Eine Analyse von Rainer Rupp
Die US-Militärstrategie gegen China, die auf dem Einsatz von Flugzeugträger-Angriffsgruppen basiert, ist unter anderem wegen der neuen, zuverlässigen chinesischen Flugzeugträger-Killerraketen vom Typ DF-ZF nicht länger haltbar, zumal die US-Navy kein Gegenmittel gegen diese neue Hyperschallwaffe hat. Lange bevor die Flugzeugträger-gestützten US-Bomber und -Jäger in Reichweite für ihren Einsatz gegen Ziele auf dem chinesischen Festland oder in der Seestraße von Taiwan kämen, wären ihre Trägerschiffe bereits Opfer der chinesischen DF-ZF geworden. Mit der ebenfalls neuen DF-21D-Hyperschallwaffe kann die Reichweite der chinesischen Flugzeugträger Killer sogar noch um mehrere Tausend Kilometer erhöht werden, indem sie von einem chinesischen Langstreckenbomber des Typs H-6N gestartet wird.
Vor diesem Hintergrund wurde im jüngsten Bericht des Pentagon “China Power Report 2022” festgestellt, dass die Militärmacht China durch Verbesserung ihrer Kriegsführungskonzepte und dank der technologischen Entwicklungen ihre militärischen Fähigkeiten gestärkt habe, einen Krieg gegen die USA zu führen, falls Washington sich in einen Konflikt mit Taiwan in der Straße von Taiwan einmischen würde.
Für das US-Militär und vor allem für die US-Kriegsmarine, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als alleiniger und unbesiegter Herrscher der Weltmeere sah, ist das eine harte Erkenntnis, die einen Paradigmenwechsel in ihren eigenen Kriegsführungskonzepten erfordert. Im Fall Taiwan wirft diese starke Veränderung konkrete Fragen nicht nur über die militärischen Fähigkeiten der USA auf, sondern auch über die politische Bereitschaft in Washington, unter den neuen Bedingungen zu die chinesische Inselprovinz zu verteidigen.
Da Computer-Simulationen des US-Militärs über einen heißen Konflikt zwischen China und den USA um Taiwan im besten Fall auf ein Unentschieden mit hohen Verlusten für die USA hinweisen, scheint in Washington die politische Abneigung gegen einen direkten militärischen Zusammenstoß mit China zu steigen. Folglich denken die US-Strategen vermehrt darüber nach, wie man Taiwan mit anderen Mitteln vor den Wiedervereinigungsversuchen der Volksrepublik China retten kann.
Die Ideen, die dabei allen Ernstes als Alternativen geäußert und in Strategiepapieren festgehalten werden, spiegeln in erschreckendem Maß die total entmenschlichte Art der US-Kriegsführung wider, in der es keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung gibt. Sie erinnern stark an die Aussage eines US-Offiziers, den der berühmte US-Kriegsreporter Peter Arnett von Associated Press (AP) am 7. Februar 1968 nach der Zerstörung des südvietnamesischen Ortes Bến Tre durch US-Bomber wie folgt zitiert hatte:
“Es wurde notwendig, die Stadt zu zerstören, um sie (vor den Kommunisten) zu retten.”
Eine zweizeilige Version der AP-Depesche wurde am selben Tag in der New York Times veröffentlicht, was sie weltbekannt machte. Das Zitat wurde damals von der Friedensbewegung als Beweis für die “Strategie der verbrannten Erde” vorgelegt, die das US-Militär offensichtlich bei der Nazi-Soldateska abgekupfert hatte, die beim Rückzug aus Russland in keinem Dorf und keiner Stadt einen Stein auf dem anderen gelassen hatte. Der bekannte Kommentator der New York Times James Reston schrieb damals:
“Wie können wir mit militärischer Gewalt gewinnen, ohne zu zerstören, was wir zu retten versuchen?”
Restons Kolumne schloss:
“Wie werden wir Vietnam retten, wenn wir es zerstören?”
Genau in diese Richtung denken derzeit US-Strategen, wie sie Taiwan vor den “Kommunisten in Peking retten” können, indem sie im Falle einer chinesischen Invasion das Herzstück der Industrie Taiwans, nämlich die Halbleiterfabriken, entweder mit Bomben zerstören oder sonst dauerhaft deaktivieren wollen. Die überall in Asien respektierte und viel gelesene Online-Zeitung Asia Times hat unter dem Titel “US mulls scorched earth strategy for Taiwan” (“USA erwägen Strategie der verbrannten Erde für Taiwan”) die diesbezüglichen Aktivitäten in den Kreisen der US-Kriegstreiber und -China-Hasser beschrieben.
Auf dem “Großen Strategiegipfel der Richard Nixon Foundation” am 10. November 2022 betonte der ehemalige Nationale Sicherheitsberater der USA in Botschafter-Rang Robert O’Brien, wie wichtig es ist, dass die USA Taiwans Halbleiterfabriken und dazu gehörige Infrastruktur im Falle einer chinesischen Invasion zerstören, um zu verhindern, dass diese Kapazitäten in die Hände von Festland-China fallen:
“Wenn China in Taiwan einmarschiert und ihm diese Fabriken in intaktem Zustand in die Hände fallen – was wir (die USA) meiner Meinung nach niemals zulassen würden –, dann hat Peking ein Monopol auf Chips, so wie die OPEC ein Monopol auf Öl hat, oder sogar ein noch stärkeres Monopol, als die OPEC auf Öl hat”,
sagte O’Brien laut einer Veröffentlichung von Army Technology. Army Technology berichtete außerdem, dass das US Army War College (Kriegsuniversität) im November 2021 eine Studie veröffentlichte, in der empfohlen wird, die USA sollten “glaubwürdige Drohungen” aussprechen, sie würden im Falle einer chinesischen Invasion Taiwans die gigantische Fabrik “Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC)” zerstören und damit den für China und für den Rest der Welt wichtigsten Lieferanten von Mikroverarbeitungschips eliminieren. Diese Studie mit dem Titel “Broken Nest: Deterring China from Invading Taiwan” wurde zu dem am häufigsten heruntergeladenen Papier des US Army War College des Jahres 2021. Sie schlug vor, für Taiwan eine gezielte Strategie der verbrannten Erde zu planen, die die Insel im Fall einer Invasion “nicht nur unattraktiv, sondern auch sehr teuer im Wiederaufbau und Unterhalt machen würde”.
Die TSMC produziert etwa 55 Prozent der weltweiten Halbleiter, die in allen Bereichen von Mobiltelefonen über Computer bis hin zu hochentwickelten militärischen Waffen und Geräten verwendet werden.
Die Studie besagt, dass die Zerstörung der Einrichtungen der TSMC Chinas Kriegsanstrengungen lähmen würde, wobei der daraus resultierende wirtschaftliche Schaden die Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas ernsthaft bedrohen würde. Darüber hinaus könnten die USA oder Taiwan automatische Selbstzerstörungssysteme in Halbleiterfabriken installieren. Deshalb wurde in der Studie von der Regierung Taiwans ein klares Bekenntnis gefordert, dass sie unter keinen Umständen zulassen wird, dass diese TSMC-Fabrikeinrichtungen in die Hände Chinas fallen.
Nach monatelangen Spekulationen über mögliche US-Notfallpläne bezüglich Taiwan berichtete die US-Nachrichtenagentur Bloomberg am 7. Oktober letzten Jahres unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten US-Beamten, dass das Pentagon in Worst-Case-Szenarien plant, die taiwanesischen Chip-Ingenieure in die USA zu evakuieren, um auf diese Weise die Wirtschaft der Insel zu ruinieren.
Als Reaktion auf den Bloomberg-Bericht erklärte der taiwanesische Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng, Taiwan und die USA hätten bei den diesjährigen Han-Kuang-Militärübungen keine derartigen Evakuierungsplan durchgeführt. Laut Chiu beinhaltete keines der Kriegsspiele in der Übung ein Evakuierungsszenario, und er betonte, dass Taiwan auf Eigenständigkeit und Zurückhaltung angewiesen ist, um den Frieden in der Taiwanstraße aufrechtzuerhalten.
Allerdings steht in der bereits erwähnten Studie des US Army War College auch die Forderung, dass die USA und ihre Verbündeten sich darauf vorbereiten müssten, Taiwans Halbleiter-Wissenschaftlern und -ingenieuren aufzunehmen, um so das menschliche Know-how der Halbleiterindustrie der Insel zu erhalten.
Laut Asia Times ist die neue US-Strategie “der verbrannten Erde” für Taiwan eine beträchtliche Abkehr von der bisherigen “Stachelschwein-Strategie”. Anstatt wie bisher eine chinesische Invasion durch die Aussicht auf inakzeptable Verluste abzuschrecken, soll nun die Strategie der verbrannten Erde Taiwans strategischen und wirtschaftlichen Wert zerstören, um China von einer gewaltsamen militärischen Wiedervereinigung abzuhalten. Wie schon eingangs erwähnt, haben die USA seit einiger Zeit ihre konventionelle Fähigkeit verloren, China vor einem Waffengang in der Straße von Taiwan abzuschrecken. Darin liegt der Grund für die US-Abkehr von der “Stachelschwein-Strategie” zur Strategie der verbrannten Erde, denn ein Waffengang mit China in der Straße von Taiwan würde die Kosten für die USA inakzeptabel erhöhen.
Unter den hochrangigen US-Offizieren ist in den letzten Jahren und Monaten der Chor der Warnungen über wachsende militärische Fähigkeiten Chinas immer lauter geworden. Noch Anfang November dieses Jahres hatte der Kommandeur des US Strategic Command, Admiral Charles Richard, erklärt, dass es, wenn es um die Frage der US-Fähigkeit geht, China abzuschrecken, “das Schiff langsam sinkt”. Er fügte hinzu: “Es sinkt, da die Chinesen im Grunde genommen schneller Fähigkeiten ins Feld bringen als wir.” Mit anderen Worten, die konventionelle Abschreckungsfähigkeit der USA nimmt immer schneller ab. “Das Ergebnis sind alternde, schrumpfende, weniger einsatzbereite Truppen, denen es an ausreichenden Kapazitäten mangelt und die nicht schnell genug modernisiert werden”, erklärt Mackenzie Eaglen, Senior Fellow am American Enterprise Institute (AEI), wo sie an Verteidigungsstrategien, Verteidigungsbudgets und Militärfragen arbeitet.
In einem Artikel vom September 2021 für Geopolitical Futures stellt der Militär-Analyst Philip Orchard fest, dass Chinas wachsende Anti-Zugangs-/Gebietsverweigerungsfähigkeiten eine US-Intervention in der Straße von Taiwan immer teurer und gefährlicher gemacht haben. Zugleich erklärt er, dass eine “Stachelschweinstrategie” für Taiwan nur sinnvoll ist, wenn Taipeh den US-Sicherheitsgarantien vertrauen kann. Wenn nicht, muss Taiwan seine Gegenschlagfähigkeiten entwickeln, aber Anstrengungen für die Entwicklung der einen Strategie untergraben laut Orchard die Wirksamkeit der anderen Strategie.
So deuten die Erosion der konventionellen Abschreckung der USA einerseits und Chinas militärische Modernisierung anderseits darauf hin, dass eine Strategie der verbrannten Erde ein stillschweigendes Eingeständnis ist, dass die USA Taiwan mit militärischen Mitteln nicht mehr verteidigen können. Allerdings gibt es mit der Umsetzung der Strategie der verbrannten Erde aus mehreren Gründen Probleme.
In einem Interview aus dem November 2020 mit der chinesischen Tageszeitung Global Times, die indirekt der Kommunistischen Partei Chinas gehört, stellte der ehemalige Vorsitzende der nationalistischen Kuomintang (KMT) Hung Hsiu-chu fest, dass die meisten Einwohner Taiwans die Vorstellung, dass ihr Land als verbrannte Erde endet, nicht ertragen können. Hung kritisierte die Falken in Taiwan scharf, die eine solche Strategie befürworteten, da sie nie einen Krieg erlebt hätten, an ihrem Wunschdenken von US-Hilfe festhielten und von dem daraus resultierenden menschlichen Leid profitierten.
In einem Artikel für The Strategist vom März 2021 wies Elena Yi-Ching Ho auf die strategische Bedeutung der taiwanesischen Halbleiterindustrie für die USA und ihre Verbündeten hin. Sie betonte, dass alle, einschließlich China trotz seines Strebens nach Eigenständigkeit, durch eine Strategie der verbrannten Erde und der Zerstörung von TSMC verlieren würden. Allerdings scheint die politische Wiedervereinigung mit Taiwan für China wichtiger als der TSMC-Halbleiter-Konzern und seine mögliche Vernichtung.
Das Büro für Taiwan-Angelegenheiten des chinesischen Staatsrats stellte in einem Artikel vom Dezember 2021 fest, dass “das Streben des Festlandes nach einer Wiedervereinigung über die Straße von Taiwan definitiv durch irgendein Interesse an TSMC motiviert ist”.
In Übereinstimmung damit stellt Timothy Rich in einem Artikel vom Dezember 2021 in The News Lens fest, dass die Zerstörung der taiwanesischen Halbleiterindustrie nur ein vorübergehender Rückschlag für China wirtschaftliches Wachstum und seinen technologischen Fortschritt sein könnte.
Die Überlegungen, Taiwan mit einer Strategie der verbrannten Erde vor China zu retten, sind typisch für die perversen Hirnstrukturen der US-Kriegstreiber, und letztlich wären die USA und ihre westlichen Vasallen von einer Zerstörung von TSMC am stärksten betroffen.
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