Von Dagmar Henn
Ab dem 1. Januar kommenden Jahres muss jeder Betrieb, auch jeder Selbstständige, egal, mit wie viel Umsatz und mit welcher Betriebsgröße, elektronische Rechnungen akzeptieren. Weil das zum einen die EU so beschlossen hat und zum anderen die deutsche Politik wieder einmal meinte, das gleich etwas früher einführen zu können. Die gesetzliche Grundlage dafür ist recht gut versteckt: im Wachstumschancengesetz auf Seite 23.
Wie es so ist, sollte man nicht denken, dass man auf Grundlage der tatsächlichen Änderung des § 14 des Umsatzsteuergesetzes auch nur annähernd versteht, was das bedeutet. Darin wird nämlich nur auf eine Richtlinie des Europäischen Parlaments mit der Nummer 2014/55/EU verwiesen sowie auf das Amtsblatt des Rates vom 16. April 2014 (ABl. L 133 vom 6.5.2014, S.1). Ist jetzt alles klar?
Mitnichten. Was sich in Wirklichkeit ergibt, ist, dass eine elektronische Rechnung ein Datensatz ist, den man ohne besondere Programme gar nicht lesen kann (außer man ist ein Crack in XML). Die gewohnte Rechnung verwandelt sich erst einmal in eine nicht entzifferbare Reihenfolge von Positionen und Zahlen. Und selbstverständlich kostet es etwas, die entsprechenden Programme zu erwerben; man kann nur wählen zwischen Varianten, die 15 Euro im Monat kosten oder 29 Cent pro Beleg. Dafür kann man dann auch selbst elektronische Rechnungen erstellen, die man genauso wenig lesen kann.
In letzter Zeit ist eine Reihe von Artikeln erschienen, die vor allem erklären, wie das mit der elektronischen Rechnung funktioniert und wer sie wann einsetzen muss. Diese Rahmendaten sind schnell referiert: Ab 1. Januar kommenden Jahres muss jedes Unternehmen imstande sein, derartige Rechnungen zu akzeptieren; ab Ende 2026 müssen alle Firmen mit mehr als 800.000 Euro Umsatz ihre Rechnungen elektronisch ausstellen; und ab 2028 müssen alle Rechnungen zwischen zwei Unternehmen auf diese Weise abgewickelt werden. Allerdings braucht man auch zuvor schon die Zustimmung des Kunden, wenn man die Rechnung weiter etwa als PDF verschicken will.
Ausgenommen sind davon nur Rechnungen, die an Verbraucher gestellt werden und solche, die 250 Euro nicht überschreiten. Aber es muss eben auch der Klempner die Rechnung für sein Material elektronisch entgegennehmen, oder der Wirt, wenn der Einkauf über diesen 250 Euro liegt.
Beworben wird das Ganze als Vereinfachung. Was es vielleicht auch sein kann für all jene Betriebe, die groß genug sind, um Mitarbeiter zu haben, die sich nur mit der Rechnungslegung und Buchhaltung beschäftigen. Im wirklichen Leben ist nämlich jede derartige Veränderung erst einmal eine Erschwernis; erst recht, wenn die eigentlichen Grundlagen so verständlich geschrieben sind, wie es bei EU-Verordnungen üblich ist.
Den Vorteil haben vor allem Großbetriebe und die Finanzämter, die sich auf diese Weise die komplette Debitorenbuchhaltung heruntersaugen können. Aus dieser Ecke kommen derartige Vorstellungen auch; interessanterweise waren es beispielsweise die Betriebe der deutschen Automobilindustrie, die sehr früh auf derartige Belege umgestellt und bereits 1977 ein entsprechendes Dateiformat entwickelt haben. Allerdings ist das eben die ganz große Industrie, in der nicht einmal eine einzelne Person, sondern eine ganze Abteilung damit befasst ist, Rechnungen zu erstellen oder zu erfassen und zu bezahlen.
Aber gehen wir einmal in die Wirklichkeit, in die Welt der kleinen Betriebe, der Selbstständigen, der Handwerker. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland etwas über eine Million Handwerksbetriebe, in denen insgesamt 5,6 Millionen Mitarbeiter tätig waren. Das sind etwas mehr als fünf Personen pro Betrieb, im Schnitt, wobei sich darin eine Menge Unternehmen verbergen, die weniger als fünf Personen beschäftigen.
In der Regel ist das bei diesen Firmen schon toll, wenn sie imstande sind, ein Kassenbuch zu führen, statt – sofern sie sich das leisten können – ihren Schuhkarton voller Belege einmal im Monat auf dem Tisch ihres Steuerberaters auszukippen. Das sollte eigentlich auch kein Problem sein. Ein Klempner ist schließlich ein Klempner und soll dieses Handwerk gut beherrschen, und nicht die Buchhaltung. Man kann auch eigentlich nicht mehr erwarten bei Kleinbetrieben, in denen es im günstigsten Fall vielleicht die Frau des Meisters ist, die Rechnungen schreibt, gleichzeitig die Aufträge verwaltet oder Fahrten plant, und den Zahlensalat einigermaßen bändigt.
Was anhand der klassischen, gedruckten Rechnung vermittelbar ist, wenn auch oft mühsam. Wenn aber alles auf die elektronische Rechnung umgestellt ist, ist es noch viel weiter von der konkreten, fassbaren Ebene entfernt, und damit gerade für jene Menschen, die einen Beruf gewählt haben, der sich nicht tagein, tagaus mit Akten befasst, noch schwerer nachvollziehbar.
Mal ganz abgesehen davon, schon wieder eine neue Software lernen zu müssen. Es wird immer so getan, als sei das alles kein Problem; aber in der Praxis sieht man immer wieder, dass es das doch ist (und selbst, wenn man ein Programm gut beherrscht, spätestens nach der vierten neuen Version hat man die Nase voll).
Klar, Rechnungen für Aufträge der öffentlichen Hand müssen schon länger in elektronischer Form geliefert werden. Auch hier hat man es in der Regel mit einem mit Spezialisten bestückten Apparat zu tun; und die ganzen Ausschreibungen sind, auch dank von EU-Regeln, derart komplex, dass der Handwerker von nebenan meistens ohnehin nicht daran teilnimmt.
Aber die neue Vorgabe zielt auf all die Nischen, in denen sich bisher eine vergleichsweise datenverarbeitungsfreie Welt gehalten hat. Selbst auf den Friseur zwei Häuser weiter oder selbstständige Journalisten oder den Dönerstand an der Ecke. Sie alle müssen sich mit der Software auseinandersetzen, die es braucht, um elektronische Rechnungen überhaupt lesen zu können. Sie müssen auf Buchhaltungsprogramme umstellen und können keine Schuhkartonbuchhaltung mehr führen. Und sie alle müssen außerdem dafür sorgen, dass die Daten dieser elektronischen Rechnungen nach den Vorgaben des Datenschutzes und über zehn Jahre hinweg sicher aufbewahrt werden. Warum? Angeblich soll das Umsatzsteuerbetrug verhindern.
Man kann auch seine Kinder ans Bett fesseln, damit sie sich beim Spielen auf der Straße nicht die Knie aufschlagen. Es ist nicht wirklich sinnvoll, das Ergebnis entspricht vermutlich nicht den Erwartungen und bringt mehr Schaden als Nutzen, aber man kann. Im Kern ist es genau das, was hier wieder einmal geschieht.
Nicht, dass das die einzige Bemühung in diese Richtung wäre. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie es einem Metzger ergeht, der nach, sagen wir einmal, dreißig Jahren Berufserfahrung und einer gewissen Leidenschaft für selbst geräucherte Wurstwaren die Vorgabe erhält, regelmäßig die Innentemperatur seiner Würste zu messen und darüber Buch zu führen. Es ist vielleicht nicht einmal die Messung, die dabei auf Widerstand stößt, es ist das Protokollieren. Weil es im Kern eine Art der Überwachung darstellt, die jede Kompetenz abspricht und Abläufe außer Kraft setzt, die über lange Zeit eingeübt wurden.
Das wird mit dieser neuen Änderung nicht anders sein. Die ganzen bürokratischen Vorgaben, die allen möglichen Berufen aus Brüssel und dann aus Berlin auferlegt werden, haben in vielen Fällen eine einzige Konsequenz – wer die Möglichkeit hat, den Kram hinzuschmeißen und seinen Laden dichtzumachen, macht dann genau das.
So, wie mit der Einführung der Überwachung per GPS die Art Persönlichkeit, die man früher oft bei Taxifahrern fand, bestenfalls noch bei den Einzelunternehmern zu finden ist (weil die Beschäftigten von Taxifirmen einmal vor allem Leute waren, die lieber weniger Geld verdienten, dafür aber nicht nach der Stechuhr leben mussten), so verändert sich mit jedem weiteren Schritt der Regulierung auch die Art der Personen, die in Handwerken arbeiten. Sofern sich diese Art dann tatsächlich noch findet.
Das klingt so unschuldig, elektronische Rechnung. Aber es ist ein Bestandteil der Bemühung, jeden Schritt kontrollierbar zu machen. Während sich auf der anderen Seite die oberste Ebene jeder Kontrolle entzieht, wie bei dem Deal zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Pfizer. Und die Vorgabe, die da gemacht wird, sollte man sie denn im Interesse der Menschen meinen, müsste von kostenlosen Programmen begleitet sein, kostenlosen Schulungen, und ganz klaren Anweisungen, auf welche Weise man denn tatsächlich sicherstellen kann, dass diese digitalen Rechnungen nach zehn Jahren (also dem dritten Rechner) immer noch lesbar und sicher sind.
Das ist alles egal. Hauptsache, man kann das, was man tut, als einen positiven Schritt verkaufen, einige Leute können Geld damit verdienen und man kommt dem absurden Ziel näher, alle Informationen über wirtschaftliche Vorgänge jederzeit verfügbar zu halten. Das ändert selbstverständlich nichts an der Unvernunft der Regierenden, und es verschiebt das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag in jeder Hinsicht in die falsche Richtung, aber es muss sich einfach toll anfühlen, den gemeinen Bürger weiter zu zwiebeln.
Und nur so als Randbemerkung: Festplatten, USB-Sticks und Speicherkarten haben im günstigsten Fall, also bei idealen Aufbewahrungsbedingungen, eine Haltbarkeit von zehn Jahren. Es hat schon seinen Grund, warum nirgends im Zusammenhang mit der elektronischen Rechnung angegeben wird, wie man tatsächlich dafür sorgen kann, dass sie zehn Jahre später noch lesbar ist. Zum Glück sieht es im Moment eher so aus, als wäre die Haltbarkeit der EU noch geringer.
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