrowsk gehören. Es handelt sich unter anderem um Nowopawlowka, Iwanowka, Gawrilowka und Malomichailowka. Hinzu kommt das Waldstück bei Welikomichailowka, das ebenfalls gesichert werden muss.
All das hat mit Politik und dem Verhandlungsprozess nichts zu tun. Ohne eine Kontrolle über diese Territorien, die administrativ zum Gebiet Dnjepropetrowsk gehören, wird es erstens schwerfallen, die Offensive in Richtung Krasnoarmeisk und weiter nach Norden fortzusetzen. Dort muss die Flanke des Truppenverbands, der auf den Ballungsraum Slawjansk–Kramatorsk vorrückt, gesichert werden. Zweitens wird die Gewährleistung der Sicherheit der Grenzbezirke der DVR erschwert.
Die Tatsache, dass Russlands Streitkräfte die administrative Grenze des Gebiets Dnjepropetrowsk etwa in Kotljarowka noch nicht überquert haben, hängt nicht mit hoher Politik, sondern mit der Praxis der Kampfhandlungen zusammen. An dieser Stelle wäre dies unpraktisch und zwecklos. Dagegen ist ein Vormarsch vom befreiten Bogatyr und dem benachbarten Alexejewka entlang des Ufers des Flusses Woltschja zur Grenze bei Nowoukrainka im Rahmen des Einrollens der ukrainischen Verteidigung in Richtung Westen durchaus aussichtsreich.
Die voraussichtliche Tiefe der Pufferzone in den Gebieten Sumy und Charkow beträgt 50 Kilometer. Doch im Falle der administrativen Grenzen der DVR, LVR und des Gebiets Saporoschje ist alles etwas komplizierter. Hier reicht es nicht aus, diese Zone mit einem Zirkel auf der Karte abzuzeichnen. Es ist notwendig, Straßen, logistische Knoten und große Siedlungen an der Grenze unter Kontrolle zu bringen. Gegenwärtig geht es ausschließlich darum, bestimmte Territorien für operative Planung zu nutzen, doch in Zukunft wird die Bestimmung einer “Pufferzone” hier eine flexiblere Herangehensweise erfordern.
Streng genommen ist auch der Wert von 50 Kilometern an den Abschnitten Sumy und Charkow kein Dogma. Dort würde er auch die gesamte Stadt Sumy umfassen.
In der DVR könnte der gesamte östliche Vorsprung des Gebiets Dnjepropetrowsk, der sich westlich beziehungsweise nördlich der DVR beziehungsweise des Umlands von Guljaipole im Gebiet Saporoschje erstreckt, “abgeschnitten” werden. Inzwischen erscheint diese Aufgabe nicht mehr so kompliziert, denn nach der Befreiung von Bogatyr mit der Perspektive einer Besetzung des Flusstals von Mokryje Jaly bis Komar würde ein neuer Frontabschnitt entstehen, der für einen direkten Vormarsch nach Westen gut geeignet wäre. Hierbei ist die administrative Grenze des Gebiets Dnjepropetrowsk kein Ziel und kein Selbstzweck, sondern in operativer Hinsicht schlicht nicht existent.
Einfach gesagt: Es ist unmöglich, von Bogatyr bis zur Verwaltungsgrenze bei Nowoukrainka vorzurücken und dann plötzlich anzuhalten, um sich am Ufer des Flusses Woltschja einzugraben. So funktioniert das nicht.
Idealerweise könnte die operative Planung den Durchmarsch bis Pawlograd oder zumindest die Einnahme der Versorgungsstraße hinter der Front bei Schachtjorsk im Inneren des Gebiets Dnjepropetrowsk umfassen.
Eine solche Disposition würde eindeutig ausschließen, dass die ukrainischen Streitkräfte in diesem Abschnitt einen operativen Brückenkopf bilden oder einfach Reserven von Dnjepropetrowsk entlang der Grenze zur DVR manövrieren können. Und solange es keine Vereinbarungen über eine Demarkationslinie gibt (falls solche überhaupt in absehbarer historischer Zeit möglich sind), hat ein solcher operativer Plan seine Berechtigung.
Ein Rückzug von der Grenze der DVR ist ohne die Gewährleistung der Sicherheit der gesamten südlichen Donezker Front nicht möglich. Das ist eine Frage des Verlaufs und der Logik der Kampfhandlungen – und derzeit ist das die einzige Logik, die entlang der gesamten tausend Kilometer langen Frontlinie möglich ist, so verschlungen sie auch erscheinen mag.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 19. Mai.
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