Von Uli Gellermann
“Trommelwirbel für die Männer und Frauen, die seit 2014 im Krieg gefallen sind, den Russland zunächst im Osten der Ukraine angezettelt hat.”
Mit dieser Inszenierung beginnt die “Tagesschau” ihre Berichterstattung über das EU-Außenministertreffen in Kiew. Doch in die stramme Propaganda-Referenz der ARD mengt sich ein Rest von Wahrheit: Tatsächlich hat der Krieg im Osten der Ukraine begonnen. Aber es war keinesfalls Russland, das dort einen Krieg begonnen hatte.
Nach einem Referendum in der Ostukraine hatten sich fast 90 Prozent der Bevölkerung für mehr Selbstbestimmung ausgesprochen. Das Referendum war eine Reaktion auf das von Wladimir Selenskij unterzeichnete Gesetz zum Verbot der russischen Sprache, dem Verbot russischer Ortsnamen und der Zwangsvoraussetzung der Kenntnis der ukrainischen Sprache und Geschichte für die Staatsbürgerschaft.
Und das in einem Land, in dem Russisch bis zum Tag des Verbots Verkehrssprache war und in dem gut ein Drittel der Einwohner Russisch als Muttersprache bezeichneten. Diese kulturelle Unterdrückung und Leugnung der ukrainischen Geschichte gipfelte im Einsatz ukrainischer Regierungstruppen gegen die Selbstbestimmung der Menschen in der Ostukraine: Kurzerhand erklärte die damalige ukrainische Zentralregierung die Ostukrainer zu Terroristen.
Ein Krieg, der in den West-Medien nicht existierte
Am 12. April 2014 startete das ukrainische Verteidigungsministerium eine als “Antiterror-Operation” firmierten Krieg, der die Autonomie der Gebiete im Donbas vernichten sollte. Dieser Krieg fand über Jahre in den westlichen Medien nicht statt. Aber er ging einher mit einer NATO-Tändelei der rechten Ukraine-Kräfte, die sich aggressiv gegen die russischen Sicherheitsinteressen wandte. Erst als die russische Armee auf Drängen der russischsprachigen Ukrainer in die befreiten Gebiete einrückte, als Russland sich gegen die permanente Drohung durch eine NATO-Einkreisung wehrte, begann die bekannte russophobe Medienkampagne, die von einer weiteren westlichen Aufrüstung der ukrainischen Armee begleitet wurde.
Inflation und Energiepreise
Doch obwohl das EU-Außenministertreffen die Einheit der EU gegen Russland demonstrieren sollte, haben Ungarn und die Slowakei lieber ihre Eigenständigkeit präsentiert: Sie lassen sich nicht in die von den USA verordnete Sanktions-Schablone pressen. Anders als die deutsche Regierung, die den USA – auch um den Preis der Beschädigung der deutschen Wirtschaft – folgt. Es gibt sie noch, die nationalen Interessen. Jene Themen, die alle Bewohner eines Landes betreffen. Und die Sanktionen gegen Russland, die zu einer Steigerung der Energiepreise und damit zur Inflation führen, sind ein solches übergreifendes Thema. Auch wenn die großen Unternehmen ihre gestiegenen Preise auf den Endverbraucher, auf die Normales abwälzen können, erleben sie das Echo der Energiepreissteigerung im Kaufverhalten.
Die Einheit gegen Russland bröckelt.
Hinter den Sanktionen lauert der große Krieg, angeheizt mit der Lieferung westlicher Waffen in die Ukraine: US-Präsident Joe Biden hat eine Reihe der wichtigsten Vertreter von Verbündeten und Partnern zusammengerufen, um weitere Unterstützung für die Ukraine zu koordinieren. Bei einer Telefonkonferenz mit Biden am Dienstag nahmen nach Angaben aus Washington Bundeskanzler Olaf Scholz, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg teil.
Prompt plant die EU neue Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Ukraine: Es wird gefährlicher und teurer für die Insassen der EU. Länder, in denen die nationalen Interessen über denen der USA stehen, verweigern den USA die Gefolgschaft. Das sind jene Länder, in denen man weiß, wer den Krieg in der Ukraine “angezettelt” hat. Das sind jene Länder, die weder an einem Wirtschaftskrieg noch an einem heißen Krieg gegen Russland interessiert sind: Die Einheit gegen Russland bröckelt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Beitrag wurde zuerst am 4. Oktober 2023 auf der Online-Plattform www.rationalgalerie.de veröffentlicht.
Uli Gellermann ist Filmemacher und Journalist. Seine Erfahrungen mit den öffentlich-rechtlichen Sendern begründen seine Medienkritik. Er ist Betreiber der Internetseite www.rationalgalerie.de.
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