Der militärische Konflikt in der Ukraine hat die Strategie der russischen Präsenz in der asiatisch-pazifischen Region (APR) verändert: Während Moskau früher auf die Aufrechterhaltung des Status quo gesetzt hatte, leitete es seit 2022 unter dem Einfluss westlicher Sanktionen eine groß angelegte Hinwendung gen Osten ein. Dies geht aus dem Bericht des Waldai-Klubs hervor, der sich mit den Interessen Russlands in der asiatisch-pazifischen Region befasst und von Alexei Kuprijanow, dem Leiter des Zentrums für die Region Indischer Ozean des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen bei der Russischen Akademie der Wissenschaften, verfasst wurde.
In dem Bericht weist Kuprijanow darauf hin, dass Russland auch an einer Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Ländern des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) interessiert sei. Parallel dazu verschwand Japan, das sich den Wirtschaftsbeschränkungen gegen Moskau angeschlossen hatte, von der Liste der führenden asiatischen Partner Russlands. Weiter heißt es in dem Bericht:
“Russlands Neuausrichtung nach Osten trug zur Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zu den asiatischen Ländern bei, die Zugang zu billigem Öl erhielten, und zur Bildung einer neuen Weltwirtschaftsstruktur, in der die asiatischen Länder sowohl als Vermittler fungieren, die die Aufrechterhaltung des – wenn auch reduzierten – Handelsumsatzes zwischen Russland und dem Westen gewährleisten, als auch als Lieferanten von Waren für die frei gewordenen Bereiche auf dem russischen Markt.”
Wie erwähnt, bestehen die Interessen Russlands in der asiatisch-pazifischen Region, von denen auch die ASEAN-Länder profitieren, in drei wesentlichen Punkten. Es handelt sich dabei um die Gewährleistung eines ununterbrochenen Güterverkehrs zwischen russischen Häfen und denen in der der Region, die Stärkung des militärischen und wirtschaftlichen Potenzials des pazifischen Teils Russlands sowie den Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit ASEAN und die Stärkung des Potenzials der Organisation auch im militärischen Bereich.
Zudem merkt der Autor des Berichts an, dass Russland im Kontext der zunehmenden geopolitischen Konfrontation daran interessiert sei, ASEAN als eine unabhängige und mit Macht ausgestattete Gruppe zu etablieren, was eine verstärkte Interaktion zwischen ihren Mitgliedern in Sicherheitsfragen voraussetze. Kuprijanow vermutet, dass Russland aus diesem Grund für eine militärische Zusammenarbeit mit den ASEAN-Ländern, insbesondere mit Indonesien, offen wäre. Dies könnte sowohl den Verkauf als auch die gemeinsame Entwicklung und Produktion moderner Waffen, insbesondere von Drohnen, sowie von Erkennungs- und Verfolgungssystemen umfassen.
Obwohl die ASEAN-Länder militärisch nicht zusammenarbeiteten, verfügten sie laut dem Experten einzeln über beeindruckende militärische Kräfte. Malaysia, Singapur und Indonesien hätten aufgrund ihrer geografischen Lage die Fähigkeit, die Schifffahrt in der Straße von Malakka, einer wichtigen Wasserstraße zwischen dem Pazifischen und dem Indischen Ozean, notfalls erheblich zu behindern oder zu blockieren.
Weitere wichtige Meerengen, die den Indischen Ozean mit dem Pazifischen Ozean verbinden, stehen ebenfalls unter indonesischer Kontrolle. Die Position Indonesiens in einer möglichen Konfrontation zwischen den USA und China könnte deren Ausgang wesentlich bestimmen. Kuprijanow unterstreicht:
“Wenn Indonesien seine Subjektivität bewahren und nicht in den Konflikt hineingezogen werden oder zu seinen eigenen Bedingungen daran teilnehmen will, muss es eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung seiner Marine ergreifen.”
Ferner merkt der Experte an, dass dies unter anderem die Schaffung einer sogenannten Moskitoflotte erfordert, die in der Lage wäre, die Durchfahrt von Flotten aus Ländern, die an bestimmten Konflikten beteiligt sind, zu verhindern. Die Idee einer sogenannten Moskitoflotte umfasst kleine und wendige Kriegsschiffe, die in Gruppen gegen größere gegnerische Schiffe eingesetzt würden. Kuprijanows Einschätzung nach sollte eine solche Flotte mehrere See- und Luftdrohnen, mobile küstennahe Anti-Schiffs-Systeme, geräuscharme Kurz- und Mittelstrecken-U-Boote, Torpedowerfer zur Bekämpfung sowohl von U-Booten als auch von Überwasserschiffen, ein Netz von Sensoren und Messgeräten in der gesamten Meerenge sowie Systeme zur verdeckten Fernverminung umfassen. Russland könne Indonesien dabei helfen, meint der Experte.
Jekaterina Koldunowa, Direktorin des ASEAN-Zentrums und außerordentliche Professorin der Abteilung für Orientalische Studien am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen, stimmt der Ansicht zu, dass die Koordinierung zwischen den ASEAN-Ländern im Bereich der Sicherheit eine natürliche und selbstverständliche Lösung sei. Ihr zufolge sprächen einige Vertreter der Mitgliedsländer der Vereinigung offen darüber, aber die praktische Lösung dieser Frage sei schwierig, da die Vereinigung sich nie als Militärblock positioniert habe. Dies sei eine prinzipielle Position, erklärt Koldunowa in einem Interview mit RBC. Einige Länder wie die Philippinen, Thailand und Singapur seien mit den USA verbündet oder arbeiteten eng mit ihnen zusammen. Andere Länder wie Vietnam, Indonesien und Malaysia versuchten, ihre Sicherheitsbeziehungen zu diversifizieren, so die Expertin.
Koldunowa weist auch darauf hin, dass die ASEAN-Länder an einer militärischen Zusammenarbeit mit Russland interessiert seien, insbesondere da Russland vor dem Ukraine-Konflikt der wichtigste Waffenexporteur nach Südostasien gewesen sei.
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