Von Alex Männer
Wie erwartet hat das vergangene NATO-Gipfeltreffen in Vilnius keine substanziellen Beschlüsse und keinen Zeitplan für einen Beitritt der Ukraine in die Nordatlantische Militärallianz ergeben. Stattdessen hat man dem Land wiederholt klargemacht, dass es nicht in die NATO darf, solange der Krieg mit Russland dauert. Aus diesem Grund solle Kiew seinen östlichen Nachbarn am besten besiegen, dann wäre der Weg frei, hieß es etwa.
Bis dahin gilt jedoch das Hauptargument gegen die Aufnahme des Krisenlandes – der 5. Artikel des Nordatlantikvertrags, in dem der Bündnisfall geregelt ist. Er besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen ein NATO-Mitglied als ein Angriff gegen alle angesehen wird. Wegen des Krieges in der Ukraine besteht nämlich die Befürchtung, dass man in einen direkten Konflikt mit Russland gezogen wird. Die Folge davon wäre höchstwahrscheinlich ein Krieg, bei dem auch nukleare Waffen zum Einsatz kommen könnten.
Ungeachtet dessen gibt es – vor allem in Deutschland – zahlreiche Stimmen, die die NATO dafür kritisieren, dass sie der Ukraine bei den Gesprächen in der litauischen Hauptstadt keine Perspektive für einen zeitnahen Beitritt ermöglichte. Laut Christoph Heusgen, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, ist das Ergebnis des Gipfels daher mehr als ein “Schönheitsfleck”. Auch die anderen “Strack-Zimmermanns” der Nation werden nicht müde, eine schnellstmögliche Aufnahme Kiews in die NATO zu fordern.
Mehr gesunden Menschenverstand demonstriert man dagegen in der Ex-Sowjetrepublik Georgien, die – wie auch die Ukraine – bereits im Jahr 2008 ein Signal von der NATO hinsichtlich eines Beitritts zur Allianz erhielt und seine Politik folglich darauf hin ausrichtete. Allerdings hatte das kleine Land im Süd-Kaukasus, das bei dem westlichen Bündnis stets im Paket mit der Ukraine verhandelt wurde, mit seiner NATO-Strategie bislang kaum Aussicht auf Erfolg.
Inzwischen scheint die georgische Führung ihre Politik in dieser Angelegenheit an die aktuellen Entwicklungen auf der internationalen Ebene angepasst zu haben – und zeigt daher deutlich weniger Interesse an einer zügigen Aufnahme in den westlichen Militärblock. Diese Haltung verdeutlicht die kürzliche Äußerung des georgischen Ministerpräsidenten Irakli Gharibaschwili gegenüber der Presse, der unter anderem die NATO-Ukraine-Problematik süffisant auf den Punkt brachte: “[Bei dem Gipfeltreffen – Anm.] hörten wir direkte Aussagen, dass die Ukraine solange nicht Mitglied der NATO werden kann, bis sie Russland besiegt hat. Ich habe eine Frage: Wenn die Ukraine Russland besiegt, wozu braucht sie dann die NATO-Mitgliedschaft?”
In der Tat eine gute Frage, die in der Ukraine offenbar so kaum jemand stellt. Außerdem gibt es wohl nichts, was dafür spricht, dass die Ukraine Russland militärisch besiegen könnte. Dazu erklärte der georgische Regierungschef ferner:
“Sie sagten [bei dem Gipfel – Anm.], dass sie den Dritten Weltkrieg nicht zulassen können. Das heißt, die NATO und der gesamte Westen, die Welt, können nicht in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland eintreten. In einer solchen Situation (…) haben wir das Beispiel eines so großen Landes [Ukraine – Anm.], das zehnmal größer ist als wir (…) und die NATO kann keine wirksamen Schritte in Richtung Erweiterung unternehmen. Weshalb wir, Georgier, zuerst an uns selbst denken müssen. Dieses Beispiel ist auch eine Lektion für uns.”
Gharibaschwili zufolge hat sein Land deshalb die “Politik der strategischen Geduld” gewählt, um keine unnötigen Erwartungen zu wecken. Dafür wolle man konsequent das nationale Ziel verfolgen, Georgien schrittweise sowohl für den Beitritt zur Europäischen Union als auch zur NATO vorzubereiten.
Zuvor hatte der georgische Premier übrigens die NATO-Erweiterung kritisiert und sie mit dem Ukraine-Krieg in Verbindung gebracht. In einem Interview auf dem GLOBSEC-Sicherheitsforum Ende Mai in Bratislava sagte der Politiker, dass die Erweiterung der Allianz “einer der Hauptgründe” für den Konflikt in der Ukraine sei.
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