Von Dmitri Jewstafjew
Es ist kein Zufall, dass die Terroranschläge gegen Darja Dugina, Wladlen Tatarski, Sachar Prilepin, die Publikation von “Todeslisten” russischer Persönlichkeiten, der Angriff auf den Kreml, die Sprengungen von Eisenbahnlinien und der Beschuss von Siedlungen keine Reaktion von Seiten der Länder des “kollektiven Westens” hervorrufen. Dies würde aus dem Rahmen der politischen Russophobie fallen, die im Westen zur Grundlage der Ideologie geworden ist. Ein abschließendes Zeugnis dafür lieferte die Rede von Olaf Scholz im Europarlament am 9. Mai 2023, die alle Gipfel der Heuchelei überstieg.
Wir beobachten den Versuch einer schleichenden Legalisierung terroristischer Methoden in der Außenpolitik, und zwar in allen Erscheinungen: Vom Individualterror gegen Personen des öffentlichen Lebens in Russland bis hin zu Handlungen, die massenhaft Opfer unter Zivilisten und Nichtkombattanten hervorrufen können. Etwas prinzipiell Neues an der Legalisierung des Individualterrors gegen die Gegner des Westens gibt es nicht. Dutzende Attentate auf Fidel Castro, der Tod des panamaischen Staatschefs Omar Torrijos bei einem Flugunfall, die Morde an Patrice Lumumba und am kolumbianischen Politiker Jorje Gaitán – diese und zahlreiche andere Fälle sind jedem bekannt, der sich für Politik interessiert.
Doch erstens gehörte der Großteil dieser Vorgänge zur Periode des erbitterten militärisch-ideologischen Widerstands in den Jahren des Kalten Kriegs. Zweitens, selbst als das Schicksal der Welt auf dem Spiel stand, wurden bisweilen aufkommende Ideen von jungen Radikalen aus CIA oder NSA, Chruschtschow oder Breschnew zu ermorden, rigoros unterbunden, bevor sie eine politische Ebene erreichten. Und erst recht berichteten davon keine seriösen Zeitschriften. Inzwischen kann man über die Zweckmäßigkeit der Beseitigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin in vielen westlichen Medien lesen. Schließlich verhielten sich die USA und erst recht ihre europäischen Verbündeten negativ zu Anschlägen auf gesellschaftliche Aktivisten.
Es sei daran erinnert, wie empfindlich die USA auf die Ermordung des chilenischen Politemigranten, des ehemaligen Außenministers der Allende-Regierung Orlando Letelier, reagierten, die vom mit den USA quasi blutsverwandten Pinochet-Regime verübt wurde.
Heute ist alles anders.
Und es wird klar, wie viel für Washington auf dem Spiel steht, wenn es bereit ist, diejenigen Grenzen zu überschreiten, die selbst von eifrigsten Feinden der Sowjetunion in den 1960er- und 1980er-Jahren nicht überschritten wurden.
Das Gesagte bedeutet freilich nicht, dass Russland genauso wie die westlichen Länder handeln sollte. Im Gegenteil, es sollte versuchen, hierbei selbst äußere Ähnlichkeiten mit dem Westen zu vermeiden.
Doch es gibt zwei Nuancen.
Erstens sollte man anerkennen, dass es sich bei den jüngsten Geschehnissen nicht um “Exzesse des Ausführenden”, also des Kiewer Regimes, handelt. Ebenso wenig ist es eine Deviation, die aus persönlichen Eigenschaften einzelner europäischer und nordamerikanischer Politiker entsteht, noch die Selbstsicherheit von Geheimdiensten. Wir haben es mit einer systematischen und konsequenten Politik zu tun. Ja, wir können den moralischen Zerfall des Westens bedauern, doch gegenwärtig hat es keine Konsequenzen. Viel produktiver wäre es, anzuerkennen, dass sich der Westen tatsächlich entschieden hat, gegen Russland einen Krieg ohne Regeln auf allen verfügbaren Ebenen zu führen und dass er bisher keine Konsequenzen für sich befürchtet.
Zweitens ist unter den entstandenen Bedingungen eine Beseitigung von Organisationszentren des Terrorismus aus der Sicht von russischen Interessen nicht nur legitim, sondern geboten, um eine globale Stabilität zu erhalten. Hierbei ergibt sich nicht so sehr die Frage nach “legitimen Zielen”, sondern nach der Notwendigkeit, ein Potenzial antiterroristischer Eindämmung durch präventive Neutralisierung von Bedrohungen für russische Staatsbürger zu schaffen. Nicht nur einzelne Personen, sondern auch Vorbereitungszentren für Terroristen sollten neutralisiert werden.
Übersetzt aus dem Russischen.
Dmitri Jewstafjew ist Professor am Institut für Medien an der Moskauer Wirtschaftshochschule.
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