Die Schweiz galt lange als bevorzugter Wohnsitz für internationale Multimillionäre. Nun mehren sich Anzeichen, dass diese sich zunehmend gegen die Eidgenossenschaft entscheiden.
Steuerexperten, Politiker und Kantone schlagen Alarm: Die Unsicherheit rund um die geplante Erbschaftssteuerinitiative schreckt potenzielle Zuzügler ab und könnte langfristig gravierende finanzielle Folgen haben.
Ein Kanton in Sorge
Besonders drastisch zeigt sich die Situation in Nidwalden. Dort warnt die Regierung vor erheblichen Steuerausfällen, sollten vermögende Einwohner aufgrund der drohenden Steuerlast das Land verlassen.
In einer offiziellen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erklärt der Regierungsrat: Von den 100 ansässigen Multimillionären mit einem Vermögen von über 50 Millionen Franken wohnen allein 59 in Hergiswil.
Sollte die Mehrheit dieser Personen abwandern, würde dies zu einem Rückgang der Vermögensteuererträge um 60 Prozent und einem Steuerausfall von 13 Prozent bei der Einkommensteuer führen. Für die betroffenen Gemeinden wären drastische Steuererhöhungen notwendig, in Hergiswil gar eine Verdoppelung.

Bereits vor einem halben Jahr berichtete der Kanton, dass erste wohlhabende Personen aus Sorge um die Erbschaftssteuer abgewandert seien. Nun zeigt sich eine weitere Entwicklung: Neuzuzügler bleiben aus.
“Zuzüge von sehr vermögenden Personen haben zuletzt kaum mehr stattgefunden.”
Zwar lässt sich dies schwer quantifizieren, doch die Nidwaldner Staatskanzlei betont, dass “Zuzüge von sehr vermögenden Personen zuletzt kaum mehr stattgefunden” haben und dies auch “mit der Erbschaftssteuerinitiative zu tun” habe.
Internationale Berater schlagen Alarm
Nicht nur die Kantone schlagen Alarm, auch Experten aus der Finanzbranche beobachten einen Trend zur Abwanderung.
Eine aktuelle Umfrage der Beratungsgesellschaft PwC zeigt: 84 Prozent der befragten Steuerberater, Treuhänder und Anwälte berichten, dass wohlhabende Ausländer aufgrund der Initiative andere Länder der Schweiz vorziehen. 57 Prozent gaben an, selbst Klienten betreut zu haben, die sich bewusst gegen einen Umzug in die Schweiz entschieden haben.
Jürg Niederbacher, Partner bei PwC Schweiz, sieht einen deutlichen Zusammenhang:
“Das sind starke Indizien, dass die Schweiz vermögende Ausländer, die eigentlich in die Schweiz ziehen wollten, an andere Länder verloren hat.”
Besonders Italien profitiere davon. Dort lockt eine attraktive Pauschalsteuer, die vermögende Neuzuzügler mit einer fixen Steuer von 200.000 Euro pro Jahr unabhängig von Einkommen oder Vermögen anzieht.
Der Bundesrat warnt vor den möglichen negativen Folgen der Erbschaftssteuerinitiative der Juso, die eine 50-prozentige Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen über 50 Millionen Franken zugunsten des Klimaschutzes vorsieht. In ihrer Vorlage ans Parlament argumentiert die Regierung, eine solche Steuer könnte vor allem dazu führen, dass vermögende Personen die Schweiz verlassen, was langfristig zu Steuerausfällen bei Kantonen und Gemeinden führen würde.

Zudem kritisiert der Bundesrat die Initiative als problematischen Eingriff in den föderalen Steuerwettbewerb und verweist auf die komplexe Umsetzung sowie die staatspolitischen Risiken einer rückwirkenden Besteuerung. Auch aus wirtschaftlichen Kreisen und von den kantonalen Finanzdirektoren kommt heftiger Widerstand gegen das Volksbegehren.
Juso: “Ein Ablenkungsmanöver der Reichenlobby”
Die Jungsozialisten weisen diese Warnungen als tendenziöse Panikmache zurück. Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann bezeichnet die PwC-Umfrage als “irrelevant” und spricht von einem “Ablenkungsmanöver der Reichenlobby”. Sie kritisiert insbesondere, dass die Fragen der Studie suggerierten, die Initiative sei bereits in Kraft:
“Peinlich, wie die Reichenlobby mit schlecht gemachten Gutachten und Umfragen vom eigentlichen Thema ablenken will.”
Doch selbst unabhängige Wissenschaftler wie Marius Brülhart, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Lausanne, sehen durchaus eine abschreckende Wirkung der Initiative. Studien aus den USA und der Schweiz belegen, dass vermögende ältere Personen auf Erbschaftssteuern sensibel reagieren und ihren Wohnsitz verlegen können.
“Deshalb muss man durchaus davon ausgehen, dass gewisse umzugswillige Multimillionäre wegen der momentanen durch die Initiative ausgelösten Rechtsunsicherheit mit einem Wohnortwechsel in die Schweiz zögern”,
äußerte sich Brülhart gegenüber Schweizer Medien.
Sollte die Initiative angenommen werden, wäre mit einer weiteren Abwanderungswelle zu rechnen. Brülhart hat in einem Gutachten für die Eidgenössische Steuerverwaltung berechnet, dass 49 bis 74 Prozent der Betroffenen auswandern könnten. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf die Erbschaftssteuer selbst, sondern würde auch zu erheblichen Verlusten bei der Einkommen- und Vermögensteuer führen. Im besten Fall könnte der Staat mit Mehreinnahmen von 300 Millionen Franken rechnen, im schlimmsten Fall jedoch 700 Millionen verlieren.
Der Bundesrat hat klargestellt, dass die umstrittene Juso-Initiative zur Erbschaftssteuer nicht rückwirkend gelten werde. Eine nachträgliche Besteuerung von Nachlässen und Schenkungen sei “staatspolitisch höchst problematisch” und ein Verbot oder eine Einschränkung des Wegzugs vermögender Personen komme nicht infrage. Diese Haltung dürfte vor allem wohlhabende Unternehmer beruhigen, die zuvor mit einer Abwanderung aus der Schweiz gedroht hatten.
Bereits im Mai hatte der Bundesrat betont, dass die Initiative kein geeignetes Mittel zur Erreichung der Klimaziele sei und die wirtschaftliche Attraktivität der Schweiz gefährden könnte. Zudem leisten Reiche laut Bundesrat durch progressive Einkommen- und Vermögensteuer bereits einen wesentlichen Beitrag zur Staatsfinanzierung.
Konkrete Maßnahmen wie eine Wegzugssteuer lehnt die Regierung ab, da ein Umzug ins Ausland nicht pauschal als Steuervermeidung gewertet werden könne. Denkbar sei jedoch eine nachwirkende Besteuerung von Schenkungen nach einem Wegzug – allerdings bestehen hier völkerrechtliche und praktische Bedenken.
Der Bundesrat kündigte an, bis spätestens Februar 2025 einen detaillierten Entwurf zur möglichen Umsetzung der Initiative vorzulegen, wobei er auf rechtliche Vorgaben und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit achten werde.
Die Debatte um die Initiative erreicht bald ihren Höhepunkt. Im März steht die erste Beratung im Nationalrat an, eine Abstimmung im Sommer im Ständerat ist absehbar. FDP-Präsident Thierry Burkart warnt vor der “verheerenden Vorwirkung” der Initiative und drängt auf eine rasche Abstimmung, um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen.
Die Gefahr für die Befürworter der Steuer: Sollte das Parlament einen Gegenvorschlag ins Spiel bringen, könnte sich die Abstimmung um bis zu ein Jahr verzögern. Bis dahin bleibt die Unsicherheit bestehen – und mit ihr die Frage, ob die Schweiz für die Reichen weiterhin attraktiv bleibt oder langfristig an Strahlkraft verliert.
Mehr zum Thema: Russen-Panik in den Schweizer Medien: Spione aus Russland überall – doch von Amerikanern keine Spur