Von Karin Leukefeld
Der Libanon und Israel haben sich grundsätzlich auf die Markierung ihrer jeweiligen exklusiven maritimen Wirtschaftszonen und die Nutzung der dort liegenden Gasfelder Karish und Qana geeinigt. Nun müssen die politischen Gremien der Länder zustimmen. Als Nächstes muss die US-Administration, die den Vermittler bei den Verhandlungen stellte, die Vereinbarung bestätigen. Anschließend gehen die Dokumente an die UNIFIL-Mission im Libanon, wo sie von allen Seiten unterzeichnet werden sollen.
Mehr als 10 Jahre schlummerten die Gasvorkommen vor der libanesischen Küste, Verhandlungen blieben erfolglos. Dass es nun so schnell ging, liegt daran, dass die USA für Europa das Gas aus dem östlichen Mittelmeer brauchen, damit die europäischen Länder ihren Wirtschaftskrieg gegen Russland fortsetzen.
Der Streit um die Gasfelder im östlichen Mittelmeer
Anders als im Libanon und in Israel, herrschte in den vergangenen Monaten und Wochen in Brüssel und Washington weitgehend Schweigen über die Gespräche von Verhandlungsdelegationen Israels und des Libanons, die von einem US-Vermittler im Shuttle-Verfahren geführt worden waren.
Weil zwischen Libanon und Israel Kriegszustand besteht, wurde indirekt verhandelt. Die Gespräche, die Ende 2021 wiederaufgenommen worden waren, hatten die Markierung der jeweiligen exklusiven Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer sowie die Zuordnung der dort liegenden Gasfelder Karish und Qana zum Thema. Der nördliche Teil des Karish-Gasfeldes liegt nach Ansicht des Libanons in libanesischen Gewässern, während Israel das gesamte Karish-Gasfeld sowie den südlichen Teil des Qana-Gasfeldes beansprucht.
Der Libanon hatte vorgeschlagen, die Abgrenzung der jeweiligen exklusiven Wirtschaftszonen einer Zickzack-Linie folgen zu lassen. Danach sollte das Karish-Gasfeld im israelischen Teil liegen, das Qana-Gasfeld im libanesischen Teil. Die Ankündigung Israels, das Karish-Gasfeld spätestens im September 2022 in Betrieb nehmen zu wollen, führte zu einer heftigen Reaktion im Libanon. Die libanesische Hisbollah schickte Überwachungsdrohnen über die Karish-Plattform, die von Israel abgeschossen wurden. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah drohte mit einem Angriff auf die israelischen Förderplattformen, sollte Israel – ohne eine Vereinbarung mit dem Libanon über die Abgrenzung der jeweiligen Wirtschaftszone – mit der Gasförderung auf der Plattform Karish beginnen. Wenn der Libanon kein Gas fördern könne, werde auch Israel kein Gas fördern, sagte Nasrallah. Sollte Israel dennoch mit der Gasförderung beginnen, sei man zu allem bereit, um die Rechte des Libanons zu erreichen.
Plötzlich kam Bewegung in die Verhandlungen, und in nur einer Woche Anfang Oktober änderte sich alles. Am Montag, den 3. Oktober 2022, stellte US-Unterhändler Hochstein beiden Seiten seinen vorläufigen Textentwurf einer Vereinbarung zu. Der Libanon stimmte grundsätzlich zu, und der Text ging mit Anmerkungen versehen zurück an Hochstein, der alles an Israel weiterleitete. Am Donnerstag, den 6. Oktober 2022, befasste sich das israelische Sicherheitskabinett mehr als drei Stunden mit den Texten. Während man dem Hochstein-Entwurf grundsätzlich zustimmte, wurden die Anmerkungen des Libanons zurückgewiesen.
Begründet wurde die Ablehnung damit, dass die Forderungen des Libanons die von Israel gezogenen roten Linien für die Sicherheit des Landes überschritten, hieß es. Israel werde den Forderungen nicht zustimmen, auch wenn es keine Vereinbarung geben sollte. Uneinigkeit bestand weiter über den genauen Verlauf der Abgrenzung der jeweiligen Wirtschaftszonen und wer wie und unter welchen Bedingungen im Qana-Gasfeld arbeiten dürfe. Israel bestand zudem auf der Markierung einer Sicherheitszone mit Bojen. Umstritten blieb auch die Form einer endgültigen Vereinbarung.
Gasförderung im östlichen Mittelmeer: Spielball im israelischen Wahlkampf
Tatsächlich war die Sache zum Wahlkampfthema in Israel geworden und sorgte für heftige Auseinandersetzungen. Die Wahlen sollen am 1. November stattfinden. Benjamin Netanjahu, der erneut antritt, warf dem Interims-Ministerpräsidenten Jair Lapid vor, die nationalen Interessen aufzugeben. Lapid sei vor den Drohungen der Hisbollah eingeknickt – das bedeute einen Sieg Irans, und Netanjahu werde dies niemals zulassen. Sollte eine Vereinbarung mit dem Libanon unterzeichnet werden, werde er sich nicht daran halten.
Jair Lapid, der politisch sowohl von der EU als auch von den USA als zukünftiger Regierungschef Israels favorisiert wird, fürchtet um Stimmen, sollte er als zu nachgiebig bei den Verhandlungen auftreten. Sicherheits- und Verteidigungsminister Benny Gantz versetzte die israelischen Streitkräfte in Alarmbereitschaft und drohte dem Libanon in einem Interview mit dem israelischen Sender Kanal 12. Israel werde sich “entschlossen verteidigen”, sollte die Hisbollah Israel in irgendeiner Weise angreifen. Sollte sich daraus ein größerer Konflikt entwickeln, “werden wir den Libanon in Stücke schlagen”. Er kündigte an, dass Israel, wie geplant, Gas über die Karish-Plattform fördern werde, auch wenn keine Vereinbarung mit dem Libanon unterzeichnet werde. Die Sicherheit Israels sei nicht verhandelbar – die Sache liege jetzt “in den Händen des Libanons”.
Einigkeit im Libanon
Im Libanon dagegen herrschte weitgehend Einigkeit über den Umgang mit der Markierung einer Grenzlinie. Die eigenen Gasvorkommen werden schon lange als Chance gesehen, die kollabierende Wirtschaft zu stabilisieren. Libanesische Medien hatten positiv über eine mögliche Einigung mit Israel über die Markierung der Seegrenze berichtet. Parlamentssprecher Nabih Berri, Interims-Ministerpräsident Najib Mikati und Präsident Michel Aoun waren sich in der Bewertung des Hochstein-Entwurfs einig und stimmten zu.
Mikati und der stellvertretende Parlamentssprecher Elias Bou Saab hatten im September am Rande der UN-Vollversammlung in New York sowohl mit Hochstein als auch mit US-Außenminister Blinken gesprochen. Dabei habe es noch “fundamentale Meinungsverschiedenheiten” gegeben, sagte Bou Saab dem Nachrichtensender Al Mayadeen. Diese seien jedoch ausgeräumt worden und der Libanon habe “seine Rechte […] gegenüber dem israelischen Feind” nicht aufgegeben.
Die libanesische Tageszeitung Al Akhbar berichtete am Donnerstag, den 6. Oktober 2022, über einige Details in dem Hochstein-Textentwurf, denen der Libanon in seiner Antwort nicht zugestimmt habe. Abgelehnt wurde demnach der Begriff “Blaue Linie” in Bezug auf die libanesische Grenze zum “von Israel besetzten Palästina” – der Libanon halte an seinen internationalen Grenzen fest. Eine von Israel gewünschte Markierung mit Bojen sei bedeutungslos und werde nicht anerkannt, zudem handele es sich in dem Gebiet zwischen dem Libanon und Israel um eine “de facto-Situation” und nicht um einen “Status Quo”. Der Libanon lehne die Bezeichnung “wahrscheinliches südliches Sidon-Reservoir” im US-amerikanischen Entwurfstext ab und spreche vom “Sidon-Qana-Feld”, das “vom Libanon und zum Nutzen des Libanon entwickelt” werde. Weiterhin wurde eine Formulierung abgelehnt, wonach die Unternehmen, die in den Gasfeldern arbeiten, “keinen US-Sanktionen unterliegen” sollten, wie es der Textentwurf vorsieht. Stattdessen solle es heißen, die Unternehmen sollten “keinen internationalen Sanktionen unterliegen” und zudem “weder israelisch noch libanesisch” sein.
Weitere Formulierungen bezüglich der Arbeit im Qana-Feld und des Block 9 jenseits einer bestimmten Markierung (Linie 23) seien von Libanon abgelehnt und ersetzt worden. Das treffe auch auf israelische Forderungen zur Zusammenarbeit des Libanons mit Unternehmen im Qana-Feld zu. Eine von Israel geforderte “Sicherheitszone” lehne der Libanon ab. Schließlich werde der Libanon sich nicht an einer gemeinsamen Unterzeichnungszeremonie in einem Raum in Naqura – dem Hauptquartier der UN-Friedensmission für den Libanon, UNIFIL – beteiligen, sondern bestehe auf einer Unterzeichnung der Vereinbarung auf getrennten Papieren in getrennten Räumen.
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