Von Alexander Männer
Vor Kurzem haben US-Medien etwas Bemerkenswertes bestätigt, was ohnehin schon allen Beobachtern klar war: “Die Vereinigten Staaten sind nun der größte Rohöllieferant der EU”, hieß es in einem Bericht von CNN. Das Gleiche gilt übrigens auch für den europäischen Erdgasmarkt, auf dem die USA führend beim LNG-Verkauf sind.
Darüber, dass die Amerikaner infolge des Ukraine-Krieges und insbesondere dank der selbstzerstörerischen Sanktionspolitik der Europäischen Union zum Hauptnutznießer der Spannungen zwischen Russland und dem Westen auf dem EU-Energiemarkt avancieren würden, waren sich die meisten Experten schon im vergangenen Jahr einig. Insofern ist die CNN-Meldung nicht wirklich überraschend.
Was jedoch überrascht, ist die Deutung dieser Entwicklung vonseiten diverser EU-Mitglieder, vor allem Deutschlands, das wohl am stärksten mit den Umbrüchen im Energiesektor konfrontiert wurde und den größten Schaden davon trug. Dort konstatiert man, dass Russland den “Kampf” (gegen die USA) um den Öl- und Gasexport in die EU verloren hat und aus dem europäischen Markt gedrängt wurde.
Diese These mag vielleicht in Bezug auf die neuen Marktverhältnisse in Europa stimmen, nicht aber auf die Art und Weise, wie diese zustande kamen.
Völkerrechtswidrige Sanktionen
Zum einen kann man angesichts der seit Jahren bestehenden völkerrechtswidrigen Wirtschafts- und Handelsbeschränkungen gegen Russland nicht von einem Kampf im Sinne einer auf dem internationalen Recht basierenden, fairen Konkurrenz sprechen. Denn die westlichen Strafmaßnahmen, wie zum Beispiel das Ölembargo und die sogenannte Preisobergrenze auf die russischen Ölausfuhren, sind politisch motivierte und aus marktwirtschaftlicher Sicht unfaire Eingriffe in den Wettbewerb durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten. Sie sollen Russland schlichtweg benachteiligen und ihm den Zugang zum Markt teilweise blockieren.
Hinzu kommen die Sanktionen im Erdgassektor, wo die USA mit solchen Maßnahmen schon 2019 sowohl gegen Russland als auch gegen dessen ausländische Geschäftspartner vorgegangen sind und diesen Druck so lange verschärften, bis das europäische Energieprojekt “Nord Stream 2” von Deutschland gestoppt wurde. Dafür, dass der Ausgang dieses Politikums mit Blick auf den Widerstand der US-Führung gegen die neue Gasleitung durch die Ostsee womöglich von vornherein feststand und dass Moskau diese Auseinandersetzung mit Washington unmöglich hätte für sich entscheiden können, spricht insbesondere die von Joe Biden am 8. Februar 2022 im Beisein von Olaf Scholz gemachte Ankündigung, Nord Stream 2 im Falle einer russischen Intervention in die Ukraine “ein Ende zu setzen”.
Die Sprengung der beiden Nord-Stream-Pipelines im vergangenen September – als irgendjemand allem Anschein nach die Reißleine in dieser Problematik zog – offenbarte, dass Russland diesen Kampf um den europäischen Gasmarkt gegen die USA unter keinen Umständen gewinnen durfte.
Fehlende Souveränität der EU
Zum anderen wurden die Russen nicht aufgrund ökonomischer Aspekte aus dem Markt “gedrängt”, sondern sie wurden von Washington regelrecht verboten, und das unter dem Stillschweigen Deutschlands und der anderen EU-Länder, die vom Geschäft mit Moskau eigentlich enorm profitierten.
Die Europäer konnten die USA, die zunehmend darüber in Unruhe gerieten, dass die EU sich von Nord Stream 2 nicht distanzieren wollte, bezüglich der Sanktionen zunächst lange hinhalten, am Ende fehlte ihnen in dieser Angelegenheit jedoch das Rückgrat und sie waren im Grunde machtlos gegenüber Washington, was das Ultimatum von Joe Biden ebenfalls verdeutlichte. Scholz vermied nämlich, die Drohung des US-Staatschefs zu kommentieren, und versicherte stattdessen, weiter “an der Seite der USA” zu stehen. Zudem hat Scholz Nord Stream 2 nach dem Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine auf Eis gelegt.
Letzten Endes begab man sich aus einer vermeintlichen Abhängigkeit von Russland – entgegen den eigenen Wirtschaftsinteressen – in eine noch größere Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, die Deutschland und Co. obendrein sehr teuer zu stehen kommt.
Wie hätten sich die Russen also angesichts einer rückgratlosen EU und der illegalen Sanktionen auf dem europäischen Markt gegen die allmächtigen USA durchsetzen können? Vermutlich gar nicht. Möglicherweise ging Moskau stets davon aus, dass diese Entwicklung aufgrund der bestehenden Kräfteverhältnisse unausweichlich war und dass man einer solchen Farce in der heutigen Situation ohnehin nichts hätte entgegensetzen können.
Offensichtlich glaubt die russische Führung immer noch, dass die Sanktionspolitik früher oder später durch eine Normalisierung der Marktbeziehungen zwischen Europa und Russland ersetzt werden wird und dass die derzeitigen politischen Eliten der EU-Länder bald der Vergangenheit angehören könnten. Deshalb wollen die Russen die Kontakte zu den Europäern nicht abbrechen lassen und suchen ungeachtet aller Probleme weiterhin nach Möglichkeiten, um auf dem europäischen Energiemarkt bleiben und die Gas- und Öllieferungen in die EU wieder ausweiten zu können.
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