Es ist ein Thema, das immer wieder auftaucht: die soziale Zusammensetzung des Bundestags. Diesmal hat die Bild-Zeitung das zum Thema gemacht. Im Grunde ist auch die Kritik, die vorgebracht wird, seit Jahren die gleiche. Es sind zu viele Beamte und Juristen im Bundestag; die Zusammensetzung ist keinesfalls repräsentativ für die Bevölkerung. Und dieser Punkt schafft tatsächlich Probleme, weil es oft konkrete Erfahrungen braucht, um Fehlentscheidungen zu vermeiden oder zu korrigieren.
Bild berichtete, beinahe jeder dritte Abgeordnete habe zuvor als Angestellter oder Beamter für den Staat gearbeitet, in der gesamten Bevölkerung tue dies nur jeder Zehnte. Nur drei Prozent seien selbständige Handwerker. In diesem Fall ist das allerdings keine Unterrepräsentanz; es sind zwar zwölf Prozent der Beschäftigten in Handwerksbetrieben beschäftigt, da es aber nur eine Million solcher Betriebe gibt, kann es nicht mehr als eine Million selbständiger Handwerker geben, und das ist mit drei Prozent gut wiedergegeben.
Anders sieht es natürlich mit den rechnerisch elf Beschäftigten aus, die eigentlich ebenfalls im Bundestag vertreten sein sollten; sie machen immerhin 23 Prozent aller Erwerbstätigen aus. Sie liefern zusammen mit allen Beschäftigten in Handel und Industrie insgesamt 8,3 Prozent der Beschäftigten, obwohl 36 Prozent dort tätig sind.
Besonders ausgeprägt ist die Dominanz der Juristen. “Jeder vierte Parlamentarier hat Jura oder Staatswesen studiert”, meldet Bild. Insgesamt lag laut Statista 2019 in der Altersgruppe 30-34 Jahre der Anteil aller Personen mit Hochschulabschluss bei 30 Prozent, in allen anderen Altersgruppen darunter; das sind sämtliche Studiengänge von Architektur bis Zahnmedizin. Nur 1,4 Prozent der gesamten Bevölkerung sind laut Bild Juristen oder Steuerberater.
Der Politikwissenschaftsprofessor Armin Schäfer schlägt eine “freiwillige Arbeiter- und Handwerkerquote” vor und meint, “es liegt nun an den Parteien, den Zugang zum Parlament gerecht zu gestalten”.
Allerdings könnten sich die Parteien damit schwer tun. Denn die Statistik über die Zusammensetzung der Parteimitglieder zeigt ein ähnliches Problem. In allen Parteien mit Ausnahme des SSW sind mehr Männer als Frauen und weit mehr Menschen mit Hochschulabschluss als in der Gesamtbevölkerung vertreten; selbst die CSU liegt mit 34 Prozent noch darüber. Dafür liegt der Anteil der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst zwischen 27 Prozent bei der FDP und 72 Prozent bei den Grünen. Den höchsten Arbeiteranteil haben SPD und Linke mit 16 respektive 17 Prozent.
Da es die Parteimitglieder sind, die die Listen aufstellen, ist das Ergebnis eine Liste, welche die soziale Zusammensetzung der Parteimitglieder repräsentiert und nicht die der Bevölkerung. Würde sich das durch eine Arbeiter- und Handwerkerquote ändern? Oder wäre der Schlüssel nicht vielmehr, sich um eine höhere politische Aktivität dieser Bevölkerungsteile zu bemühen?
Wie problematisch die Frage der Quote sein kann, zeigte sich gerade erst in Thüringen am Fall des grünen Justizministers Dirk Adams. Er soll der Verwirklichung der Quote im Weg gestanden haben, Partei- und Fraktionsvorstand wollen seine Entlassung aus dem Amt. Aus seiner Partei wurde zwar dementiert, dass der Personalwechsel zu einer Frau mit Migrationshintergrund der Quote geschuldet sei; er selbst wies jedoch einen politisch-inhaltlichen Hintergrund von sich:
Wenn die Landessprecher*innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dennoch von ihrem Recht Gebrauch machen wollen, den grünen Teil der Landesregierung – also neben dem TMUEN auch das TMMJV – neu aufzustellen, steht es ihnen frei, vom Ministerpräsidenten meine Entlassung zu fordern. (4/5)
— Dirk Adams (@GruenerDirk) January 9, 2023
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