Die Nachdenkseiten haben am Freitag über ein internes Papier der ARD berichtet, das den Journalisten des Sendeverbunds nahelegt, welche Begriffe sie in ihrer Berichterstattung über den Nahostkonflikt verwenden sollen – und welche nicht. Albrecht Müller, Mitherausgeber der Nachdenkseiten, nennt das Papier einen “unglaublichen Skandal”.
Das 47-seitige “Glossar Berichterstattung Nahostkonflikt (zur internen Nutzung)” ordnet Akteure, Begriffe, Slogans und Symbole ein – und wartet gegen Ende sogar mit einer Expertenliste auf. Die Erklärungen sind in der Regel Zitate aus anderen Mainstreammedien oder aus so seriösen und neutralen Quellen wie der “Amadeu Antonio Stiftung” oder “Belltower News“.
Besonders interessant ist Punkt 2 des Glossars, der Auszüge aus internen E-Mails zum Thema wiedergibt, die konkrete Sprachregelungen vorgeben. Vermieden werden müssten Begriffe wie “Gewaltspirale” und “Eskalation in Nahost”:
“… nach unserem Austausch in der 10:30 Uhr heute noch mal ein Blick auf die Formulierungen in der Berichterstattung über Nahost. Wie bereits gestern geschrieben, müssen wir das von Tag zu Tag anschauen, beispielsweise ob und wie wir das Wort ‘Krieg’ verwenden. Heute gibt es diese Hinweise und Bitten: Wir sprechen weiterhin von ‘Angriff/en aus Gaza auf Israel’ oder ‘Terrorangriff/e auf Israel’. Es kann aber auch ‘Krieg gegen Israel’ verwendet werden. Was unbedingt vermieden werden muss, sind Worte wie ‘Gewaltspirale’ – und auch ‘Eskalation in Nahost’ beschreibt die aktuelle Lage seit Samstag nicht ausreichend. Die Situation ist komplexer. Bitte passt auch auf, wie wir das Wort ‘Angriff’ genau verwenden: In dieser Situation sind es ‘Gegenangriffe von Israel auf Gaza’. Es ist verkürzt zu sagen oder schreiben ‘Angriffe auf Israel und Gaza’.”
Ganz wichtig: Auf keinen Fall die Hamas-Kämpfer “Hamas-Kämpfer” nennen – das habe die Chefredaktion bereits festgelegt:
“‘Hamas-Kämpfer’ bitte vermeiden! Wie bereits von der Chefredaktion festgelegt, sollten wir nicht euphemistisch von Hamas-‘Kämpfern’, sondern von Terroristen schreiben und sprechen. Als Synonyme bieten sich ‘militante Islamisten’, ‘militante Palästinenser’, ‘Terrormiliz’ oder ähnliches an. Die antisemitische Hamas wird international weitgehend als terroristische Organisation eingestuft. Auch unterscheidet die Hamas – im Gegensatz zur israelischen Armee – in ihren Aktionen nicht zwischen militärischen Zielen und Zivilisten. Erklärtes Ziel der Hamas ist vielmehr die ‘Vernichtung Israels’. Dazu bedient sie sich terroristischer Mittel, etwa durch das Verüben von Anschlägen, wahllosen Raketenbeschuss und ähnliches. Gleiches gilt für Mitglieder des ‘Islamischen Dschihad’, die an dem Hamas-Angriff beteiligt sind.”
Immer wieder wird darauf verwiesen, dass die Hamas den aktuellen Krieg begonnen habe. Was vor den Angriffen der Hamas geschah, spielt für die Sprachregelung nur eine untergeordnete Rolle. Sie geht also mit einer Dekontextualisierung einher:
“Bitte die ‘Gewaltspirale’ vermeiden. Die Floskel sagt wenig aus und geht in der Regel an den Realitäten vorbei. Im aktuellen Fall hat die Hamas Israel überraschend angegriffen – wir sollten daher auch vom ‘Hamas-Angriff auf Israel’ oder vom ‘Angriff auf Israel’ sprechen und schreiben. Aktion und Reaktion. Mit der mutmaßlichen harten Reaktion der israelischen Armee wird sich in den kommenden Tagen der Fokus und damit auch unsere Berichterstattung auf den Gazastreifen und das Leid der dortigen Bevölkerung verschieben. Wir sollten dabei aber nicht ausblenden, dass die Hamas den aktuellen Konflikt begonnen hat.”
Anschließend wird den ARD-Journalisten noch einmal erklärt, dass Israel “in der Regel” militärische Ziele angreife und die zivilen Opfer auf das Konto der Hamas gingen:
“Wer greift was an? Die israelische Armee fliegt als Reaktion Angriffe im Gaza-Streifen. Ziele waren in der Vergangenheit stets militärische Einrichtungen der Hamas. Oft sterben dabei viele Zivilisten – die Hamas nutzt diese oft als menschliche Schutzschilde. Dennoch sollten wir stets klarmachen, dass es sich in der Regel um Angriffe auf militärische Ziele handelt.”
Die relative Einförmigkeit der Qualitätsmedien beim Thema Nahostkonflikt legt den Schluss nahe, dass es, wie bereits beim Thema Ukrainekrieg und zuvor in der Coronakrise, auch eine staatliche Steuerung und Kontrolle der Berichterstattung zu diesem Thema gibt, um die Politik der Bundesregierung medial abzustützen. Offiziell laufen derartige Aktivitäten unter dem Label “Kampf gegen Desinformation”.
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